AMERIKA HAT GEWÄHLT

Wirtschaftspolitik am Scheideweg

Biden würde als Präsident Unternehmen höher besteuern und in erneuerbare Energien investieren

Wirtschaftspolitik am Scheideweg

Ein Wahlsieg des vorne liegenden Joe Biden würde zu einschneidenden Veränderungen in der US-Wirtschaftspolitik führen. Er will Spitzenverdiener höher besteuern und in erneuerbare Energien investieren. Die Handlungsfähigkeit des Präsidenten wird aber auch von der Zusammensetzung des neuen Kongresses abhängen. det Washington – Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl steht auf der Kippe, und obwohl derzeit der demokratische Kandidat Joe Biden die besseren Karten hält, erscheint eine Lawine von Gerichtsverfahren, die der Verlierer einleiten würde, unausweichlich. Dabei wird die Frage, ob Biden oder Trump am 20. Januar kommenden Jahres tatsächlich als Präsident vereidigt wird, ebenso wie die Zusammensetzung des neuen Kongresses maßgeblichen Einfluss haben auf die US-Wirtschaftspolitik. Sollte es nicht gelingen, ein neues Konjunkturpaket noch vor Jahresende zu verabschieden, hätte das sicherlich oberste Priorität.Die von vielen erwartete “blaue Welle”, also ein demokratischer Durchmarsch in beiden Kongresskammern, ist jedenfalls ausgeblieben. Im Repräsentantenhaus könnten Demokraten sogar einige Sitze verloren haben, und ihre Hoffnung, auch im Senat die Mehrheit zu erobern, scheint sich zu verflüchtigen. Machtverlust für PelosiErhebliche Machteinbußen wird folglich Nancy Pelosi, die ranghöchste Demokratin in der unteren Kongresskammer, erleiden. Bemühungen, sie als Oppositionschefin abzulösen, sind bereits in vollem Gange. Die Besetzung des Postens mit einem politisch moderaten Kandidaten könnte wiederum die Konsensfähigkeit zwischen tief gespaltenen Republikanern und Demokraten deutlich erhöhen.Entscheidend bleibt dennoch zunächst einmal die Präsidentschaft. Sollte Donald Trump weitere vier Jahre im Amt bleiben, dann wäre er ein Garant für Kontinuität. Trump will seinen bisherigen Kurs fortsetzen und ohne Rücksicht auf die defizitären Folgen neue Steuersenkungen durch den Kongress bringen. Beibehalten würde er auch Alleingänge im Handel und versuchen, bilaterale Verträge mit wichtigen Partnerländern auszuhandeln. Auch plädiert er für umfangreiche Infrastrukturinvestitionen und will insbesondere fossile Energieträger fördern.Einen starken Kontrast dazu stellen die Pläne des Demokraten Biden dar. Im Gegensatz zu Trump, der den Klimawandel faktisch leugnet, setzt der ehemalige Vizepräsident voll auf erneuerbare Energien. Durch entsprechende Investitionen glaubt er, 10 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen zu können. Und obwohl Demokraten jene sind, die von Republikanern typischerweise zu “verschwenderischen Liberalen” gestempelt werden, begreift Biden die Notwendigkeit, die Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen.Der Demokrat und seine Berater wissen, dass die Budgetbehörde Congressional Budget Office dieses Jahr mit einem Anstieg der Defizitquote auf 16 % rechnet und in den kommenden zehn Jahren die Schuldenquote historische Höchststände erreichen wird. Folglich will er sicherstellen, dass die über 1,3 Bill. Dollar an Investitionen, die in grüne Energien, Infrastruktur und das Gesundheitswesen fließen sollen, auch gegenfinanziert sind. Wettbewerbsfähig bleibenDeswegen plädiert der frühere Vizepräsident für eine Anhebung des Unternehmenssteuersatzes. Dieser war als Folge von Trumps Steuerreform von 35 auf 21 % heruntergeschraubt worden. Biden erkennt einerseits die Notwendigkeit an, durch Steuererleichterungen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie zu verbessern, will den Satz auf der Suche nach einem Mittelweg aber wieder auf 28 % erhöhen. Vorgesehen wären unter einem demokratischen Präsidenten Biden zudem höhere Einkommensteuersätze für Spitzenverdiener, von denen aber jeder Haushalt mit einem Jahreseinkommen unter 400 000 Dollar verschont bliebe.Trump forderte schon während des Wahlkampfs eine weitere Herabsetzung der Lohnsteuer und wollte für einige Zeit seine Zustimmung zu einem neuen Konjunkturpaket davon abhängig machen. Vorschläge zur Gegenfinanzierung hatten der Präsident und die Republikaner im Kongress aber bis zuletzt keine vorgelegt. Trumps Strategie zur Bekämpfung des amerikanischen Staatsdefizits erschöpfte sich in der Behauptung, dass es “kein Problem” sein würde, dieses binnen weniger Jahre zu eliminieren.Biden war während der neunziger Jahre zwar ein Verfechter des viel kritisierten Nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta, lobte aber dennoch das Nachfolgeabkommen USMCA, welches Trumps Berater ausgehandelt hatten. Deutlich offener als der Präsident wäre er für multilaterale Vereinbarungen, würde – wie schon Obama – den Fokus aber stärker auf den asiatisch-pazifischen Raum als auf Europa richten. Mehr Respekt für die FedSicher erscheint auch, dass Biden im Gegensatz zu Trump nicht versuchen würde, der US-Notenbank ins Handwerk zu pfuschen. Monatelang hatte der Präsident die Währungshüter gedrängt, den Leitzins zu senken, und dem Fed-Vorsitzenden Jerome Powell “Inkompetenz” vorgeworfen. Erst als die Zentralbank als Reaktion auf die Rezession den Tagesgeldsatz auf null herunterschraubte, ließ die Kritik seitens des Weißen Hauses nach.Zu erwarten wäre unter einem Präsidenten Biden zum einen, dass er Powell eine weitere, vierjährige Amtsperiode anbietet. Insbesondere würde er aber die Unabhängigkeit der Fed respektieren und nicht versuchen, diese zu politischen Zwecken vor seinen Karren zu spannen.