Im Blickfeld:Anleger sehen Renditechancen

Boom bei Defense-ETFs trotz ESG-Debatte

Rüstungs-Investments erleben einen Boom: Milliarden fließen in sicherheitsbezogene Anlagen. Anleger sehen Renditechancen – und stellen sich Fragen zu Risiko und Ethik.

Boom bei Defense-ETFs trotz ESG-Debatte

Boom bei Defense-ETFs trotz ESG-Debatte

Rüstungs-Investments erleben einen Boom: Milliarden fließen in sicherheitsbezogene Anlagen. Anleger sehen Renditechancen – und stellen sich Fragen zu Risiko und Ethik.

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Rüstungs-ETFs erleben derzeit einen beispiellosen Boom. Innerhalb weniger Monate sammelten neue Fonds wie der Wisdom Tree Europe Defence über eine Milliarde Dollar ein. Produkte von HANetf, Van Eck oder Blackrock haben die Milliarde schon früher erreicht.

Der russische Überfall auf die Ukraine markierte eine sicherheitspolitische Zeitenwende für Europa – und zugleich einen Richtungswechsel an den Finanzmärkten mit neuen Angeboten. Jahrzehntelang galt der Verteidigungssektor in weiten Teilen der Fondsbranche als ethisch bedenklich. Doch die Debatte hat sich verschoben: Sicherheit wird heute nicht mehr als Gegensatz zur Nachhaltigkeit verstanden, sondern zunehmend als deren Voraussetzung.

Getrieben wird der Boom bei Rüstungs-ETFs auch durch die Militärausgaben. Diese stiegen 2024 so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In Deutschland wurde ein gewaltiges Sondervermögen für die Bundeswehr aufgelegt. Auch die NATO-Staaten haben ihre Verteidigungsausgaben kräftig erhöht: 18 von 32 Mitgliedern erfüllen inzwischen das 2-Prozent-Ziel, doppelt so viele wie noch 2023.

Investoren suchen neue Vehikel

In diesem Spannungsfeld suchen Investoren zunehmend nach Vehikeln, um gezielt in Sicherheits- und Verteidigungstechnologie zu investieren – sowohl als Absicherung gegen geopolitische Risiken als auch als Renditequelle in einem politisch gestützten Wachstumsmarkt. Verteidigung wird zunehmend als strategischer Sektor begriffen, vergleichbar mit Energie oder Infrastruktur. Themen-ETFs auf Rüstung bieten hier einen direkten Zugang. Sie ermöglichen es, mit einem Klick in ein diversifiziertes Portfolio zu investieren – darunter Hersteller von Panzern, Kampfflugzeugen, Kommunikationssystemen oder Cyberabwehrtechnologien.

Diese Dynamik bei den Volumina hängt auch mit den Renditen zusammen. Besonders gefragt sind Produkte mit explizitem Verteidigungsfokus. Der Van Eck Defense erreichte eine 2024 Jahresperformance 2024 von mehr als 50%. Auch der „Future of Defence“ von HANetf und der „Europe Defence Ucits ETF“ von Wisdom Tree legten deutlich zu. „Die Wertentwicklung des Van Eck Defense ETF wird unweigerlich von den Verteidigungshaushalten der Regierungen und den sicherheitspolitischen Entscheidungen in den wichtigsten Märkten beeinflusst“, sagt Alessandro Valentino, Produktmanager bei Van Eck. Zugleich verweist er auf die Risiken: „Die Beschaffungszyklen im Verteidigungsbereich können anfällig für Finanzierungskürzungen oder -überschreitungen sein, und Unterbrechungen dieser Programme können zu negativen Gewinnrevisionen und Wertverlusten des ETF führen.“

Ebenfalls etabliert ist der iShares U.S. Aerospace & Defense ETF, der sogar mehr als 5 Mrd. Dollar verwaltet. Er investiert in Branchengrößen wie GE Aerospace, Boeing und RTX. Der ETF profitiert von einer langjährigen Markterfahrung, hohen Liquidität und breiten Abdeckung der US-Rüstungsindustrie.

