Im BlickfeldRechenzentren

„Den Begriff digitale Souveränität finde ich furchtbar“

Auf den ersten Blick wirkt Deutschland bei KI-Rechenzentren abgehängt. Doch ein Vergleich mit Großbritannien zeigt viele Parallelen, obwohl man in London glaubt, die Nase vorn zu haben.

„Den Begriff digitale Souveränität finde ich furchtbar“

„Den Begriff digitale Souveränität finde ich furchtbar“

Auf den ersten Blick wirkt Deutschland bei KI-Rechenzentren abgehängt. Doch ein Vergleich mit Großbritannien zeigt viele Parallelen, obwohl man in London glaubt, die Nase vorn zu haben.

von Andreas Hippin, London

Sieht man sich an, was Hyperscaler in den USA in neue Rechenzentren investieren wollen, könnte es sich genauso gut um Mondbasen handeln. Project Jupiter in New Mexico wird auf 165 Mrd. Dollar veranschlagt, Project Kestrel in Missouri auf 100 Mrd. Dollar. Rund um den Staatsbesuch von US-Präsident Donald Trump im September kündigten eine ganze Reihe von Technologiekonzernen Milliardeninvestitionen in Großbritannien an.

Premierminister Keir Starmer sprach von einem „entscheidenden Schritt“ hin zu einer weltweiten Führungsrolle seines Landes beim Thema Künstliche Intelligenz. Gemeinsam kommen die beiden Nationen auf die nötige kritische Masse, um bei der Entwicklung von weltweiten Standards für diese und andere neue Technologien eine wesentliche Rolle zu spielen.

„Goldlöckchen-Position“

Alles in allem geht es bei den vorgestellten Vorhaben um mehr als 40 Mrd. Dollar. Nvidia kündigte an, mit KI-Infrastrukturpartnern wie Coreweave 11 Mrd. Dollar im Vereinigten Königreich zu investieren. „Wir befinden uns am Big Bang des KI-Zeitalters und Großbritannien hat die Goldlöckchen-Position“, sagte Nvidia-Chef Jensen Huang. Microsoft will 30 Mrd. Dollar in das Vereinigte Königreich stecken.

Nun legte Washington die transatlantische Tech-Allianz jedoch vorübergehend auf Eis. Die USA fordern Zugeständnisse bei der Digitalsteuer und Lebensmittelstandards. Gut möglich also, dass es noch eine ganze Weile dauert, bis die Zusammenarbeit bei KI, Quantum Computing und Kernkraft in Gang kommt.

Ähnliche Nachfragetrends

Dennoch entsteht der Eindruck, dass Deutschland bei KI-Rechenzentren abgehängt wurde. Politiker sprechen dann gerne von digitaler Souveränität. „Den Begriff digitale Souveränität finde ich ganz furchtbar.“ sagt Jens-Peter Feidner, Managing Director von Equinix Germany. „Denn Souveränität heißt in diesem Fall: Ich höre auf, X zu machen, und mache dafür Y. Ich steige von amerikanischen Anbietern auf deutsche um. Das funktioniert nicht.“ Feidner findet den Begriff digitale Resilienz viel besser. Denn Resilienz bedeute: Wir können Zoom oder Teams nutzen. Wir können beides verwenden und verbieten nicht eins davon.

Doch es gibt erstaunliche Parallelen. „Sowohl der britische als auch der deutsche Markt haben enormes Wachstum mit sehr ähnlichen Nachfragetrends erfahren, insbesondere London und Frankfurt“, sagt James Tyler, Managing Director bei Equinix UK. Equinix ist ein Real Estate Investment Trust, der sich auf digitale Infrastruktur spezialisiert.

Wachstumstreiber bleiben

„Nach dem Brexit sind neue Dynamiken rund um Datensouveränität und Regulierung entstanden", sagt Tyler. „Manche Unternehmen bringen Workloads nach London, weil sie müssen, manchen geht es um die Nähe zum wirtschaftlichen Zentrum. Die Wachstumstreiber sind dieselben geblieben.“

Zunächst muss man zwischen den Hyperscaler-Rechenzentren, in denen große Sprachmodelle trainiert werden, und Co-Location-Rechenzentren differenzieren. Während es für erstere vor allem darum geht, möglichst viel Energie möglichst billig zu bekommen, müssen letztere möglichst nahe beim Kunden sein. Für Hyperscaler hat es angesichts der enormen Stromkosten in Deutschland und Großbritannien derzeit wenig Sinn, solche Projekte in diesen Ländern anzusiedeln. Die Regulierung von KI durch die EU kommt erschwerend hinzu.

