Akt auf dem Stromseil
Akt auf
dem Stromseil
Von Heidi Rohde
Der massive Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel droht auch die Grundfesten der Energiewende zu erschüttern. Denn die Vorreiterrolle der südeuropäischen Region beim Ausbau der erneuerbaren Energien, die in Spanien bereits zwei Drittel der installierten Leistung ausmachen, nährt den Argwohn, dass die als solches nicht steuerbaren Energieträger Sonne und Wind das Stromnetz womöglich vor ungeahnte Belastungsproben – und die Versorgungssicherheit infrage stellen. Das gilt nicht nur für die viel beschworene Dunkelflaute, sondern auch für die ganz unverfälschte Naturgewalt der beiden Wetterelemente, die dafür sorgen können, dass Masten und Leitungen unversehens vom Winde verweht sind.
Mit Netz und doppeltem Boden
Der spanische Blackout lässt deshalb auch die mitunter wohlfeile Kritik an der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit und dem Netz mit doppeltem Boden in einem neuen Licht erscheinen. Sie werden bisher gern ins Feld geführt, um den zögerlichen Fortschritt beim Ausbau einer anderen kritischen Infrastruktur zu begründen: Die Glasfaserversorgung wird demnach hierzulande maßgeblich gebremst durch teure Vorgaben bei der Verlegungstiefe. Diese Vorgaben tragen allerdings auch dazu bei, dass der Wartungsbedarf durch Frost und andere Schäden gering gehalten und der Schutz der Infrastruktur zumindest baulich maximiert wird.
Auch die Finanzjongleure bei Unternehmen und Staat trommeln angesichts des milliardenschweren Investitionsbedarfs für wind- und wetterfeste Erdstromtrassen seit einiger Zeit für günstige Alternativen in luftiger Höhe. Offen bleibt die Frage, woher all die Artisten unter den ohnehin knappen Elektrofacharbeitern kommen sollen, die im Störungsfall – der dann viel wahrscheinlicher wird – den Akt auf dem Stromseil bewältigen, um eine schnelle Reparatur zu gewährleisten.
Wartungsstau lässt nichts Gutes ahnen
Dabei kann selbst notorischen Optimisten nicht viel Gutes schwanen. Denn schließlich kommt der marode Zustand der schon bestehenden Schienen- und Straßeninfrastruktur vor allem von einem gigantischen Wartungsstau, bei dem es nicht nur am Geld, sondern auch an Fachkräften mangelt. Bevor ein weiteres Schlüsselnetz mit vorhersehbarem Lochmuster gewebt wird, empfiehlt sich, zuvor gedanklich die Reißprobe zu machen. Womöglich kommt man doch zu dem Schluss, dass sich das nötige Privatkapital, das den staatlichen 500-Mrd.-Euro-Fonds ergänzen soll, leichter mobilisieren lässt, wenn die Infrastruktur für die Energiewende zumindest Wind und Wetter sicher standhält.