Insgesamt 10 Milliarden Dollar

Thematische ETFs auf Rüstungswerte gelten als Satellitenpositionen in der Portfolioallokation. Sie dienen dem gezielten Engagement in Trends, sind aber aufgrund ihrer Sektorkonzentration und Volatilität nicht als Core-Baustein geeignet. Die ETF-Anbieter versuchen dennoch, über geografische und technologische Streuung ein ausgewogenes Risikoprofil zu bieten. Van Eck vertritt den Standpunkt, dass der Defense ETF Investitionen in Unternehmen ermögliche, die mit der nationalen Verteidigung und Sicherheit betraut sind. „Mit anderen Worten, in Firmen, auf die sich demokratische Regierungen verlassen, um ihre Bürger zu schützen und Aggressionen abzuschrecken – und nicht als Mittel, um von der Kriegsführung zu profitieren.“

Wisdom Tree verweist darauf, dass die europäischen Verteidigungsausgaben nicht nur auf Krisen reagieren würden, sondern in einer langfristigen Politik verankert seien. „Während die taktische Stimmung durch geopolitische Nachrichten beeinflusst werden kann, werden die fundamentalen Treiber des ETF durch strukturelle Kapitalflüsse, Beschaffungsverträge und bereits laufende industriepolitische Maßnahmen gestützt“, sagt Aneeka Gupta, Direktorin im Bereich Makro-Research bei Wisdom Tree.

Tom Bailey von HANetf erklärt: „Unsere beiden Verteidigungs-ETFs investieren diversifiziert in Nato- und Nato+ Länder, von klassischer Rüstung über Cybersecurity bis hin zu Dual-Use-Technologien.“ Wisdom Tree grenzt wie andere Anbieter explizit Unternehmen aus, die gegen internationale Konventionen oder Sanktionsvorgaben verstoßen.

Van-Eck-Manager Valentino sagt: „Der Defense ETF wendet ein Screening auf umstrittene Waffen an und schließt Unternehmen aus, die an Streumunition, Antipersonenminen, biologischen und chemischen Waffen, abgereichertem Uran, Brandwaffen, weißem Phosphor und Atomwaffen außerhalb des Atomwaffensperrvertrags (NPT) beteiligt sind.“

Bruch mit alten ESG-Ausschlüssen

Kaum ein anderer Bereich hat die Diskussion um nachhaltiges Investieren zuletzt so polarisiert wie die Frage: Ist Rüstung nachhaltig? Bis 2023 lautete die Antwort meist: Nein. Doch seither vollzieht sich ein Wandel. Ende 2024 hat der deutsche Fondsverband BVI gemeinsam mit der Kreditwirtschaft das sogenannte ESG-Zielmarktkonzept überarbeitet: Der pauschale Ausschluss von Rüstungsunternehmen bei mehr als 10 % Umsatzanteil fällt. Grund dafür sind neue EU-Leitlinien: Die ESMA erlaubt in ihren 2024 veröffentlichten Regeln für Fonds mit ESG-Bezug Investitionen in Verteidigungsunternehmen – solange keine völkerrechtlich geächteten Waffen betroffen sind.

Fondsanbieter im Wandel

Die Fondsgesellschaft DWS etwa vollzieht die Neuausrichtung mit Vorsicht. ESG-Fonds nach dem „DWS ESG Investment Standard“ bleiben weiter restriktiv und schließen Unternehmen aus, die über 5 % ihres Umsatzes mit Rüstungsgütern erzielen. Für klassische Fonds oder Produkte mit Basisfilter wurden die Ausschlüsse jedoch gelockert. Philippe Zaouati, CEO der auf Nachhaltigkeit spezialisierten Natixis-Tochter Mirova, geht noch weiter. In einem Positionspapier fordert er, die Debatte neu zu denken: „Sicherheit ist eine Grundbedingung für nachhaltige Entwicklung.“ Sein Vorschlag: Ein Rahmenwerk für „European Defense Bonds“ – analog zu Green Bonds –, um gezielt duale Technologien zu fördern.

Seismograf für Umbrüche

HANetf spricht von einem „evolutionären ESG-Verständnis“: Sicherheit als moralische Verantwortung. Und Gupta von Wisdom Tree ergänzt: „ESG-Kriterien sind ein integraler Bestandteil der Auflegung und Verwaltung des WisdomTree Europe Defence Ucits ETF.“ Am Ende sind Rüstungs-ETFs nicht nur ein Finanzprodukt, sondern auch ein Seismograf für geopolitische Umbrüche und gesellschaftliche Wertekonflikte. Ihr Aufstieg markiert den Versuch der Kapitalmärkte, sich neu zwischen Sicherheit, Verantwortung und Rendite zu positionieren.

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