„Für uns ist AI Inference das aufregendste Wachstumsfeld“, sagt Tyler. „Da interagieren KI-Modelle mit den Endnutzern. Bei diesen Workloads geht es sehr stark um Latenz. Da spielt räumliche Nähe eine große Rolle.“ Denn Latenz bezieht sich auf die Zeit, die ein KI-Modell benötigt, um eine Antwort auf eine Frage zu liefern. Ähnlich wie beim Gaming oder Videostreaming können sich selbst kleinste Verzögerungen negativ auf die wahrgenommene Performance auswirken.

Digitale Resilienz

„Der Begriff Rechenzentrum ist so ein schrecklicher Begriff wie Kraftfahrzeug“, sagt Feidner. „Kfz kann alles sein, vom E-Scooter, der der STVO unterliegt, bis zum 18-Tonner-Truck. Rechenzentrum reicht von der Edge-Pizzabox auf dem Supermarktparkplatz bis zur Co-Location-Cloud." Wenn über digitale Resilienz gesprochen werde, heiße es oft: Wir möchten nicht, dass alles in den Händen der amerikanischen Hyperscaler liegt.

Equinix macht Co-Location. „Bei uns gehören die Server den Kunden“, sagt Feidner. Die Firma ist für „Carrier-Hotels“ bekannt. Auf den Servern speichern sie Daten. „In unseren Rechenzentren in Deutschland haben wir 1.300 Kunden, 500 davon mit Zentrale in Deutschland."

Abgeschlossen und verschlüsselt

Darunter sind viele der Dax-Unternehmen und großen KMUs. Deren Rechner stehen in „Cages“, abgeschlossenen Bereichen, „in die wir nicht reindürfen, wenn sie uns keinen Zugriff geben“, sagt Feidner. An die Daten komme Equinix schon gar nicht, weil die im Normalfall verschlüsselt gespeichert seien.

„Digitale Resilienz existiert in den Co-Location-Rechenzentren in Deutschland also eigentlich schon“, sagt Feidner. Die deutsche Industrie könne dort eigene Server aufstellen und die eigenen Daten im eigenen Land transferieren. „Wir reden immer so darüber, als wäre jedes Rechenzentrum im Besitz eines Hyperscaler.“

Folgen der Energiewende

Das sei ein Verständnis, das in Deutschland fehle: „Dass es diese Bandbreite gibt, die gut ist, und dass wir unsere Resilienz stärken können, indem wir aktiv mehr Rechenzentren ins Land holen“, sagt Feidner. Das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung habe das begriffen und fördere das. „Aber ein Rechenzentrum braucht nicht nur eine grüne Wiese. Es braucht auch eine Glasfaserleitung und vor allem auch Strom.“ 

„Früher wurden Dauerstromverbraucher wie Rechenzentren bevorzugt, weil wir das Netz gleichmäßig entlastet haben“, sagt Feidner. „Man wusste genau, wie viel wir brauchen. Es gab sogar Erstattungen von Netzleitungsgebühren. Das hat sich mit der Energiewende komplett geändert. Jetzt wissen wir nicht genau, wann wie viel Strom ins Netz kommt. Manchmal ist es zu viel, manchmal zu wenig. Jetzt werden sogar Dauerverbraucher bestraft.“

Fehlende Flexibilität

Künftig sollen flexible Verbraucher, die nur dann Strom nutzen, wenn er da ist, gefördert werden. Für Rechenzentren fällt also nicht nur etwas Positives weg. Es kommt auch noch eine zusätzliche Belastung hinzu. „Das ist natürlich eine große Herausforderung, denn ich kann Rechenzentren nicht nur laufen lassen, wenn Strom im Netz ist“, sagt Feidner.

„Die Analysen zu betrügerischen Transaktionen laufen nachts, damit morgens die Meldung an die BaFin laufen kann. Backups, GPS... Wir könnten nachts keine Navigationssysteme mehr nutzen, keine Nachrichten mehr schauen. Wir haben nachts ungefähr 80% der Tageslast.“ Die Flexibilität, die von den unterschiedlichen Branchen oft gefordert werde, sei in Rechenzentren genauso wenig machbar wie in der Glasproduktion. Das müsse man sich klar machen und genug Strom bereitstellen.

Kein Industriestrompreis

Rechenzentrumsbetreiber sind nicht unter den Branchen, die den Industriestrompreis bekommen. „Wir sind nicht aufgenommen worden“, sagt Feidner. „Aber nicht der Betreiber des Rechenzentrums hat jetzt den Nachteil, sondern ein deutscher Industriekonzern.“ Das heiße beispielsweise für einen Autohersteller, dass er für alte Produktionsanlagen den Industriestrompreis von 5 Cent bekommt, aber für die Zukunftstechnologie im Co-Location-Rechenzentrum bis zu 20 Cent mehr bezahlen muss.

„Das wird für viele unserer Kunden so sein“, sagt Feidner. „Der Strom ist für mich ein durchlaufender Posten. Den kaufe ich ein für meine Kunden. Die zahlen ihn mir, weil sie damit ihre Server betreiben. Die deutschen Industriekunden werden also dadurch bestraft, wenn sie digital werden."

