Wettbewerb

Open Access bei börsengehandel­ten Derivaten?

Freier Marktzugang ist ein wesentliches Element für einen funktionierenden Wettbewerb. Der Verbraucher hat davon seit der EU-Marktrichtlinie Mifid I in Form deutlich gesunkener Handelskosten profitiert. Und auch die indirekten Handelskosten scheinen...

Open Access bei börsengehandel­ten Derivaten?

Freier Marktzugang ist ein wesentliches Element für einen funktionierenden Wettbewerb. Der Verbraucher hat davon seit der EU-Marktrichtlinie Mifid I in Form deutlich gesunkener Handelskosten profitiert. Und auch die indirekten Handelskosten scheinen seither gesunken zu sein.

Mit Mifid II/Mifir wurde dieser Grundgedanke auch auf den offenen Zugang von beziehungsweise zu zentralen Gegenparteien (CCP) ausgeweitet, um auch im Bereich des Clearings für mehr Wettbewerb zu sorgen. Man spricht von Open Access. Bei Derivatebörsen kommt zu diesem Wettbewerbsaspekt hinzu, dass wegen der Einschussverpflichtungen die Teilnehmer ein Interesse daran haben, ihre Positionen möglichst nur über eine CCP abzurechnen, weil dies wegen der Nettingeffekte die Liquiditätsbelastung reduziert.

Bei verschiedenen CCP würde dies komplexe Interoperabilitätsvereinbarungen voraussetzen. Wegen der erheblichen wirtschaftlichen und technischen Implikationen für die Infrastrukturanbieter im Derivatebereich räumte die EU-Verordnung Mifir für diese eine zwischenzeitlich zweimal verlängerte Übergangsfrist ein. Soweit keine neuen gesetzgeberischen Maßnahmen getroffen werden, wird diese aber am 3. Juli 2021 enden. Mittlerweile hat die EU-Kommission das Thema wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

Vor diesem Hintergrund seien hier einige kurze Überlegungen angestellt, warum die Argumente für einen grundsätzlich freien Zugang zum Clearing von börsengehandelten Derivaten (ETD) möglicherweise weniger überzeugend sind als im Zusammenhang mit Aktienmärkten.

Aktien sind nicht Derivate

Zunächst ist die Analogie zwischen Aktien- und Derivatemärkten an dieser Stelle irreführend, weil Aktien ein gesellschaftsrechtlich klar definiertes Finanzinstrument mit eher trivialen Clearinganforderungen sind. Derivate hingegen sind komplexe Finanzinstrumente, die einem ständigen Innovationsprozess unterliegen und deren Clearing eine herausfordernde Risikomanagementaufgabe darstellt. Es ist daher kein Zufall, dass viele Derivatebörsen integrierte Infrastrukturanbieter sind, die Handel als auch das Clearing aus einer Hand anbieten. Damit können Verbundeffekte zwischen Produktentwicklung und Risikomanagementanforderungen realisiert werden.

Befürworter von Open Access argumentieren, dass mit solchen integrierten Geschäftsmodellen auch Wettbewerbshürden errichtet werden können. Zwar ist das ein relevanter Aspekt, allerdings sollte man nicht vergessen, dass bei Derivaten, ganz im Unterschied zu Aktien, der Wettbewerb nicht nur ein Preis-, sondern vor allem auch ein Produktwettbewerb ist. Die Verfügbarkeit von Absicherungsinstrumenten auf regulierten Märkten und die damit verbundene Liquiditäts- und Transparenzzunahme nutzt dem Endverbraucher. Tatsächlich werden an den Derivatebörsen ständig neue Kontrakte aufgelegt. Und die berühmte „Battle for the Bund“ zwischen Deutscher Terminbörse und Londoner Liffe in den 90er Jahren ist ein Anschauungsbeispiel dafür, wie hart auch der Konditionenwettbewerb sein kann.

Natürlich ist es schwer vorherzusagen, welchen Einfluss es auf die Innovationsfähigkeit von integrierten In­frastrukturanbietern, wie etwa die Eurex, hätte, wenn sie die vertikale Integration ihrer Wertschöpfungskette und die damit verbundenen Cashflows verlieren würden. Aber zumindest muss man bedenken, dass es im Unterschied zum Aktienmarkt hier einen relevanten Trade-off gibt, den man nicht einfach ignorieren kann.

Bei der gesamtwirtschaftlichen Analyse desselben muss auch in den Blick genommen werden, dass die Frage des freien CCP-Zugangs das Verhältnis von börsengehandelten (ETD) zu nicht regulierten (OTC) Derivatemärkten berührt. Die Clearing-Modelle unterscheiden sich in diesen beiden Segmenten deutlich. Auf OTC-Märkten gibt es naturgemäß keine von Infrastrukturanbietern zentral bereitgestellten CCP; diese werden vielmehr von den Gegenparteien bestimmt. Deswegen sind es auch genau diese Marktteilnehmer, die eine Ausdehnung des OTC-Modells auf das Clearing börsengehandelter Derivate einfordern, weil sie damit ihre vielfältigen Derivatepositionen besser aufrechnen können.

Somit könnte sich mit einer Ausdehnung dieses Clearingmodells auf ETDs das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Marktsegmenten verschieben. Denn erstens ist zu beachten, dass Clearing ein fixkostengetriebenes Geschäft ist und daher ein freier CCP-Zugang zu einer weiteren Marktkonzentration führen könnte. Zweitens würde damit das Geschäftsmodell von regulierten Infrastrukturbetreibern leichter angreifbar, was sich negativ auf deren Innovationsanreize auswirken könnte. Drittens könnte es auch zu einer für alle Beteiligten schädlichen Liquiditätsfragmentierung kommen; diese Gefahr besteht jedenfalls, solange CCP nicht voll interoperabel sind. Und viertens könnte sich auch die internationale Bedeutung der EU als Standort für den Derivatehandel verändern, wenn hierzulande integrierte Geschäftsmodelle unterbunden werden.

Es sollte klargestellt werden, dass es bei diesen Überlegungen nicht darum geht, das ETD-Modell gegenüber dem OTC-Modell als überlegen einzustufen. Vielmehr haben wir im Derivatebereich eine jahrzehntelange Entwicklung hinter uns, in denen diese beiden Modelle miteinander konkurriert und sich außerdem gegenseitig befruchtet haben. Gleichzeitig haben wir in der Finanzmarktkrise gelernt, dass eine etwas größere Rolle für ETD positive Stabilitätswirkungen haben und Märkte transparenter machen könnte. Vor diesem Hintergrund sollte man nicht ohne eine umfangreiche ökonomische Evaluierung das OTC-Clearingmodell auf börsengehandelte Derivate überstülpen.

Prof. Dr. Christoph Kaserer leitet den Lehrstuhl für Finanzmanagement und Kapitalmärkte an der TU München.

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