Kommentar Chinas Banken

Verdacht auf Scheinstabilität

Dünne Zinsmargen belasten Chinas Banken sichtlich. Dies beflügelt womöglich ein Versteckspiel auf der Ebene von Kreditrisiken.

Verdacht auf Scheinstabilität

Chinas Banken

Verdacht auf Scheinstabilität

Dünne Zinsmargen belasten Chinas Banken sichtlich. Dies beflügelt ein Versteckspiel auf der Ebene von Kreditrisiken.

Von Norbert Hellmann

Bei Chinas Banken verdichten sich immer dünnere Zinsmargen und wachsende Kreditrisiken im Immobiliensektor zu einer unkomfortablen Situation. Dies wird bei den direkt von der Zentralregierung kontrollierten vier größten Banken des Landes sichtbar. Für die Aushängeschilder der heimischen Kreditwirtschaft ist es geradezu Ehrensache, über alle Konjunkturzyklen hinweg ununterbrochen mittlere bis hohe einstellige Gewinnzuwächse vorzuzeigen. Der Nimbus bekommt jedoch Kratzer. Im ersten Quartal haben die großen vier Gewinnrückgänge zwischen 1,6 und 3% ausgewiesen.

Ein Offenbarungseid

Eine Gewinnfluktuation in solcher Größenordnung mag in anderen Ländern eine Petitesse darstellen, im chinesischen Kontext handelt es sich jedoch um einen Offenbarungseid. Es muss nämlich schon einiges passieren, um den auf allen Ebenen des Staatswesens und der Finanzregulierung eifersüchtig bewachten ultrasoliden Ertragstrend aus den Fugen zu bringen. Selbst in der Pandemiezeit haben sich die Bankenriesen diesbezüglich keine Blöße gegeben.

Schwarze Null verpasst

Chinas postpandemische Konjunkturlandschaft ist von angenagtem Konsum- und Investitionsvertrauen und einer so noch nie dagewesenen Klemme am Wohnimmobilienmarkt geprägt. In diesem Umfeld bekommen Vorzeigebanken wie der Marktführer Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) trotz bilanzkosmetischer Verrenkungen die ehrenrettende schwarze Null nicht mehr hin. Das verheißt nichts Gutes für breitere Ausschnitte der Kreditwirtschaft mit einer Vielzahl regionaler Banken, die wesentlich weniger stabil aufgestellt sind, um mit den Herausforderungen zurechtzukommen.

Hoher Margendruck

Das Ertragsprofil chinesischer Banken wird von der Margensituation kompromittiert. Bei mehr als zwei Dritteln der börsennotierten Institute ist die Nettozinsmarge unter die offizielle regulatorische Warngrenze bei 1,8% gerückt. ICBC und die drei anderen von der Zentralregierung kontrollierten Megabanken liegen bei Werten zwischen 1,5 und 1,7%. Bei kleineren Banken, die sich in der Regel höheren Refinanzierungskosten gegenübersehen, gibt es die ersten Fälle mit Zinsmargen unterhalb von 1%.

Einiges spricht dafür, dass im Brot-und-Butter-Geschäft mit Krediten und Einlagen Fristentransformationsgewinne noch schmäler werden. Man sieht es bei Regierungsanleihen als Referenzpunkt für Marktzinsen. Im Einklang mit verminderten langfristigen Wachstumserwartungen für Chinas Volkswirtschaft tendieren die Zinsen am langen Ende stärker nach unten. Ein verringerter Spread zwischen kurz- und langfristigen Zinsen verstärkt den Abwärtstrend bei den Margen der Geldhäuser.

Seltsam stabile Kreditausfallquote

Will man trotz immanenten Profitabilitätsdrucks den Stolz wahren, optisch ansprechende Ergebnisse auszuweisen, muss man sich im Zweifelsfall bei der Risikovorsorge größere Freiheiten nehmen. Angesichts der haarsträubenden Verhältnisse in Chinas Immobiliensektor verwundert es schon ein bisschen, dass dies offiziell nicht groß auf die Assetqualität der Institute abfärbt. Die Non-Performing Loan (NPL) Ratio als Quote der notleidenden Kredite am Gesamtportefeuille liegt für Chinas Geschäftsbanken stabil unter 1,6%. Man kann getrost davon ausgehen, dass dieses harmlose Niveau einer extrem laxen Bewertungspraxis für Kreditausfallrisiken geschuldet ist.

Häme zu US-Regionalbanken

Analysten versuchen, mit einer Reihe von methodologischen Ansätzen auf eine realistischere Einschätzung der Risikosituation zu kommen. Sie landen bei einer durchschnittlichen NPL-Quote von etwa 10%, was keinen Regulator ruhig schlafen lassen sollte. Bei der Isolierung auf Kredite im Immobiliensektor schnellt die vermutete Relation gar auf 40% hoch. In Chinas Staatsmedien werden derzeit grassierende Probleme bei einigen US-Regionalbanken und der Jahrestag des Zusammenbruchs der Silicon Valley Bank genüsslich mit der scheinbar unerschütterlichen Stabilität des heimischen Bankensystems kontrastiert. Die Genugtuung wirkt ziemlich unangebracht. Die Situation in den USA ist unkomfortabel, aber transparent. In China ist Letzteres garantiert nicht der Fall.