Unterm Strich

Die Bundesbank muss sich neu erfinden

Die Deutsche Bundesbank braucht mehr politische Relevanz und Rückendeckung. Jetzt wäre die Zeit für eine Reform des Bundesbankgesetzes.

Die Bundesbank muss sich neu erfinden

Hat die Deutsche Bundesbank als unabhängige nationale Notenbank noch eine Zukunft? Wird diese Institution noch gebraucht? Schließlich gibt es seit Einführung des Euro und Gründung der Europäischen Zentralbank (EZB) keine nationalen Noten mehr und auch nicht mehr die Währung Deutsche Mark. Würde die Bundesbank die Aufgaben, die sie seither im Eurosystem und inzwischen im Single Supervisory Mechanism (SSM) hat, nicht ebenso gut oder vielleicht sogar besser als obere Bundesbehörde erfüllen, die einem Ministerium unterstellt ist? Fragen, die mit dem Ausscheiden von Jens Weidmann als Bundesbankpräsident gestellt werden müssen. Denn es ist nicht nur eine Zäsur im Präsidentenamt, sondern auch in der Rolle, in der Wahrnehmung und in der Relevanz der Bundesbank. Fragen, die auch bei der Entscheidung über Weidmanns Nachfolge zu bedenken sind.

Gewandelte EZB

Schon vor der Weidmann-Dekade hatte die Deutsche Bundesbank erheblich an Relevanz für die Geldpolitik verloren. Zwar kam aus ihren Reihen regelmäßig ein Mitglied des EZB-Direktoriums, was sich erst mit der Berufung von Isabel Schnabel änderte, die nicht den Bundesbank-Stallgeruch des Stabilitätswächters ins oberste Entscheidungsgremium der EZB mitbrachte. Doch schon unter Jean-Claude Trichet hatte sich der Charakter der EZB verändert. Sie war nicht mehr – wie noch unter Wim Duisenberg – ein geldpolitisches Abziehbild der Bundesbank. Trichet übergab Mario Draghi vor zehn Jahren eine durch Finanz- und Staatsschuldenkrise politisierte EZB, die sich ohne nennenswerte Gegenwehr zur Institution der Finanzpolitik hatte umfunktionieren lassen. Unter Draghi fand diese Transformation ihren Höhepunkt: Die EZB trat an die Stelle einer phasenweise handlungsunfähigen, vor allem aber handlungsunwilligen Politik.

Einsamer Rufer Weidmann

Das war die Ausgangslage, als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2011 ihren wirtschaftspolitischen Berater Jens Weidmann mit der Erwartung an die Spitze der Bundesbank schickte, die deutsche Stabilitätskultur etwas geschmeidiger zu vertreten als sein Vorgänger Axel Weber und EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark. Weidmann musste bald erkennen, auf welch verlorenem Posten er im EZB-Rat und der europäischen Öffentlichkeit kämpfte. Gründeten Stärke und politische Unabhängigkeit der Bundesbank neben Gesetzen vor allem auf der starken Verbundenheit mit der deutschen Öffentlichkeit und der Rückendeckung durch die Medien, um Zumutungen und Zugriffe der Politik abzuwehren, war nun die Öffentlichkeit der Geldpolitik eine andere, eine europäische geworden. Da traf der deutsche Michel auf einen mächtigen Club Med und bekam von Draghi und den geldpolitischen Tauben das Etikett des Spielverderbers, des „Nein-zu-allem-Sagers“ angeheftet.

Dass der deutschen Bundeskanzlerin die Positionierung ihrer Parteifreundin Ursula von der Leyen als Präsidentin der EU-Kommission wichtiger war als jene ihres einst treuen Dieners Weidmann für das Präsidentenamt der EZB, war insbesondere für die Institution Bundesbank und deren geldpolitische Position ein schwerer Rückschlag. Jedes neue Anleihekaufprogramm wirkte wie ein weiterer Peitschenhieb auf das geschundene Ego der Bundesbank, auch wenn Weidmann gute Miene zum bösen Spiel von Draghi und dessen Nachfolgerin Christine Lagarde machte. Mit der Ausarbeitung einer Mittelfrist-Strategie 2024 versuchte sich die Bundesbank in Selbstvergewisserung. Doch spätestens bei der Formulierung der vier Gesamtbankziele – Wahrung der Stabilitätskultur, Stärkung der Rolle im europäischen Kontext, zukunftsgerechte Aufstellung sowie Erhöhung der Sichtbarkeit – musste die Erkenntnis reifen, dass von der einstigen Aufgabe und Bedeutung nicht mehr viel geblieben war.

Daraus sollte die Politik Konsequenzen ziehen, das Ende der Ära Weidmann ist ein guter Zeitpunkt dafür. Die neue Bundesregierung sollte die Bundesbank aus der Ecke des äußerst sachverständigen, aber einsamen und machtlosen Rufers herausholen. So bedauerlich es ist, aber ein Zurückdrehen der Politisierung der Notenbanken auf europäischer und internationaler Ebene wird nicht mehr möglich sein und fände derzeit auch keine politischen Mehrheiten. Deshalb braucht es eine Institution, über die die Bundesregierung ihr nationales geldpolitisches Interesse zum Ausdruck bringen kann. Insofern wäre es konsequent, aus der obersten Bundesbehörde Bundesbank eine obere Bundesbehörde zu machen und ihre Leitung der Aufsicht eines Ministeriums zu unterstellen. Bundesbank-Traditionalisten mögen bei solchen Gedanken in Schnappatmung geraten. Doch sowohl ihre Rolle im Eurosystem als auch im SSM kann die Bundesbank wirkungsvoller wahrnehmen, wenn ihre Positionen nicht nur die von herausragenden Fachleuten sind, sondern auch den politischen Rückhalt der wirtschaftsstärksten Nation Europas haben.

Chance zur Reform

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), das Bundeskartellamt, die Bundesagentur für Arbeit oder das Bundesamt für Verfassungsschutz dürften für Deutschland nicht weniger wichtig sein als die Bundesbank. Alle sind sie als obere Bundesbehörde der Rechts- und Fachaufsicht eines Ministeriums unterstellt. Die damit verbundene politische Kontrolle – im Falle der Bundesbank Aufgaben wie Finanzstabilität, Bankenaufsicht, Bargeldversorgung oder unbarer Zahlungsverkehr – und die Zusammenarbeit dabei mit anderen Behörden wie beispielsweise der BaFin sollte in einem demokratischen Gemeinwesen selbstverständlich sein. Mehr als zehn Jahre seien ein gutes Zeitmaß, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank und für ihn selbst, erläuterte Weidmann seine Rücktrittsentscheidung. Die nächste Bundesregierung sollte das neue Kapitel mit einer Reform des Bundesbankgesetzes starten.

c.doering@boersen-zeitung.de

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