Volker Treier

„Verheerendes Signal verhindert“

Volker Treier vertrat die deutschen Wirtschaftsinteressen beim WTO-Gipfel. Der DIHK-Außenwirtschaftschef erklärt, was ihn erleichtert und verärgert hat – und wo die USA auch unter Joe Biden anders ticken.

„Verheerendes Signal verhindert“

Stefan Reccius.

Herr Treier, der WTO-Gipfel hat nach harten Verhandlungen ein Kompromisspaket gefunden und darin Ihren Wunsch erfüllt, das Zollmoratorium im Datenverkehr zu verlängern. Ende gut, alles gut?

Für uns ist die Verlängerung des Moratoriums das wichtigste Ergebnis. Zumal alles andere ein schlechtes Signal der Rückentwicklung der WTO gewesen wäre. Ohne das Moratorium könnten wieder Zölle erhoben werden, und zwar im modernsten aller Bereiche: digitale Technologien und Daten. Die WTO-Mitglieder haben gerade noch mal verhindert, dass von der Ministerkonferenz ein verheerendes Signal der Desintegration ausgeht.

Warum ist das Moratorium für die industriell geprägte deutsche Wirtschaft so wichtig?

Daten sind heutzutage ein treibendes Element für Industrieentwicklung. Das geht nicht mehr ohne Industrie 4.0. Und Unternehmen in der Industrie 4.0 sind angewiesen auf den freien Datenverkehr.

Indien hat mit seiner Blockadehaltung in diesem und anderen Bereichen nicht gerade Standortwerbung betrieben, oder?

Deutsche Unternehmen orientieren sich laut unseren Umfragen in ihren Lieferketten um und suchen neue Produktionsniederlassungen – nicht zuletzt wegen Chinas Corona-Politik. Das ist eine große Chance für Indien. Wir haben unseren indischen Kollegen in Genf klargemacht, dass diese Herangehensweise da kontraproduktiv ist. Die Bürokratie ist in Indien ohnehin ausgeprägter als an den meisten anderen Standorten.

Gibt es ein Land, das in Genf als Handelspartner besonders positiven Eindruck auf Sie gemacht hat?

Brasilien. Die brasilianische Delegation hat klargemacht, dass sie sich gegen Exportverbote und Exportsubventionen einsetzt. Das Land praktiziert hier bei der WTO eine stark an ökonomischen Kriterien orientierte Politik. Daher ist es so wichtig, das Mercosur-Freihandelsabkommen auf Seiten der EU zu ratifizieren. Das würde den Marktzugang in Brasilien und anderen südamerikanischen Ländern deutlich verbessern.

In Deutschland und der EU sorgt das Abkommen für viel Kritik. Hoffen Sie auf einen Machtwechsel in Brasilien im Herbst?

Unsere Hoffnungen beziehen sich grundsätzlich nicht auf die politische Führung eines Landes. Wenn das die EU aber in die Lage versetzen sollte, das Freihandelsabkommen zu ratifizieren, ist das zum beiderseitigen Vorteil. Im Nachhaltigkeitskapitel sind noch Veränderungen möglich.

Wie steht es um das angeschlagene Verhältnis zu den USA? Eine Reform der blockierten Streitschlichtung bei der WTO kommt nur langsam in Gang.

Mein Eindruck ist, dass die USA sehr wohl ein Interesse an einer funktionierenden Streitbeilegung samt Berufungsinstanz haben. Aber komplett zu ihren Konditionen. Das ist immerhin ein Fortschritt zur Vorgängerregierung, die die WTO als unsinniges Konstrukt betrachtet hat.

Ist der Handelspartner USA wieder verlässlicher geworden?

Ja – wenn man die Erwartungen richtig setzt. Mit marktabschottenden Elementen die eigene wirtschaftliche Souveränität hochzuhalten, ist bei den Demokraten vielleicht sogar noch stärker ausgeprägt als bei den Republikanern. Sie geben dem nur ein anderes Label: der Schutz heimischer Arbeitsplätze. Eine Neuauflage eines umfassenden Freihandelsabkommens wie TTIP ist kurzfristig illusorisch. Das weiß auch die EU.

Ist der vor einem Jahr von EU-Kommission und US-Regierung eingerichtete Handels- und Technologierat eine Alternative?

Der Start ist vielversprechend. Das ist eine geeignete Plattform, um zu verhindern, dass Standards bei neuen Technologien auseinanderlaufen. Und wir arbeiten bei Sanktionen und Exportkontrollen zusammen. Darüber hatten wir mit der US-Delegation einen guten Austausch. Der hat aber auch gezeigt, dass die WTO für die EU-Kommission und die europäische Wirtschaft nach wie vor ein stärkeres Gewicht als für die USA.

Gehen die USA einfach pragmatischer mit der Erkenntnis um, dass die Weltwirtschaft in Blöcke zerfällt?

Wenn man diesen Eindruck in Verhandlungen bei der WTO zementiert, wird das zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Wir halten an einer anderen Vorgehensweise fest.

Also am regelbasierten, aber mitunter mühsamen Ansatz der WTO?

Genau. Wir sind geprägt von einer mittelständischen Wirtschaft. Die kann sich Analysen zu Ursprungsregeln und umfassende Nachweispflichten in kleinen Märkten oft nicht leisten, weil die Kosten die Vorteile überwiegen. Zwei Drittel des deutschen Handels außerhalb der Europäischen Union basiert direkt und nur auf WTO-Regeln. Deshalb sind geregelte Märkte mit fairen, nichtdiskriminierenden Marktzugängen so wichtig.

Ist es vor diesem Hintergrund nicht bedauerlich, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck seinen Staatssekretär vorgeschickt hat, statt selbst zum WTO-Gipfel zu kommen?

Als Anhänger eines regelbasierten, multilateralen Ansatzes ist es für uns immer besser, wenn der Handelsminister wirklich präsent ist. Herr Habeck wird gute Gründe haben, nicht nach Genf gekommen zu sein. Die deutschen Interessen wurden hier auch so eingebracht. Am Verhandlungstisch sitzt ohnehin die EU, die Abstimmung läuft sehr gut.

Das Interview führte

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