Ökonominnen haben’s schwer
Um mit der Ausnahme zu beginnen: Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wird demnächst eine weibliche Mehrheit haben. Denn sobald Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem Vorschlag der Bundesregierung folgend die im kalifornischen Berkeley forschende Wirtschaftswissenschaftlerin Ulrike Malmendier und den Bochumer Ökonomen Martin Werding in den Sachverständigenrat beruft, werden drei der fünf Wirtschaftsweisen Frauen sein. Schließlich sind derzeit bereits zwei Wissenschaftlerinnen, Monika Schnitzer und Veronika Grimm, neben Achim Truger im Kreis der Experten und Expertinnen, die der Bundesregierung alljährlich in ihrem Gutachten wirtschaftspolitische Empfehlungen unterbreiten.
Die weibliche Mehrheit im Sachverständigenrat ist umso bemerkenswerter, als das 1964 gegründete Gremium 40 Jahre lang als reiner Herrenklub tagte. Erst im Sommer 2004 wurde erstmals eine Frau in den Rat berufen – Beatrice Weder di Mauro. Die damals erst 38-jährige Ökonomin mit Schwerpunkt internationale Wirtschaftsbeziehungen und Finanzmärkte hatte zuvor bereits Erfahrungen beim Internationalen Währungsfonds, bei der Weltbank, bei der Federal Reserve und nicht zuletzt als Universitätsprofessorin gesammelt. In den anschließenden Jahren folgten im Sachverständigenrat die heutige Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch und später dann das aktuelle EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel. Aber wie Weder di Mauro saßen auch Buch und Schnabel in den Sitzungen des Rats jeweils vier Männern gegenüber. Immerhin – jetzt ist es erstmals anders.
Der Sachverständigenrat stellt – wie gesagt – jedoch die Ausnahme dar. Wenn es um den Einfluss von Ökonomen und Ökonominnen in der Politik, in der öffentlichen Debatte und im wissenschaftlichen Diskurs geht, dominieren nach wie vor Männer. Das dokumentiert beispielsweise das aufwendige Ökonomenranking der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in dem Punkte sammelt, wer von den Medien oft genannt, von anderen Forschern häufig zitiert und als Berater in Expertengremien von Bund und Ländern gesucht ist. Unter den Top 25 der Liste des vergangenen Jahres waren gerade einmal 4 (in Worten: vier) Frauen. Und lediglich Energie- und Umweltexpertin Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gelang es, unter den einflussreichsten zehn zu landen.
Männer leiten Institute
Auch der Blick auf die renommiertesten deutschen Forschungseinrichtungen der Wirtschaftswissenschaft bestätigt das Bild, dass es Ökonominnen hierzulande schwer haben, einflussreiche Positionen einzunehmen. Die acht im engeren Sinne wirtschaftswissenschaftlichen Leibniz-Institute – nämlich Ifo, DIW, ZEW, RWI, SAFE, IfW, IWH und das Leibniz Informationszentrum Wirtschaft ZBW – werden allesamt nicht von Professorinnen geleitet, sondern von Professoren. Es kann daher nicht überraschen, dass Ökonomen wie Marcel Fratzscher, Clemens Fuest, Achim Wambach oder Jan Krahnen auch in den Medien und in der öffentlichen Debatte eine besondere Rolle spielen.
An der wissenschaftlichen Exzellenz von Volkswirtinnen liegt es sicherlich nicht. Immerhin gingen zwei der letzten drei Leibniz-Preise für Wirtschaftswissenschaften an Wissenschaftlerinnen, nämlich an Nicola Fuchs-Schündeln in Frankfurt und Michèle Tertilt in Mannheim.
Immer mehr Studentinnen
Ein Mangel an wissenschaftlichem Nachwuchs taugt ebenfalls nicht als Begründung dafür, warum Frauen in Leitungsfunktionen von Forschungseinrichtungen oder im Ranking der einflussreichsten Ökonomen und Ökonominnen allenfalls eine Nebenrolle zukommt. Denn einen solchen Mangel gibt nicht – oder zumindest nicht mehr. Die Zeiten, als das wirtschaftswissenschaftliche Studium eine Domäne von jungen Männern war, sind ziemlich lange vorbei. Gewiss, 1975 lag der Anteil der wirtschaftswissenschaftlichen Studentinnen in Deutschland in der Tat noch bei schmalen 15%. Doch schon kurz nach der Jahrtausendwende näherte sich diese Kennziffer der Marke von 40%. Und ausweislich des Statistischen Bundesamts standen im vergangenen Jahr in deutschen Seminarräumen und Hörsälen 40462 Studentinnen der Wirtschaftswissenschaften 48937 männlichen Kommilitonen gegenüber.
Das entspricht einem Verhältnis von 45,3% zu 54,7% – und damit zwar nicht ganz dem allgemeinen Verhältnis von Frauen und Männern an den hiesigen Hochschulen und Universitäten, das bei ungefähr 50 % zu 50 % liegt, kommt ihm aber schon recht nahe. In der Prioritätenliste der Studenten einerseits und der Studentinnen andererseits finden sich Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft denn auch auf den gleichen Rängen – ganz anders als bei vielen anderen Studiengängen wie Informatik und Maschinenbau oder Psychologie.
