Europäische Kleingeister
Infrastruktur
Europäische
Kleingeister
Die Vorzüge einer modernen länderübergreifenden Infrastruktur kennt aus der Geschichte niemand besser als die Europäer. Schließlich hat einst das römische Straßennetz dafür Maßstäbe gesetzt. Eine damals innovative, resiliente und zentral verwaltete Infrastruktur sicherte über Jahrhunderte die wirtschaftliche und administrative Stabilität des antiken Reiches und förderte vor allem auch die Integration der riesigen Region.
Integration lässt zu wünschen übrig
Im Vergleich zu dieser historischen Errungenschaft lässt die moderne europäische Infrastruktur zu wünschen übrig. Wenngleich man in einigen Jahren wohl mit dem Auto von Malmö nach Palermo durchfahren kann, fließt der Verkehr auf anderen Netzen weniger ungehindert. Bei dem vermeintlich durch Roaming nahtlos gesicherten Grenzübertritt in ein anderes Telekommunikationsnetz erleben Reisende immer wieder ihr blaues Wunder, vom grenzüberschreitenden Stromnetz ganz zu schweigen. Beim jüngsten Komplettausfall in Spanien konnten die französischen Nachbarn kaum helfen. Grund war die geringe Interkonnektivität. Auf der iberischen Halbinsel sind nur 3% der Erzeugungskapazität mit dem restlichen Europa verbunden.
Gezänk um die Sitz-Frage
Ein spürbares Integrationshindernis bildet die in nahezu allen Länden vorherrschende Auffassung, dass kritische Infrastrukturen eine Art Nationalheiligtum sind. Und falls deren Verwaltung doch europäisch vereinigt werden sollte, dann doch bitte im eigenen Land. In Kürze unternimmt die EU nun einen neuen Anlauf, um die Kontrolle der Kapitalmarktinfrastrukturen unter einem Dach zu bündeln. Bisher läuft die Überwachung von Handelssystemen, Clearing und Settlement noch zu größeren Teilen in Länderregie. Das führt dazu, dass einheitliche europäische Vorgaben national unterschiedlich beaufsichtigt werden. Für Investoren bedeutet das mehr Aufwand, mehr Kosten, mehr Rechtsunsicherheit. Wer sich in Sonntagsreden einen weniger fragmentierten Finanzbinnenmarkt wünscht, sollte sich nicht gleichzeitig einer vereinheitlichten Aufsicht über die Marktinfrastruktur in den Weg stellen. Doch schon zeichnen sich wieder nationale Abwehrkämpfe ab. Etwa, wenn Klagelieder angestimmt werden, eine stärkere Rolle der ESMA sei doch nur ein Förderprogramm für den Finanzplatz Paris. Solange derlei Eitelkeiten die Diskussion dominieren, kann man vergebens auf substanzielle Fortschritte bei der Entwicklung eines europäischen Kapitalmarkts warten.