Verbraucherpreise

Wie es 2022 mit der Inflation weitergeht

Die Inflation in Deutschland hat 2021 rasant angezogen. Für 2022 wird nun verbreitet ein Rückgang erwartet. Tempo und Ausmaß sind aber umstritten. Was spricht für eine stark sinkende Inflation – und was dagegen?

Wie es 2022 mit der Inflation weitergeht

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Die Inflation in Deutschland hat 2021 einen rasanten und in dem Ausmaß für nahezu alle Experten überraschenden Anstieg verzeichnet. Nachdem sie gemäß dem für EU-Zwecke berechneten Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) im Dezember 2020 sogar noch deutlich unter null bei –0,7% gelegen hatte, schnellte sie bis November auf 6,0% empor. Im Dezember gab es nun laut einer Vorabschätzung des Statistikamts Destatis von Donnerstag einen leichten Rückgang auf 5,7%. In nationaler Rechnung (VPI) war der Anstieg nicht minder imposant – von –0,3% im Dezember 2020 auf 5,3% im Dezember 2021. Das ist der höchste Stand seit Juni 1992.

Die große und spannende Frage ist nun, wie es in diesem Jahr weitergeht. Diese Frage ist umso wichtiger, weil die Inflationsentwicklung in Deutschland als größter Volkswirtschaft im Euroraum naturgemäß auch einen erheblichen Einfluss auf die Euro-Inflation hat – und damit auch auf die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

Verantwortlich für die aktuell sehr hohe Inflation sind zum einen Sonderfaktoren. So sind etwa die Preise im ersten Pandemiejahr teilweise stark eingebrochen, und zur Jahresmitte 2020 hatte die Bundesregierung temporär die Mehrwertsteuer gesenkt und das 2021 wieder zurückgenommen. Zudem schlägt sich die neue CO2-Bepreisung zu Jahresbeginn 2021 nieder. Hinzu kommt, dass im Zuge der Wiedereröffnung der Wirtschaft nach der Akutphase der Coronakrise das Angebot nicht mit der Nachfrage mithalten konnte – was die Preisdynamik befeuerte.

Die verbreitete Erwartung ist nun, dass sich die Sonderfaktoren und das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage in diesem Jahr allmählich abschwächen werden. Tatsächlich fällt bereits im Januar der Mehrwertsteuereffekt aus der Inflationsberechnung heraus. Das allein könnte die Inflationsrate in Deutschland um rund einen Prozentpunkt senken. Für den weiteren Verlauf des Jahres wird dann ein weiterer Rückgang erwartet. Wie schnell das geht und wie stark der Rückgang ausfällt, ist aber umstritten.

So erwartet etwa Union-Investment-Chefökonom Jörg Zeuner, dass die Teuerung deutlich zurückgeht und Ende des Jahres auf etwas unter 2% sinkt. „Auch rückläufige oder zumindest stabile Ölpreise dürften in diesem Jahr Druck vom Inflationskessel nehmen“, sagt Zeuner. Dagegen warnen andere Volkswirte, dass die Entwicklung weniger positiv ausfallen könnte. So glaubt Michael Heise, lange Jahre Chefvolkswirt der Allianz und jetzt in gleicher Funktion bei HQ Trust, dass das Preisumfeld zunächst „sehr angespannt bleibt“. Wegen des Mehrwertsteuereffekts erwartet er zwar für Januar einen Rückgang der Inflation auf rund 4,5%. Dann aber werde die Inflation „für einige Monate auf diesem Niveau“ bleiben. Im Jahresdurchschnitt erwartet er 3,5% Inflation. Tatsächlich dürften absehbar vor allem die stark gestiegenen Gas- und Strompreise für anhaltenden Druck sorgen.

Sorgen bereitet zunehmend auch, dass der Inflationsanstieg an Breite gewinnt. Carsten Brzeski, Global Head of Macro bei der ING, rechnete am Donnerstag vor, dass inzwischen fast die Hälfte der 92 größten Komponenten des Inflationskorbs eine Teuerungsrate von 4% oder mehr aufweise. Vor einem Jahr habe der Anteil bei weniger als 10% gelegen. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, sprach am Donnerstag von „alarmierenden Zahlen“. „Es besteht die Gefahr, dass die Inflation auch in Europa ein hartnäckiges Problem wird“, sagte Kater.

Von entscheidender Bedeutung ist nun, ob es noch zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt – die Arbeitnehmer also deutlich höhere Löhne durchsetzen und die Unternehmen daraufhin die Preise weiter erhöhen. Bislang ist davon nichts zu sehen. 2021 stiegen die Tariflöhne in Deutschland laut der vorläufigen Jahresbilanz der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung nur um 1,7% – bei einer Inflation von 3,1%. Nicht zuletzt die IG Metall hat aber angekündigt, dass bei den Tarifrunden 2022 höhere Löhne im Mittelpunkt stünden – wegen der hohen Inflation.

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