Konjunktur

Spaniens Regierung belässt Prognose

Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calviño lässt sich durch die deutliche Abwärtsrevision der Wachstumszahlen für das zweite Quartal nicht von ihrem Konjunkturoptimismus abbringen. Mittelfristig kommt es vor allem auf anstehende Reformen an.

Spaniens Regierung belässt Prognose

Von Thilo Schäfer, Madrid

Die spanische Regierung hält an ihrer Wachstumsprognose fest, obwohl das Nationale Statistikamt INE die Zahlen des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für das zweite Quartal ungewöhnlich deutlich nach unten korrigiert hat. „Wir rechnen damit, dass die Konjunktur bis Ende des Jahres wieder das Niveau von vor der Krise erreicht haben wird“, erklärte Wirtschaftsministerin Nadia Calviño am Sonntag in einem Interview mit „El País“. Am Dienstag vergangener Woche hatte Calviño die überarbeitete Prognose der Regierung vorgestellt, die einen Anstieg des BIP von 6,5% in diesem und von 7% im kommenden Jahr vorsieht.

Doch am Donnerstag überraschte das INE mit einer drastischen Korrektur für das BIP im zweiten Quartal. Statt des im Juli gemeldeten Zu­wachses von 2,8% gegenüber den ersten drei Monaten des Jahres steht nun ein Anstieg von lediglich 1,1% zu Buche. Die Wachstumszahlen im Jahresvergleich senkten die Statistiker von 19,8% auf 17,5%. Spanien wurde 2020 härter vom Ausbruch der Corona-Pandemie getroffen als die meisten europäischen Nachbarn, das BIP brach um 10,8% ein.

Das Statistikamt erklärte die deutliche Revision damit, dass der Verbrauch der Privathaushalte von April bis Juni viel schwächer war als zunächst angenommen, wie man anhand der nachträglich gelieferten Daten des Finanzamtes über den Umsatz der Unternehmen ablesen konnte. Außerdem sanken die Ausrüstungsinvestitionen im zweiten Quartal mit 3,1% doppelt so stark wie im Juli angenommen.

Auch die meisten Volkswirte wurden vom INE überrascht. Am Dienstag hatte die Industrieländerorganisation OECD ihre Prognose für die spanische Wirtschaft um 0,9 Prozentpunkte auf ein Wachstum von 6,8% in diesem Jahr angehoben. Die spanische Notenbank verbesserte ihren Ausblick leicht auf 6,3%. Fast alle Experten hatten bislang ein Wachstum von 6% und mehr für 2021 erwartet. Doch nach der Revision des INE berechnen die Volkswirte ihre Zahlen nun neu.

Unverändert optimistisch

Calviño lässt sich nicht ihres Optimismus berauben. Die Wirtschaftsministerin und Stellvertreterin von Ministerpräsident Pedro Sánchez vertraut auf die rasche Erholung des Tourismus dank des Fortschrittes der Impfkampagnen und des Wegfalls von Reisebeschränkungen in Europa. Außerdem sei durch die Hilfen an Firmen und das Kurzarbeitergeld eine bessere Grundlage für die konjunkturelle Wiederbelebung gegeben als nach der Finanzkrise vor zehn Jahren. „Dadurch werden sich der Konsum und die Investitionen schneller erholen, und wir werden eine robustere und sozial gerechtere Wiederbelebung sehen“, sagte sie.

Mittelfristig kommt viel auf die anstehenden Reformen an, die die EU-Kommission im Gegenzug für die Milliardenhilfen aus dem Wiederaufbaufonds verlangt. Das gute Verhältnis der Koalitionsregierung der Sozialisten von Sánchez und Calviño und dem Linksbündnis Unidas Podemos mit den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden wurde zuletzt getrübt. Denn die Unternehmen sahen sich bei der von Regierung und Arbeitnehmerverbänden vereinbarten Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns übergangen. Der Dachverband der Arbeitgeber CEOE hatte zudem die Blaupause der Regierung für eine Arbeitsmarktreform als „marxistisch“ beschrieben. Bei den Verhandlungen über eine Rentenreform kommen die drei Seiten besser voran. Calviño ist zuversichtlich, dass man bis Ende des Jahres beide Reformen auf den Weg bringen werde.

Auch der Haushalt für 2022, ein entscheidendes Instrument, um die EU-Hilfen umzusetzen, steht vor Hürden. Sozialisten und Linke debattieren noch über mögliche Steuererhöhungen. Die Minderheitsregierung ist im Parlament auch noch auf Stimmen anderer Parteien angewiesen. Der letzte Haushalt wurde dank der 13 Abgeordneten der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) verabschiedet. Durch die Festnahme des früheren katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont letzte Woche in Italien ist die Zusage der Republikaner für den Haushalt aber erst einmal ungewiss.