Automobilindustrie

Im Elektrostrategie-Gestrüpp

Im Ringen um die Elektrostrategie überzeugt Volkswagen derzeit am Markt mehr als der Münchner Wettbewerber BMW.

Im Elektrostrategie-Gestrüpp

Wie heißt es doch so prägnant: Menschen sollten mehr an ihren Taten gemessen werden als an ihren Worten. Oder: den Worten sollten Taten folgen. Übertragen auf den Wandel der Technik in der deutschen Autoindustrie ist das so eine Sache. Im bedeutendsten Wirtschaftszweig der Bundesrepublik ist die Spanne von Ankündigungen in Bezug auf die Wandlung der Hersteller von der Produktion von Fahrzeugen mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren zum Dienstleister auf den Feldern Elektromobilität und autonomes Fahren sehr weit gefasst.

BMW, Daimler und Volkswagen beschäftigten Hundertschaften von Mitarbeitern in den Vertriebs- und Marketingabteilungen damit, die Kunden auf das Zeitalter von morgen mit Werbebotschaften vorzubereiten. Das Ziel ist dabei, den potenziellen Käufern zu suggerieren, nur aus ihrem jeweiligen Hause moderne Produkte der Zukunft auf vier Rädern mit allem möglichen Schnickschnack der digitalen Technik beziehen zu können. Jeder Hersteller ist damit beschäftigt, sich im Elektrostrategie-Gestrüpp positiv vom Wettbewerb abzuheben, um die Marktanteile zum eigenen Vorteil abzustecken.

Diese Vorgehensweise entspricht der ökonomischen Logik. Denn für die drei Dax-Unternehmen ist es überlebenswichtig, auch im Elektro-Zeitalter mit dem Verkauf rein batteriegetriebener Autos mindestens eine genauso hohe Umsatz- und Kapitalrendite zu erwirtschaften wie mit dem Absatz von Vehikeln mit Diesel- und Benzinmotoren. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, ihre Geschäftsmodelle stabil zu halten. Sollten sie das nicht schaffen, wäre das für die Konzerne ein dauerhafter Malus an den Aktien- und Kapitalmärkten. Denn das Vertrauen der Anleger ist wie ein scheues Reh: Man kann es genauso schnell wieder verlieren wie gewinnen.

Nach einer anfänglichen Skepsis setzt sich unter den Anlegern zunehmend die Überzeugung durch, dass das Trio in der Lage ist, diese Herausforderung nach dem überwundenen Tief infolge der Corona-Pandemie zu meistern und dem aufstrebenden kalifornischen Elektro-Fertiger Tesla entscheidend Paroli zu bieten. In der Übergangsphase, die noch deutlich von Pkw-Modellen des Übergangs geprägt ist – Stichwort Hybridfahrzeuge –, liegt für die etablierten Emittenten die Kunst darin, den Investoren ihre Equity Storys mit Hilfe ausgeklügelter Methoden der Kommunikation schmackhaft zu machen. Letztere eilen bisweilen den Taten und der operativen Entwicklung in der Transformation weit voraus. Auffallend ist, dass jene Konzerne sich am meisten Gehör verschaffen, die am lautesten und großspurig für ihren eigenen Ansatz trommeln. An vorderer Stelle steht dabei VW, mit weitem Abstand hinten BMW, irgendwo dazwischen liegt Daimler. Dieses Ranking ist ein Spiegelbild ihrer Elektrostrategien. Während VW-Konzernchef Herbert Diess mit der Brechstange den Wechsel einläuten will, hält sein Gegenpart von BMW, Oliver Zipse, den Ball flacher. Der weiß-blaue Hersteller fährt auch auf längere Sicht bei den Antrieben mehr­spurig.

Mit seinem radialen Kurs kommt Diess bei Anlegern aber augenscheinlich besser an als Zipse. Für Rückenwind sorgten Meldungen aus der Wolfsburger Konzernzentrale, einen noch höheren Gang einzulegen. Das führte zu einer grundlegenden Neubewertung des Herstellers aus der niedersächsischen Tiefebene unter Anlegern. Professionelle Investoren schichteten offenbar von Tesla zu VW um. Abzulesen ist das an dem steilen Kurszuwachs. Seit dem Jahreswechsel legten die VW-Vorzüge um satte 57% zu, während die BMW-Stammaktien lediglich um ein Fünftel stiegen. Die Daimler-Titel gewannen 30%. Hier sorgten die Kursfantasien infolge der Abspaltung und des geplanten Börsengangs der Stuttgarter Nutzfahrzeug-Konzernsparte für Auftrieb.

Es kann spekuliert werden, welche Entwicklung die BMW-Papiere verzeichnet hätten, wenn der frühere Entwicklungsvorstand Diess vor sechs Jahren das Lenkrad in München übernommen hätte. Nachdem stattdessen Harald Krüger seinerzeit das Rennen um den CEO-Posten gemacht hatte, zog es den Topmanager zum Branchenprimus. Doch Diess, der mit seiner als brachial empfundenen Art auch bei seinem neuen Arbeitgeber manchen abstößt, hätte an der BMW-Spitze womöglich zur Unternehmenskultur nicht gepasst. Ungeachtet dessen wird sich am Markt schlussendlich jene Adresse durchsetzen, die dauerhaft liefert, und nicht jene, die am lautesten schreit. Das war an den Börsen immer so. In Bezug auf die Elektrostrategie wird es ebenfalls so sein.