IM BLICKFELD

Sieg der Antipolitik in Italien

Von Thesy Kness-Bastaroli, Mailand Börsen-Zeitung, 27.2.2013 Italien hat gewählt. Die Sieger heißen Beppe Grillo mit seiner Protestbewegung M 5 S (Movimento 5 Stelle - Bewegung der fünf Sterne) sowie Silvio Berlusconi mit seiner Traditionspartei...

Sieg der Antipolitik in Italien

Von Thesy Kness-Bastaroli, MailandItalien hat gewählt. Die Sieger heißen Beppe Grillo mit seiner Protestbewegung M 5 S (Movimento 5 Stelle – Bewegung der fünf Sterne) sowie Silvio Berlusconi mit seiner Traditionspartei Volk der Freiheit (PDL). Gemeinsam haben der Großmeister des Populismus und der Demagoge par excellence 50 % aller Stimmen auf sich vereint. Gesiegt hat, was man hier “antipolitica”, Antipolitik, nennt. Die Stimmen der Vernunft haben nicht gepunktet. Weder das solide, aber eher langweilig anmutende Wahlprogramm der Linksdemokraten (PD), noch die in der “Agenda Monti” thematisierten Reformvorhaben sind bei den Wählern gut angekommen. Grillo hat seine Anti-alles-Bewegung ohne Vorschläge, geschweige denn ein inhaltsreiches Wahlprogramm zu einer der stärksten politischen Kräfte des Landes gemacht. Die Hetzparolen des Anti-Europäers werden sich zweifellos auf Italiens Verhältnis zu Europa auswirken. Die Finanzmärkte haben bereits reagiert.Dem Ex-Premier Berlusconi ist eine unglaubliche Aufholjagd gelungen. Denn noch um die Weihnachtszeit war seine Partei politisch de facto klinisch tot. Mittels seiner Hausmedien gelang es ihm, seine verantwortungslosen Versprechungen wieder populär zu machen. Die versprochene Rückzahlung der Immobiliensteuer Imu hat die steuerbelasteten Italiener zweifellos verführt. Da Berlusconi kaum mit der Regierungsbildung betraut werden wird, muss er auch sein Versprechen der Steuerrückzahlung nicht einlösen.Beiden Politikern gemeinsam ist ein absoluter Mangel an Sinn für Gemeinwesen, Staatsverantwortung und für Europa. Sie regieren auf der Piazza, nicht im Parlament. Sie zeigen, wie sehr herkömmliche politische Parteien bereits ihre Funktion als Katalysatoren von Interessen verloren haben. Ist Grillo ein Newcomer in diesem Spiel, hat Berlusconi es erfolgreich vergessen lassen, dass er schon 20 Jahre Teil des Systems ist, dessen die Italiener überdrüssig sind. Demagogen, die mit der Demokratie nichts zu tun haben wollen, sondern primär ihren eigenen ideologischen Eifer oder ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzen wollen, haben im italienischen Parlament eine große Mehrheit. Dies ist kein gutes Signal. Weder für Italien noch für Europa. Das Wahlergebnis ist deutlich. Der Bipolarismus der zweiten Republik ist passé.Italien wird neuerdings in drei Lager geteilt: Die Mitte-rechts-Koalition von Berlusconi, die Mitte-links-Koalition von PD-Parteisekretär Pierluigi Bersani und die Protestbewegung von Grillo. Kleinere Parteien, wie etwa die Zentrumspartei Futuro Italia (FI) des einstigen Berlusconi-Allierten Gianfranco Fini oder aber die Antikorruptionspartei Italia dei Valori (IDV) des Ex-Staatsanwaltes Antonio Di Pietro werden künftig nicht mehr im Parlament vertreten sein.Das Ergebnis der Wahlen mit einer nur minimalen Mehrheit der Linksdemokraten in der Abgeordnetenkammer und keiner klaren Mehrheit im Senat ist das “schlimmste zu erwartende Szenario”, so Politologe Ilvo Diamanti. Dieses Ergebnis hat unabsehbare Konsequenzen: sowohl für die Italiener wie auch für die Europäische Union. Die kleinen Sanierungserfolge Mario Montis stehen auf dem Spiel. Die Euro-Krise muss