Rolle rückwärts
Wenn es um Mobilitätskonzepte der Zukunft geht, sind den Fantasien der deutschen Autohersteller scheinbar keine Grenzen gesetzt. Die Rivalen BMW und Daimler legten mit Share Now ihre Zusatzdienste zusammen, um im Zeitalter der Digitalisierung gemeinsam um die Kunden von morgen zu buhlen. Derweil versucht sich Volkswagen daran, mit dem Fortschreiten der Elektromobilität neue Vertriebskanäle zu erschließen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen.
Dass vor diesem Hintergrund ausgerechnet die mehrheitliche Übernahme von Europcar ein Teil der Lösung für den Wolfsburger Mehrmarkenkonzern sein soll, birgt eine gewisse Ironie. Vor 15 Jahren hatte das Dax-Schwergewicht den Autovermieter mit Sitz in Paris an den französischen Finanzinvestor Eurazeo für 3,3 Mrd. Euro (einschließlich Schulden) veräußert. Jetzt bemüht sich VW darum, die frühere Tochter für weniger Geld zu schlucken.
Konzernchef Herbert Diess übt sich mit diesem Schritt in der Rolle rückwärts. Stießen die Niedersachsen 2006 Europcar mit der Begründung ab, dass diese nicht mehr strategisch zum Konzern passt, soll nun die einst abgetrennte Einheit wieder in das VW-Reich eingegliedert werden. Diess wirft vermutlich ein Auge auf die Infrastruktur und das Stationsnetz von Europcar. Eine Beteiligung an einem Autovermieter wäre für VW interessant, da auf diese Weise neue Mobilitätsdienste verstärkt auch über das bisherige Maß hinaus verkauft werden könnten.
VW sondiert bereits seit längerem den Markt. Bei Sixt holte sich Diess eine deutliche Abfuhr. Bei Europcar scheint es eine Frage des Preises zu sein, ob man handelseinig wird. An Bewertungsthemen dürfte es wohl nicht scheitern, wenngleich man in Frankreichs Hauptstadt einen ersten Vorstoß ablehnte. Im Aktionärskreis tummelt sich eine Reihe von Private-Equity-Häusern und Hedgefonds.
Europcar ist allerdings alles andere als eine Perle. Das Unternehmen ist notorisch klamm, schreibt tiefrote Zahlen und ist hoch verschuldet. Der Coronaschock verschärfte die Lage. Die Aktie der seit 2015 börsennotierten Gesellschaft stürzte auf Penny-Stock-Niveau ab. Kein Wunder also, dass sich Eurazeo Anfang des Jahres entnervt zurückzog. Die Pandemie setzt zwar der gesamten Branche zu, der stabilere Konkurrent Sixt hat aber eine bessere Ausgangsposition, sich von der Krise operativ zu erholen.
Sollte daher VW zum Zuge kommen, ständen bei dem Neuerwerb umfangreiche Aufräumarbeiten an. Angesichts dessen ist es fraglich, ob das für Diess zielführend wäre.
(Börsen-Zeitung,