Britische Regierung handelt

Auch in Großbritannien gehören Rechenzentren nicht zu den Branchen, die einen Nachlass auf den Strompreis bekommen. „Aber die Regierung hat wichtige Schritte unternommen“, sagt Tyler. Wie in Deutschland gibt es im Vereinigten Königreich eine lange Warteschlange für Netzanschlüsse. Auch auf der Insel gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. „Nun setzt die Regierung das auf den Prüfstand und fordert einen Nachweis der Nachfrage. Rechenzentren werden als strategische Projekte anerkannt, was beschleunigte Anschlüsse bedeutet.“

Tyler ergänzt: „Die Regierung hat auch ein neues Planungs- und Infrastrukturgesetz eingeführt, um Netzkapazitäten für strategische Projekte wie unsere zu reservieren. Daneben wird der direkte Anschlüsse an Hochspannungsleitungen erforscht. Das entlastet Umspannwerke. National Grid investiert massiv. Es ist ermutigend, wie engagiert sie die Branche unterstützen.“

Wachsendes Verständnis

„In Großbritannien hat man die Regulierung bereits so angepasst, dass sie zu dem passt, was man fördern möchte“, sagt Feidner. „Da waren die ein bisschen schneller.“ In Deutschland habe es dagegen bis vor kurzem kein Verständnis davon gegeben, was Rechenzentren sind. Es war ja alles in der Cloud, irgendwo am Himmel. Dass es dafür physische Infrastrukturen braucht, sei jenseits der Vorstellungskraft gewesen. Und dass Rechenzentren dann auch noch zusätzliche Infrastrukturen wie Stromnetze brauchen, die von den Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern bereitgestellt werden, sei überhaupt nicht bekannt gewesen.

„Das hat sich in den vergangenen drei bis vier Jahren in manchen Bundesländern geändert“, sagt Feidner. „Hessen war dabei sicher federführend. Es hatte ja schon das erste Digitalministerium. Wir sind aber natürlich ein bisschen später dran als alle anderen. Bis das Thema in Deutschland eine Priorisierung erfahren hat, waren wir locker zwölf Monate hinterher.“ Es habe jetzt diese Aufmerksamkeit. „Aber Dinge dauern eben lange hier. Und es gibt keine Sonderregelungen für Rechenzentren.“

Keine Angst vor Überkapazitäten

Überkapazitäten fürchtet man bei Equinix nicht: „Unsere Forschung zeigt: Im UK allein wächst die Nachfrage in den kommenden Jahren von derzeit knapp über einem Gigawatt auf sechs oder sieben Gigawatt“, sagt Tyler. „Die Wachstumskurve ist steil.​“

Als er in den späten 1990ern angefangen habe, hatte das erste Rechenzentrum von Equinix 500 Kilowatt. Dann seien 1, 10, 20 Megawatt gefolgt. Kunden-Workloads und Strombedarf seien enorm gewachsen. „Jetzt sehen wir noch wesentlich darüber hinaus gehende Anfragen – sowohl an unseren Co-Location-Standorten als auch bei unseren xScale-Angeboten für Hyperscaler."

Starke Nachfrage

„Die Herausforderung ist nicht die Nachfrage, sondern die Zeit bis zum Stromnetzanschluss", sagt Tyler. „Wir konzentrieren uns darauf, so schnell wie möglich mehr Rechenleistung online zu bringen. Das bedeutet eine gute Zusammenarbeit bei den Planungsprozessen und ein sorgfältiges Management des Kapazitätsausbaus. Unsere Pipeline wird bis Ende der 2030er auf eine starke Nachfrage treffen.“

Für Immobilieninvestoren, die nicht auf Datenzentren spezialisiert sind, ist das nur bedingt interessant. „Bei den Immobilien für Datenzentren sind die Preise aus unserer Sicht nicht zwingend attraktiv“, sagt Henrik Haeuszler, Senior Director Client Portfolio Management bei Invesco. „Das soll nicht heißen, dass die Deals, die wir am Markt beobachten, schlechte Transaktionen sind. Aber auf Grund des Booms ist es ein bisschen so wie bei Aktien, wenn es heißt, dass alle Entwicklung schon eingepreist ist.“

Risikoprämie „oft zu gering“

„Die Risikoprämie finde ich oft zu gering. Uns findet man am Anfang der Wertschöpfungskette, aber ganz weit entfernt von dem Nachverwertungsrisiko", sagt Haeuszler. „Wir entwickeln lieber Grundstücke mit Blick auf Baugenehmigung und Versorgung so weit, dass ein Projektentwickler darauf ein Rechenzentrum bauen kann, verkaufen es und sind damit aus dem Thema raus.“