nun wohl wieder aus der Ablage zurückgeholt werden. Neuwahlen unvermeidbarEs könnte im Sinn der vereinigten Antipolitiker sein, dass es auch in Zukunft kein Wahlrecht geben wird. Sie könnten dafür sorgen, dass sich die Bürger noch weiter der Politik entfremden. Neuwahlen, so mutmaßen die Auguren in Rom, seien unvermeidbar. Die Frage ist, ob sie in sechs Monaten oder in zwei Jahren stattfinden, bestätigte Meinungsforscher Prof. Renato Mannheimer. Die Chancen der Italiener auf einigermaßen normale Verhältnisse sind gering. Insofern wird fieberhaft nach einem Ausweg aus der Pattsituation gesucht.Berlusconi hat bereits am Dienstag die Möglichkeit einer Großen Koalition mit den Linksdemokraten ins Auge gefasst. Bei den Linksdemokraten zeigt man sich vorsichtig. Nichi Vendola von den extremen Linken (SEL) würde ein Zusammengehen mit der Protestbewegung Grillos vorziehen. Dieser will aber nichts davon wissen. Unsicher ist, ob eine mögliche Große Koalition von PD-Parteisekretär Bersani geleitet wird. Die PD muss in Kürze entscheiden, welchen Weg sie einschlagen wird. Denn die Notwendigkeit von Reformen ist unvermeidbar, will Italien in der Europäischen Union bleiben. Mit der gegenwärtigen Konstellation ist kein Gesetz durchzubringen. Allein regieren kann die PD nicht, gemeinsam mit Monti auch nicht. Denn die knappen 10 % Stimmenanteile von Montis Zentrumspartei reichen nicht aus, um der PD die nötige Mehrheit im Senat zu sichern.Inzwischen wird der Ruf nach einem “neuen Monti” lauter, der Italien zumindest bis zu Neuwahlen in einem halben oder einem Jahr führen könnte. Monti ist als Regierungschef aus dem Rennen. Denn der Wirtschaftsprofessor hat sich inzwischen politisch engagiert. Auch sein Ruf, der Kandidat Europas, aber nicht Italiens zu sein, macht eine Wiederkandidatur so gut wie unmöglich. Monti hat zwar Italien vor dem Default gerettet, nicht aber die Italiener, heißt es. Diese seien während seiner Amtszeit verarmt. Als möglicher Kandidat für Montis Nachfolge wird der ehemalige Regierungschef, Finanzminister und Sozialist Giuliano Amato genannt.Der politisch gut informierte Finanzier Francesco Micheli spricht von einer möglichen großen Koalition, an der nicht nur PDL und die Linksdemokraten, sondern auch die Zentrumspartei von Monti beteiligt sein sollen. Berlusconi könnte als Präsident des Senats seine Ambitionen pflegen, Bersani als Regierungschef sein Amt ausüben und Monti würde als Wirtschafts- und Finanzminister das Vertrauen Italiens in Europa wieder herstellen.Die Entwicklung an den Finanzmärkten am Dienstag, der Kursrutsch am Mailänder Aktienmarkt, die Zunahme der Zinsdiskrepanz zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen gibt zu denken. Laut dem Finanzier Francesco Micheli sind die eigentlichen Leidtragenden der Wahlen die Banken. Auf deren Bilanzen lasten künftig nicht nur die höheren Zinsdiskrepanzen mit Deutschland. Auch die Problemkredite werden durch die verschärfte Polit- und Wirtschaftskrise zunehmen. Zweifellos wird sich auch die bereits prekäre Situation der Industrieunternehmen zuspitzen. “Unternehmen brauchen klare Spielregeln, meinte Dr. Norbert Pudzich, Geschäftsführer der deutsch-italienischen Handelskammer in Mailand. Wenn die Politik diese Spielregeln nicht mehr gewährleisten könn e, würden die Unternehmen sich darauf einstellen und ihr Risiko zu minimieren versuchen. “Das wird nicht ohne Einfluss auf die Investitionstätigkeit im Allgemeinen und die ausländischen Investitionen im Besonderen bleiben.”