Geldpolitik

Rätselraten über weiteren EZB-Kurs

Die EZB-Sitzung am Donnerstag war mit besonderer Spannung erwartet worden, weil sie einerseits als wegweisend galt und andererseits in extrem turbulenter Zeit stattfand. Die EZB erhöhte nun trotz Bankenbeben ihre Zinsen erneut deutlich. Der weitere Zinskurs ist aber offen.

Rätselraten über weiteren EZB-Kurs

ms/mpi Frankfurt

Nach der Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag gehen die Meinungen unter Ökonomen und Finanzmarktteilnehmern über den weiteren Zinskurs der EZB teils deutlich auseinander. Einige Beobachter spekulieren darauf, dass die neuerliche Zinserhöhung bereits die letzte im aktuellen Zyklus gewesen sein könnte oder das Ende des Zyklus spätestens im Mai kommt – vor allem angesichts der Turbulenzen im Bankensektor weltweit und der Sorge vor einer neuen Finanzkrise. Andere dagegen setzten auf einige weitere, teils deutliche Zinserhöhungen wegen der nach wie vor hohen Inflation im Euroraum.

Inflation zu hoch

Die EZB hatte am Donnerstag ihre Leitzinsen erneut um 50 Basispunkte erhöht. Der Leitzins liegt nun bei 3,5%, der aktuell noch wichtigere Einlagensatz bei 3,0% – so hoch wie zuletzt im Jahr 2008. Zur Begründung verwiesen die Notenbanker darauf, dass die Inflation weiter zu hoch sei und auch absehbar zu hoch bleibe. Mit Blick auf weitere Zinserhöhungen hielt sich der EZB-Rat aber sehr bedeckt. Der bisherige Zinsausblick (Forward Guidance), laut dem die Zinsen weiter erhöht werden dürften, findet sich nun nicht mehr in der Erklärung des Rats. Stattdessen betonten die Notenbanker die erhöhte Unsicherheit durch die Turbulenzen an den Finanzmärkten.

„Das könnte die vorerst letzte Zinserhöhung der EZB gewesen sein – zumindest für die absehbare Zukunft“, kommentierte Katharine Neiss, Europa-Chefvolkswirtin beim Investor PGIM. Sie bezeichnete die Änderung der EZB-Guidance als „eine bemerkenswerte Verschiebung hin zu einem dovisheren Ton“. „Weitere Erhöhungen der EZB werden unwahrscheinlich“, erklärte auch Sandra Holdsworth, Head of Rates bei Aegon AM. Auch an den Märkten wird nun für die nächste Sitzung im Mai keine Zinserhöhung mehr komplett eingepreist.

Dieses Lager argumentiert vor allem mit den aktuellen Kapriolen bei den Banken, die auch endgültig offenbart habe, dass sich die beispiellose Zinswende seit dem vergangenen Sommer mit Zeitverzögerung kräftig niederschlage. Nach langem Zögern hatte die EZB im Juli 2022 die Zinswende eingeläutet und ihren Leitzins seitdem um nun 350 Basispunkte angehoben. So etwas ist seit der Einführung des Euro 1999 beispiellos. Zudem verweisen jene Beobachter auf die Abschwächung der Euro-Wirtschaft und den jüngsten deutlichen Rückgang der Inflation. Sie ist zwischen Oktober und Februar spürbar von 10,6% auf 8,5% zurückgegangen.

Andere Experten dagegen erwarten weitere deutliche Zinserhöhungen – spätestens dann, wenn sich die Turbulenzen an den Finanzmärkten gelegt haben. „Von weiteren Zinserhöhungen ist auszugehen“, sagte etwa David Zahn, Head of European Fixed Income bei Franklin Templeton. Einige Experten sehen sogar weitere Zinserhöhungen bis in Richtung 4% beim Einlagenzins – inklusive einer weiteren Zinserhöhung um 50 Basispunkte im Mai.

Das Lager verweist auf die weiter viel zu hohe zugrundeliegende Inflation. Die Kerninflation ohne Energie und Lebensmittel ist im Februar sogar weiter auf ein absolutes Rekordniveau von 5,6% geklettert. Die Kernrate gilt vielen als besserer Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck und der jüngste Anstieg als Beleg für die Hartnäckigkeit der Inflation.

EZB-Chefin Christine Lagarde betonte am Donnerstag, dass angesichts der aktuellen Unsicherheit derzeit keine Aussagen möglich sei, ob und wie die Zinsen gegebenenfalls noch steigen. Entscheidend seien künftig drei Kriterien: die Einschätzung der Inflationsaussichten vor dem Hintergrund der verfügbaren Wirtschafts- und Finanzdaten, die Entwicklung der zugrundeliegenden Inflation und die Stärke der geldpolitischen Transmission. Zugleich sagte Lagarde aber, dass für den Fall, dass sich die Unsicherheit lege und das wirtschaftliche Basisszenario eintrete, die EZB „noch eine Menge zu tun“ habe. „Wir lassen nicht nach in unserem Engagement, die Inflation zu bekämpfen.“ Der Lohndruck habe sich verstärkt.

Marktturbulenzen im Blick

Vor allem die Hardliner im EZB-Rat, die sogenannten „Falken“, dringen auf weitere Zinserhöhungen. Sie befürchten primär einen unkontrollierten Anstieg der Inflationserwartungen und eine Lohn-Preis-Spirale, mit der sich die Inflation vollends verfestigen würde. Die „Tauben“ dagegen mahnen zur Vorsicht. Lagarde deutete am Donnerstag an, dass einige Mitglieder des 26-köpfigen EZB-Rats die Zinserhöhung bereits dieses Mal hätten stoppen wollen. Drei oder vier Mitglieder seien der Meinung gewesen, die Zentralbank solle abwarten, bis Klarheit darüber besteht, „wie sich die Situation im Bankensektor entwickelt“.

Mit Blick auf die Turbulenzen hieß es am Donnerstag, der EZB-Rat beobachte „die aktuellen Marktspannungen genau und ist bereit, so zu reagieren wie erforderlich, um Preis- und Finanzstabilität im Euroraum zu wahren“. Man sei überzeugt, dass der Bankensektor der Eurozone widerstandsfähig sei und die Kapital- und Liquiditätspositionen solide. „In jedem Fall verfügt die EZB über alle geldpolitischen Instrumente, um das Finanzsystem des Euroraums erforderlichenfalls mit Liquiditätshilfen zu unterstützen und die reibungslose Transmission der Geldpolitik aufrechtzuerhalten.“

Auf der Pressekonferenz im Anschluss an den Zinsentscheid sagte Lagarde, dass die Notenbank „schwerwiegende Spannungen an den Finanzmärkten“ beobachte. „Der Bankensektor der Eurozone ist jedoch resilient“, so Lagarde. Die Finanzinstitute seien in einer wesentlich besseren Situation als noch im Jahr 2008 während der Finanzkrise.

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