Geldpolitik

Zinssenkung in Türkei trotz hoher Inflation

Zwar gab es Anzeichen für eine Zinssenkung in der Türkei – trotzdem hat der Zeitpunkt des Beschlusses Analysten und Devisenhändler überrascht.

Zinssenkung in Türkei trotz hoher Inflation

rec Frankfurt

Die türkische Zentralbank hat trotz unvermindert hoher Inflation den Leitzins gesenkt – und mit dieser Entscheidung Analysten und Devisenhändler auf dem falschen Fuß erwischt. Am Donnerstag senkten die Währungshüter den Leitzins um 1 Prozentpunkt auf 18%. In einer Bloomberg-Umfrage hatte dies nur einer von 23 Ökonomen auf dem Schirm gehabt, alle anderen hatten mit einer abwartenden Haltung gerechnet. Die allgemeine Überraschung schlug sich auch am Devisenmarkt nieder: Die türkische Lira fiel zum Dollar auf ein Allzeittief.

Beobachter interpretierten die Entscheidung als Zugeständnis an Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Dieser hat wiederholt auf niedrigere Zinsen gedrungen und schreckte in der Vergangenheit nicht davor zurück, unvermittelt den Chef der Zentralbank auszutauschen, wenn ihm dessen Geldpolitik nicht passte. Seit März führt Sahap Kavcioglu die Geschäfte der Zentralbank, er gilt als Gefolgsmann des Staatschefs. „Erdogan bekommt seinen Willen“, kommentierte Jason Tuvey, Schwellenländerexperte des Analysehauses Capital Economics, den Beschluss. Noch deutlicher wurde Dennis Shen, Direktor der Ratingagentur Scope: Ohne eine Zinssenkung „hätte Kav­cioglus Job mutmaßlich auf dem Spiel gestanden“.

Eine Zinssenkung in diesem Jahr hatten Beobachter grundsätzlich nicht ausgeschlossen. In den letzten Wochen hatten Äußerungen Kav­cioglus zum Thema Inflation Beobachter zudem hellhörig werden lassen. Der oberste Währungshüter hebt neuerdings vor allem auf die Bedeutung der Kerninflation ab, womit er die Teuerungsrate unter Ausschluss der Nahrungsmittelpreise meinte. Diese gelten nicht nur als besonders schwankungsanfällig, sondern sind im Zuge des Post-Corona-Aufschwungs und aufgrund von Lieferengpässen außergewöhnlich stark gestiegen. Die Kerninflation hat sich zuletzt leicht abgeschwächt, auf 16,8%, während die Verbraucherpreise insgesamt im August um 19,3% zulegten. Dezente Anzeichen für einen bevorstehenden Kurswechsel gab es also. Dennoch rechnete die große Mehrheit der Beobachter zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit einer Zinssenkung, zumal die Währungshüter ihre Inflationserwartungen im Einklang mit jenen von Finanzmarktteilnehmern mehrmals nach oben geschraubt haben.

Zeitpunkt und Umfang hätten nun aber überrascht, schrieben die Volkswirte der US-Bank Citi. In der Begründung zum Zinsentscheid verwies die Zentralbank unter anderem darauf, dass die Kreditvergabe schwächelt. Die Wirtschaft der Türkei ist vergleichsweise robust durch die Coronakrise gekommen – befeuert durch starkes Kreditwachstum. Allerdings gilt die Erholung als fragil, auch weil der Arbeitsmarkt Probleme macht. Obwohl der Inflationsdruck in den nächsten Monaten hoch bleiben dürfte, halten Beobachter weitere Zinssenkungen für denkbar.