Auftragspolster wird dünner

Deutsche Industrie fällt weiter zurück

Großaufträge im Flugzeugbau beflügeln, die Automobilindustrie bremst: Insgesamt schwindet das Auftragspolster der deutschen Industrie auch im März. Zudem geht es auch mit der Wettbewerbsfähigkeit weiter bergab.

Deutsche Industrie fällt weiter zurück

Deutsche Industrie fällt weiter zurück

Auftragspolster wird dünner – Reichweite steigt – Wettbewerbsfähigkeit schwindet seit zwei Jahren

Großaufträge im Flugzeugbau beflügeln, die Automobilindustrie bremst: Insgesamt schwindet das Auftragspolster der deutschen Industrie auch im März. Zudem geht es seit zwei Jahren mit der Wettbewerbsfähigkeit immer weiter bergab, wie die Ifo-Umfragen und eine KfW-Studie zeigen.

ba Frankfurt

Um die deutsche Industrie ist es nicht gut bestellt: Die Neubestellungen kommen nur spärlich herein, das Auftragspolster wird immer dünner und die Wettbewerbsfähigkeit erodiert. Trotz der jüngsten vom Ifo-Institut und von S&P Global ermittelten Stimmungsaufhellung wird es noch etwas dauern, bis die Industrie wieder auf den Wachstumskurs einschwenkt. In vielen anderen Ländern indes erholt sich der Sektor bereits, während hierzulande strukturelle Faktoren noch bremsen.

Autoindustrie belastet

Im März ist der Auftragsbestand im verarbeitenden Gewerbe preis-, saison- und kalenderbereinigt um 0,4% zum Vormonat gesunken, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte. Im Vergleich zum Vorjahresmonat schrumpfte der Auftragsbestand kalenderbereinigt um 5,8%. Wie schon in den vergangenen Monaten war es vor allem die Automobilindustrie, die das Ergebnis belastete. Hier fiel der Auftragsbestand den 14. Monat in Folge zurück, und zwar um 2,4% im Monatsvergleich. Vor allem dank eines Großauftrags im Bereich Flugzeugbau wurde der Rückgang durch den Anstieg von 0,9% im Bereich sonstiger Fahrzeugbau, zu dem neben Flugzeugen auch Schiffe und Züge zählen, allerdings fast ausgeglichen.

Höhere Reichweite

Während die offenen Aufträge aus dem Inland um 1,1% geringer ausfielen als im Vormonat, sank der Bestand an Auslandsaufträgen um 0,1%. Die Reichweite hingegen, also die Zeit, die die Unternehmen bei gleichbleibendem Umsatz theoretisch produzieren müssten, um die bereits vorhandenen Aufträge abzuarbeiten, hat im März weiter zugelegt: Für März melden die Statistiker eine Reichweite von 7,2 Monaten – im Januar und Februar waren es noch 7,1 Monate, nach 7,0 Monaten im Dezember.

„Der Abwärtstrend ist weiter intakt, der Bestand schmilzt beständig dahin“, kommentierte Alexander Krüger, Chefvolkswirt bei der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Die Kapazitätsauslastung bleibe damit unter Druck. Angesichts der Stimmungslage werde der Bestand fortan wohl kaum in Serie wachsen. „Letztlich ist es vor allem die Wettbewerbsfähigkeit, die dem Sektor zu schaffen macht“, betont Krüger.

Nur wenige Ausnahmen

Bereits seit zwei Jahren verschlechtert sich die Wettbewerbsposition der deutschen Industrie innerhalb der EU und auf den Weltmärkten, wie die monatlichen Ifo-Umfragen zeigen. Innerhalb der EU würden die Unternehmen seit dem dritten Quartal 2022 berichten, dass sie bei der Wettbewerbsposition zurückfallen. Ähnliches gelte auf den Weltmärkten außerhalb der EU, heißt es bei den Münchener Wirtschaftsforschern. Dort habe diese Entwicklung schon im ersten Quartal 2022 begonnen. „Für die deutsche Industrie wird es schwieriger, sich im Wettbewerb zu behaupten“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen.

Nahezu alle Branchen in der Industrie würden berichteten, dass sich ihre Wettbewerbsposition zu Jahresbeginn im Vergleich zum Vorquartal verschlechtert hat – mit Ausnahme der Pharmaindustrie sowie der Hersteller von Holzwaren, aber ohne Möbel. Mit Blick auf die Märkte außerhalb der EU erwies sich die Getränkeindustrie als einzige Ausnahme. Aber „auch im Inland sehen sich mehr und mehr deutsche Unternehmen unter Druck“. Bis Ende 2022 habe es nahezu immer eine Tendenz gegeben, dass sich die Unternehmen mehrheitlich gut auf dem Inlandsmarkt behaupten konnten: „Dies änderte sich vor einem Jahr.“

KfW macht Licht und Schatten für den Standort aus

Eine KfW-Studie wiederum ergibt ein gemischtes Bild für den Standort Deutschland. So sei die Bundesrepublik etwa in einem Umfeld mit zunehmenden geopolitischen Konflikten und Handelsbeschränkungen wegen ihrer hohen Exportorientierung sehr verletzlich. Trotz insgesamt hoher Diversifikation der deutschen Export- und Importmärkte bleibe China beim Handel und bei den Gewinnen aus Direktinvestitionen aber ein Klumpenrisiko. Auch bei der Energieversorgung macht die KfW einen Wettbewerbsnachteil durch die Kosten vor allem in Relation zu den USA und Kanada aus. „Weitere Schwächen liegen bei vergleichsweise niedrigen öffentlichen Investitionen und einer hohen Steuerbelastung von Investitionserträgen für die Unternehmen“, heißt es weiter. Sorgen bereitet auch die demografische Entwicklung, die zu einem besonders starken Rückgang der Erwerbsbevölkerung führen dürfte, sowie die Qualifikation zukünftiger Erwerbspersonen.

Zu den Stärken zählt die KfW hingegen die Innovationskraft und (noch) die gut ausgebildeten Arbeitskräfte. Allerdings, so schränken die KfW-Ökonomen ein, hapere es beim Technologietransfer in kleinere Unternehmen und bei der Umsetzung von „Erfindungen“ in Unternehmensgründungen. „Hier manifestiert sich auch eine noch zu geringe Rolle der Wagniskapitalfinanzierung.“ In Sachen Digitalisierung rangiere Deutschland sogar nur im Mittelfeld.

Weitere Stärken würden im Bereich des Kapitalangebots liegen, „wo der Standort Deutschland mit einem guten Finanzierungszugang auch für kleine und mittelständische Unternehmen punktet sowie mit einem relativ hohen Realkapitalstock und einer international noch immer hervorragend bewerteten Transportinfrastruktur“, heißt es weiter. „Insgesamt besteht ein hoher Handlungsdruck, um die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts zu sichern“, lautet das Resümee der KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. In der Vergangenheit hätten die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft immer wieder bewiesen, dass der Standort Veränderungen bewältigt und sich an neue Gegebenheiten anpasst. Dazu müssten jetzt alle Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ihren Beitrag leisten.

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