Reeves' Finanzierungslücke gab es nicht
Reeves' Finanzierungslücke gab es nicht
Reeves' Finanzierungslücke gab es nicht
Britische Schatzkanzlerin muss sich mit Vorwürfen wie Marktmanipulation und Irreführung auseinandersetzen
hip London
Die britische Schatzkanzlerin Rachel Reeves erweckte vor der Vorstellung ihres Haushaltsentwurfs den Eindruck, nicht um eine Einkommenssteuererhöhung herumzukommen. Dann entschied sie sich dafür, andere Steuern und Abgaben zu erhöhen. Doch die angebliche Finanzierungslücke gab es gar nicht.
Marktmanipulation, Irreführung der Öffentlichkeit und von Kabinettskollegen – die britische Schatzkanzlerin Rachel Reeves muss sich mit Vorwürfen herumschlagen, die nicht zu einem Amt passen, für dessen Erfolg das Vertrauen von Anlegern und Märkten eine zentrale Rolle spielt. Der konservative Finanzpolitiker Mel Stride forderte eine Untersuchung der Vorgänge vor Veröffentlichung des Haushaltsentwurfs von Reeves durch die Finanzaufsicht FCA.
Es geht um das tiefschwarze Bild der öffentlichen Finanzen, das Reeves vor der Verkündung umfangreicher Steuererhöhungen gezeichnet hatte. Dafür führte sie unter anderem die drohende Senkung der Prognose der unabhängigen Haushaltshüter des Office for Budget Research (OBR) für die Produktivität an. In einer frühmorgendlichen Fernsehansprache warnte sie Anfang November, jeder müsse nun seinen Beitrag leisten.
„Ehrlich zu den Menschen"
Von einer Erhöhung der Einkommenssteuer um zwei Prozentpunkte war plötzlich die Rede. Dabei hatte Labour vor der Wahl versprochen, weder Einkommenssteuer, noch Sozialversicherungsbeiträge oder Mehrwertsteuer anzuheben. Goldman Sachs bezifferte die drohende Finanzierungslücke auf 30 Mrd. Pfund. Es machten aber auch noch höhere Annahmen die Runde. Eine schwächere Produktivität habe Folgen für die öffentlichen Finanzen, sagte Reeves. „Ich bin ehrlich zu den Menschen.“
Wenig später hieß es aus 11 Downing Street, eine Einkommenssteuererhöhung sei doch nicht nötig. Die chaotischen Vorgänge rund um den Haushalt sorgten für erhebliche Kursschwankungen. Davon war nicht nur der Markt für britische Staatsanleihen (Gilts) betroffen, sondern auch britische Aktien und das Pfund.
Reichlich Erklärungsbedarf
Nun stellte sich heraus, dass das schwarze Loch in der Staatskasse vom OBR am 17. September auf gerade einmal 2,5 Mrd. Pfund geschätzt worden war – weniger als ein Zehntel der allerorten kolportierten Zahlen. Es sei „zu keinem Zeitpunkt“ höher gewesen, schrieb OBR-Chef Richard Hughes in einem Brief an den Finanzausschuss des Unterhauses. Das OBR hat selbst reichlich Erklärungsbedarf, nachdem die wesentlichen Punkte des Haushaltsentwurf wegen eines Datenlecks vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangten.
Eine unabhängige Untersuchung kam zu dem Schluss, dass sich 32 verschiedene IP-Adressen Zugang dazu verschaffen konnten, indem sie in frühere Links den richtigen Monat einsetzten. Dabei habe sich gezeigt, dass auch schon auf den Märzbericht vor dessen Veröffentlichung zugegriffen wurde.
Haushaltshüter macht reinen Tisch
Die Haushaltshüter legten in einem bislang nicht dagewesenen Schritt ihre Kommunikation mit dem Schatzamt offen. Dabei kam heraus, dass Reeves schon Ende Oktober darüber informiert war, dass sie nach neuesten Schätzungen über ein Plus von 4,2 Mrd. Pfund verfügte. Die weiterhin hohe Inflation hatte Reeves höhere Steuereinnahmen beschert.
Doch geht es nach Premierminister Keir Starmer war das alles so in Ordnung. Man habe immer klar gemacht, was man erreichen wolle, sagte er bei einem Auftritt am Montag. Vor diesem Hintergrund sei unvermeidlich gewesen, dass Labour die Einnahmen würde erhöhen müssen. Da habe es keine Irreführung gegeben.
„Ein Desaster“
„Warum haben Keir und Rachel es zugelassen, dass das Land so lange glaubte, wir würden unser Wahlversprechen brechen (...), obwohl sie gewusst haben dürften, dass das nicht stimmte?“ zitiert dagegen die „Times“ ein namentlich nicht genanntes Kabinettsmitglied. „Zu keiner Zeit wurde das Kabinett über die wirklichen OBR-Prognosen informiert.“ Der Umgang mit diesem Haushaltsentwurf sei „ein Desaster“ gewesen.
Nigel Farage, der Führer von Reform UK, wandte sich unterdessen an Laurie Magnus, der Starmer in Ethikfragen berät. Er müsse prüfen, ob Reeves gegen die Standards für Minister (Ministerial Code) verstoßen habe. Ein entsprechendes Verdikt führte im September zum Rücktritt von Starmers Stellvertreterin Angela Rayner.