Eine Studie aus diesem Frühjahr bestätigt den Eindruck, dass Frauen in den Wirtschaftswissenschaften „weltweit unterrepräsentiert“ sind. Das Fazit der Untersuchungen von Prof. Guido Friebel, Alisa Weinberger und Sascha Wilhelm von der Frankfurter Goethe-Universität in Zusammenarbeit mit Prof. Emmanuelle Auriol von der Toulouse School of Economics lautet: „Insbesondere in hohen Positionen und an besonders forschungsstarken Hochschulen haben Frauen es schwer.“ Friebel hat in seiner Präsentation im April das Vorgehen der Forscher anschaulich beschrieben: Sie bedienten sich eines sogenannten Web-Scraping-Algorithmus, der mit Web-Adressen von Hochschulen gefüttert wurde. Dann wurde das Geschlecht von Professoren und anderen Akademikern auf Basis der Namen und durch eine Gesichtserkennungssoftware erfasst – und das Ergebnis durch Rückfragen bei den Instituten überprüft.
Die Auswertung der Daten von 34000 involvierten Personen an 238 Universitäten und Business Schools brachte zutage, dass in Europa nur 27% der Professuren mit Frauen besetzt waren. Dass der Anteil überhaupt über einem Viertel lag, hat der Studie zufolge mit höheren Kennziffern vor allem in Skandinavien, aber auch in Spanien, Frankreich und Italien zu tun. Immerhin: In den Vereinigten Staaten lagen die Zahlen für weibliche Professuren sogar noch niedriger als in Europa.
Bei der Spurensuche kommen die Verfasser der Studie zu einer bemerkenswerten Beobachtung. In Deutschland entdecken die Forscher einen Grund für die Unterrepräsentanz von Frauen in den Wirtschaftswissenschaften darin, dass vakante Professuren mit derselben „Widmung“ wieder ausgeschrieben werden – und die entspreche in vielen Fällen Forschungsprioritäten von Männern. „Frauen“, so formulierten Friebel und sein Team anlässlich der Vorstellung der Studie, „seien eben seltener in der Makroökonomie oder der Wirtschaftstheorie unterwegs als Männer, dafür interessierten sie sich eher für Entwicklungsökonomie, Gesundheit, Arbeit, Organisationen – Bereiche, die aufgrund der weltweiten Situation und der gesellschaftlichen Entwicklung ohnehin gestärkt werden müssten“.
Seltener in Beiräten
Bereits zwei Jahre alt, aber sicherlich auch heute noch aussagekräftig ist eine Untersuchung, in der sich die Forschungsgruppe Gender Economics des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) der Frage widmet, ob Frauen in der wirtschaftspolitischen Beratung der Politik angemessen repräsentiert seien – und wenn nicht, woran das liegen könnte. Frage eins konnten die Berliner Forscherinnen Denise Barth und Katharina Wrohlich recht klar beantworten: Nein, Ökonominnen waren (Stand 2020) in den wissenschaftlichen Beiräten des Bundesfinanzministeriums beziehungsweise des Bundeswirtschaftsministeriums deutlich seltener vertreten als ihre männlichen Kollegen. Der Anteil der Beraterinnen belief sich in der Untersuchung auf 14 % (Finanzministerium) respektive 15 % (Wirtschaftsministerium). Um das Ergebnis zu akzentuieren, stellten Barth und Wrohlich die entsprechenden Kennziffern aus den wissenschaftlichen Beraterkreisen der Bundesministerien für Familie, für Bildung und für Umwelt gegenüber. In den Beiräten für Familienfragen überschritt der Anteil weiblicher Expertinnen die Marke von 60 %, in den Expertengremien für globale Umweltveränderungen sogar die Marke von 70 %. Die DIW-Forscherinnen erinnerten daran, dass sich die Anteile von 14% beziehungsweise 15% deutlich unter dem Frauenanteil des hauptberuflich wissenschaftlichen Personals in der Volkswirtschaftslehre befinden, denn der wurde bereits 2018 doppelt so hoch ausgewiesen.
Ein Erklärungsversuch der Verfasserinnen der Studie für die Unterrepräsentanz von Frauen in politikberatenden Beiräten lautet, dass bei der Berufung in diese Gremien oft Akademiker ausgewählt würden, die schon lange einen Lehrstuhl innehätten – und das seien deutlich mehr Männer. Es könne aber auch daran liegen, dass Frauen, wenn sie angefragt würden, eine Mitgliedschaft in Beratungsgremien häufiger ablehnten als Männer. Denn Politikberatung sei ein oft ehrenamtlicher Job, der zusätzlich zu Forschung und Lehre erbracht werden müsse. „Studien zeigen“, so argumentierte Wrohlich seinerzeit bei der Vorstellung der Untersuchungsergebnisse, „dass Wissenschaftlerinnen meist einen Partner haben, der ebenfalls in Vollzeit erwerbstätig ist, und sich mit diesem Kinderbetreuung und Sorgearbeit aufteilen. Ihre männlichen Kollegen haben hingegen häufiger Partnerinnen, die in Teilzeit erwerbstätig sind.“ Viele Wissenschaftler hätten damit mehr Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten als ihre weiblichen Kolleginnen.
Von Detlef Fechtner, Frankfurt