Vonovia

Das Pfeifen im Walde

Nach der milliardenschweren Akquisitionstour legt Vonovia eine Vollbremsung hin. Keine neuen Schulden, lautet das neue Glaubensbekenntnis.

Das Pfeifen im Walde

Wer mit einem Blick erfassen möchte, was die deutsche Wohnimmobilienwirtschaft und ihre Investoren derzeit bewegt, dem sei die Lektüre der 55 Seiten umfassenden Unternehmenspräsentation von Vonovia an­lässlich der Vorlage des Zwischenberichts ans Herz gelegt. Allein zehn Seiten werden dem Thema Inflation und ihren Folgen gewidmet. Weitere fünf Seiten beschäftigen sich mit den gestiegenen Kapitalkosten. Inflation, so das Ergebnis der Analyse von Deutschlands größtem Vermieter, ist trotz der strengen Regulierung des deutschen Mietmarktes kein Grund zur Sorge. Denn langfristig folgen die Mieten der Inflationsentwicklung. Es hört sich an wie das Pfeifen im Walde.

Langfristig ist nämlich ein dehnbarer Begriff, umso mehr in einem Umfeld rasch steigender Teuerungsraten. Bis sich diese Entwicklung in den Mietspiegeln, die zur Ermittlung der erlaubten Mieterhöhung verwendet wer­den, niederschlägt, vergeht einige Zeit. Daher bringt Vonovia nun das Instrument der Indexmiete ins Spiel, mit dem sich der Anpassungsprozess an das gestiegene Preisniveau beschleunigen ließe. Bei dieser Form des Mietvertrags kann die Kaltmiete basierend auf dem Verbraucherpreisindex jährlich angepasst werden. Dass es sich beim Thema Indexmiete um weit mehr als ein Gedankenspiel handelt, belegt die Tatsache, dass die Bochumer ihr Portfolio auf Stand-alone-Basis schon entsprechend ge­scannt und klassifiziert haben: Demnach eignen sich von den 350 000 Wohnungen etwa 140 000 Einheiten für diese neue Form der Miete, für 175 000 Domizile ergibt sich aus dem Mietspiegel dagegen ein höheres Mietsteigerungspotenzial.

Allerdings geht es nicht nur um die Folgen für die Mieten bei gleichzeitig steigenden Instandhaltungskosten. Vielmehr grassiert bei den Investoren auch die Furcht vor milliardenschwerem Korrekturbedarf auf die Buchwerte der Immobilien. Denn die Wohnungskonzerne haben ihre Bestände seit Jahr und Tag im Halbjahresrhythmus aufgewertet, nur ein kleiner Teil der Aufwertung war dabei von werterhöhenden Investitionen gedeckt. Vielmehr sind die Marktpreise explodiert, da das knappe Angebot auf eine stetig wachsende Nachfrage getroffen ist. Nun steigt das Risiko von Bewertungskorrekturen. Nicht von der Hand zu weisen ist sicherlich, dass die Wohnungsnot in den Metropolregionen der Republik weiterhin groß ist und Buchwertabschreibungen erst anstehen, wenn die Nachfrage spürbar sinkt.

Doch für die börsennotierten Wohnimmobilienkonzerne wäre es schon schlimm genug, wenn die milliardenschweren Buchgewinne künftig ausblieben. Sie waren zuletzt fester Bestandteil des Geschäftsmodells, das auf vorwiegend schuldenfinanzierten Akquisitionen fußte. Das Rad, an dem Vo­novia & Co. drehten, ist dabei im Zeitablauf immer größer geworden. So vollzog der deutsche Branchenprimus mit der Übernahme von Deutsche Wohnen im vorigen Jahr die bis dato größte M&A-Transaktion am europäischen Immobilienmarkt. Das Ergebnis: In der Bilanz von Vonovia haben sich Finanzschulden von 47 Mrd. Euro aufgetürmt.

War die Finanzierung bislang kein Problem, da sich auch die europäische Notenbank mit milliardenschweren Anleihekäufen als Steigbügelhalter in die Finanzierung einbrachte, hat sich das Blatt inzwischen gewendet. Die EZB hat das Ende der Anleihekäufe avisiert, zugleich ist die Zinswende weltweit eingeläutet. Für die Wohnimmobilienkonzerne bedeutet das aber nicht nur eine Verteuerung des Fremd-, sondern insbesondere auch des Eigenkapitals. Denn bei steigenden Kapitalmarktzinsen wächst die Zahl der Anlagealternativen zu den als risikoarm geltenden Immobilienaktien beträchtlich. Das verrät der Blick aufs Kurschart: Seit Jahresbeginn ist die Aktie von Vonovia um fast ein Drittel abgeschmiert, der Abschlag auf den Nettovermögenswert je Aktie beläuft sich mittlerweile auf knapp 50 %, die Eigenkapitalkosten sind auf mehr als 6 % in die Höhe geschnellt.

Keine zusätzlichen Schulden, lautet daher das neue Glaubensbekenntnis von Vonovia. Investiert wird nur noch, was auch an Mittelzufluss hereinkommt. Hand in Hand geht damit nicht nur ein Akquisitionsstopp, sondern auch ein tiefer Schnitt ins Investitionsbudget. Gebaut wird künftig vor allem für den Markt, anstatt für den eigenen Bestand. Gleichzeitig sollen bei den Instandhaltungsinvestitionen Abstriche gemacht werden. Für Investoren in Wohnimmobilienaktien sind die neuen Zeiten schon angebrochen, den Mietern von Deutschlands größtem Vermieter stehen sie erst noch bevor.

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