KfZ-Versicherung

Marderbiss ins Elektroauto kostet schnell 7.000 Euro

Die Elektromobilität boomt. Auch die Versicherer müssen sich auf die neue Technik einstellen. Sie sehen Hersteller in der Pflicht, Reparaturkosten durch bessere Bauweisen zu senken.

Marderbiss ins Elektroauto kostet schnell 7.000 Euro

Von Michael Flämig, München

Noch ist ungewiss, welche Parteien in Zukunft Deutschland anführen. Klar ist aber: Jede denkbare Koalitionskonstellation wird den Kampf gegen den Klimawandel oben auf die Agenda setzen. Damit allerdings ist noch nichts gewonnen. Auf die Taten kommt es an. Die Einführung der Elektromobilität demonstriert pars pro toto die Dimension der Herausforderung. Bundesregierung und Bürger müssen sich in einem Trial-and-Error-Verfahren in die neue Realität vortasten. Der Teufel steckt im Detail. Im Fall der Elektroautos beispielsweise in der Frage: Wie können diese Fahrzeuge versichert werden?

Die Versicherungswirtschaft muss­te Antworten finden, und zwar schnell. Die Kunden erwarten naturgemäß, für ihre Fahrzeuge eine Autoversicherung abschließen zu können, – schon seit langem. Dies ist aus Sicht der Assekuranz jedoch keineswegs trivial. Die Technik war bislang so wenig verbreitet auf den Straßen, dass die Risikoeinschätzungen in den Kinderschuhen stecken. Es fehlte an Erfahrungswerten. Damit ist unklar, welcher Versicherungsbeitrag für welches Auto angemessen ist. Mit steigenden Elektro-Zulassungszahlen erhöht sich auch das finanzielle Risiko bei Fehlkalkulationen. In den ersten sieben Monaten 2021 stellten reine Elektrofahrzeuge und Plug-in-Hybride schon ein Viertel des Neuwagenmarktes in Deutschland.

Ein Beispiel für fehlende Erfahrungswerte: Würden die Batterien in Elektroautos häufig in Brand geraten, würde dies nicht nur die Insassen gefährden, sondern auch hohe Werte vernichten. Carsten Reinkemeyer, der die Sicherheitsforschung im Allianz Zentrum für Technik (AZT) in Ismaning bei München leitet, kann zumindest an dieser Stelle vorsichtig Entwarnung geben: „Wir erkennen keine höhere Brandwahrscheinlichkeit als bei Verbrennermotoren.“ Nur rund 50 Brände von reinen Elektrofahrzeugen habe man jährlich registriert. Die niedrige Zahl hat allerdings zur Folge, dass eine handfeste statistische Aussage noch nicht möglich ist. Zum Vergleich: In Deutschland brennen insgesamt jährlich rund 15000 Autos ab.

Teure Reparaturen

Wichtiger noch aus Sicht der Ver­sicherungswirtschaft: Elektroautos unterscheiden sich im Schadengeschehen nicht grundsätzlich von Fahrzeugen mit herkömmlichen Antrieben. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Schäden an Fahrzeugen mit elektrischem Ladeanschluss und nennenswerter elektrischer Reichweite im Zeitraum 2018 bis 2020, die Reinkemeyer auf dem 9. Allianz Autotag vorstellte. Der Münchner Versicherer hatte dabei Daten des Branchenverbands GDV und eigene Versicherungsfälle genutzt, um die Schadenarten und die Typklassen zu untersuchen.

In der Vollkaskoversicherung sind demnach Kollisionsschäden das dominierende versicherungstechnische Risiko. Der Aufwand beträgt bei allen Fahrzeugen 75%, bei Elektroautos ist es mit 85% etwas mehr. Auch die Typklassen, die die Versicherer als Tarifmerkmal bei der Berechnung des Beitrags nutzen, sind ähnlich. Reine Elektrofahrzeuge gleichen den Benzinern, während Plug-in-Hybride nahe an Diesel-Autos in höheren Typklassen liegen (siehe Grafik).

Reinkemeyer erklärt dies mit den Nutzungsarten: Reine elektrische Antriebe sind wie Benziner eher im urbanen Umfeld unterwegs, während Plug-in-Hybride eher in größeren und langstreckentauglichen Fahrzeugen eingesetzt werden. Auch Diesel werden von Vielfahrern genutzt.

Entwarnung möchte der AZT-Experte trotzdem nicht geben. Denn bisher sorgt ausschließlich die geringe Häufigkeit von Schäden – Frequenz genannt – dafür, dass sich die Typklassen ähneln. Elektroauto-Besitzer fahren meist vorsichtig auf kurzen Strecken und sind daher weniger in Unfälle verwickelt. Dies wird sich perspektivisch ändern. Dann droht ein anderer Faktor voll auf die Versicherungsbeiträge durchzuschlagen. „Die Elektrofahrzeuge haben bei Kollisionen rund 30% höhere Reparaturkosten“, sagt Reinkemeyer.

BMW, VW & Co. in der Pflicht

Die Allianz erklärt dies mit den Vorgaben der Hersteller. Beispielsweise entstehe schnell ein wirtschaftlicher Totalschaden, wenn die Batterie nach Airbag-Auslösung entsorgt werden müsse. Diese Vorgabe sei aber zu pauschal, urteilt Reinkemeyer. Ein weiteres Beispiel für Kostenerhöhungen: Ein Hochvoltkabel, das ein Marder zwischen den Zähnen hatte, kann bislang nicht repariert werden. Der notwendige neue Kabelsatz kostet 7000 Euro. Es gebe jedoch Lösungen für dieses Problem, berichtet Reinkemeyer. Schutzummantelungen für die Hochvoltkabel könnten sehr wohl getauscht werden. Dies lasse die Kosten einer Reparatur um 97% sinken. Aus Sicht der Versicherer sind also BMW, VW, Daimler & Co. in der Pflicht, kostengünstige Bauweisen zu entwickeln.

Steigende Preise für Ersatzteile sind den Versicherern sowieso seit einiger Zeit ein Dorn im Auge. „Wir sehen eine zunehmende Schaden­inflation“, erklärt Frank Sommerfeld, Sachversicherungschef der Allianz Deutschland, der Börsen-Zeitung: „Die stark steigenden Ersatzteilpreise sind weiterhin ein extrem kritisches Thema.“ Die Assekuranz ist der Meinung, dass Autohersteller den Designschutz für manche Ersatzteile bei Verbrennerantrieben ausnutzen. Sommerfeld erklärt zurückhaltender, die Preissteigerungen seien ökonomisch nicht leicht erklärbar.

Doch damit nicht genug. Schwer beschädigte Hochvolt-Fahrzeuge können in den meisten Werkstätten gar nicht repariert werden, weil die Beschäftigten nicht entsprechend qualifiziert sind. Wenn aber Werkspersonal der Hersteller diese Fahrzeuge beurteilen muss, führt dies zu starken Verzögerungen in der Schadenbearbeitung. Dies entspreche nicht dem Anspruch der Allianz an Kundenzufriedenheit, sagt Reinkemeyer: „Hier müssen die Hersteller standardisierte Lösungen schaffen.“ Das AZT sei mit ihnen im Gespräch.

Die Beispiele illustrieren: Egal, was die künftige Bundesregierung beschließt, die Details werden alle Wirtschaftszweige in Deutschland lange beschäftigen.

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