Autofreie Hauptstadt
Notiert in Berlin
Autofreie Hauptstadt
Von Andreas Heitker
Wenn es ums Auto geht – genauer: um eine „Mobilitätswende“, die mit Einschränkungen im Individualverkehr verbunden sein könnte –, ist die Lunte bei vielen Deutschen bekanntlich besonders kurz. In Berlin werden diese Debatten um Parkplätze, Fahrradwege, Gebühren und den ÖPNV immer besonders emotional geführt, immer nahe an einem Kulturkampf. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner und seine CDU haben die Abgeordnetenhaus-Wahl 2023 ja sicherlich auch mit Versprechen für eine autofreundlichere Verkehrspolitik gewonnen. Angefeuert werden die Debatten jetzt noch vom Verfassungsgerichtshof der Hauptstadt, der in der letzten Woche den Weg frei gemacht hat für den Volksentscheid „Berlin autofrei“.
Nur noch zwölf Innenstadt-Fahrten pro Jahr erlaubt
Eine Initiative hatte einen entsprechenden Gesetzentwurf bereits 2021 zusammen mit rund 50.000 Unterschriften beim Berliner Senat eingereicht, der sich mit seinen Bedenken daraufhin an den Verfassungsgerichtshof wandte. Die Pläne der Initiative sehen vor, dass innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings fast alle Straßen mit Ausnahme der Bundesstraßen zu „autoreduzierten Straßen“ erklärt werden. Private Fahrten sollen dort pro Person nur noch zwölfmal im Jahr möglich sein, etwa für Umzüge. Ausnahmen soll es nur für Menschen mit Behinderung, die Feuerwehr, Müllabfuhr, Taxis sowie den Liefer- und Wirtschaftsverkehr geben.

picture alliance/dpa | Carsten Koall
Die einen schimpfen jetzt auf die „Extremisten“ der Autofrei-Initiative, die wiederum auf europäische Vorbilder verweisen, etwa auf Paris. Nachdem dort im letzten Jahr schon die Parkgebühren für SUV und andere schwere Autos verdreifacht wurden, stimmte im März bei einer Bürgerbefragung eine Mehrheit dafür, weitere 500 Straßen in der Innenstadt autofrei werden zu lassen. In Berlin bleibt es derweil bei dem eher lächerlichen Preis von 20,40 Euro für einen zweijährigen Anwohnerparkausweis.
Nach dem Urteil der Landesverfassungsrichter muss sich der Senat jetzt mit dem eingereichten Gesetzentwurf befassen. Wenn dieser wie erwartet abgelehnt wird, hat die Autofrei-Initiative vier Monate Zeit, Unterschriften von mindestens 7% der Berliner Wahlberechtigten zu sammeln, rund 170.000. Gelingt das, würde 2026 ein Volksentscheid folgen, der den Gesetzentwurf der Initiative in Kraft setzen würde, wenn er eine Mehrheit erhält und sich mindestens 25% der Wahlberechtigten beteiligen. Ein schönes Wahlkampfthema für die nächste Abgeordnetenhaus-Wahl, die im September 2026 ansteht.
Auch andere Volksentscheide waren schon erfolgreich
Auch wenn die Autofrei-Vorschläge selbst den Berliner Grünen etwas zu radikal erscheinen: Eine Annahme bei einem Volksentscheid ist durchaus vorstellbar. Zu erinnern sei etwa an die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ von linken Aktivisten, die ihr Anliegen 2021 in einem Volksentscheid durchgesetzt hatten. Obwohl: „Durchgesetzt“ ist vielleicht (noch) nicht das richtige Wort: Der Berliner Senat hat es bis heute erfolgreich geschafft, das nötige Rahmengesetz zur Vergesellschaftung zu verzögern.