Trumps Orwell’sche Versuchung
Trumps Orwell’sche Versuchung
US-Präsident Trump entlässt Leiterin der Arbeitsstatistikbehörde Erika McEntarfer wegen missliebiger Konjunkturdaten – Vorwürfe gegen Notenbankchef Powell werden schärfer
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Was nicht sein darf, kann auch nicht sein. Das war schon in seiner ersten Amtszeit als US-Präsident die Ansicht von US-Präsident Donald Trump. Gleich bei seiner Amtseinführung 2017 warf er der Presse „Lügen“ vor, weil sie nur von 250.000 Zuschauern berichtete, was sie mit Fotografien belegte, die große Lücken in der Menge zeigten. Er selber wollte jedoch „Millionen“ gesehen haben. Die Fotos seien „gefälscht“, sagte er, und drohte mit Klagen. Später wurde von „alternativen Fakten“ gesprochen.
In seiner zweiten Amtszeit geht er einen großen Schritt weiter und wirft den eigenen Statistikern „Lügen“ vor, weil die veröffentlichten Daten zu ökonomischen Realitäten nicht mit seinen Vorstellungen übereinstimmen. Gleich von Anfang an geriet Notenbankchef Jerome Powell in seine Schusslinie, weil er die Zinsen nicht senken will wegen der noch unklaren Lage bei der Teuerung.
US-Notenbankchef in Schusslinie
Trump sieht – natürlich – alle Rahmenbedingungen dafür als gegeben an. Trump bezeichnete ihn am Freitag auf seinem Online-Dienst „Truth Social“ erneut als „sturen DUMMKOPF“. Zugleich forderte er den Fed-Vorstand auf, er solle „DIE KONTROLLE ÜBERNEHMEN“, falls der Notenbankchef sich weiterhin weigere, den Leitzins „deutlich“ zu senken. Trump braucht schließlich niedrigere Zinsen, um die Konjunktur in Gang und die Zinslast angesichts rasch steigender Staatsverschuldung in Zaum zu halten.
Zumal Trump den Wahlkampf ja auch mit dem Versprechen geführt hat, die hohe „Biden-Inflation“ zurückzuführen. Dabei sollte nach seinem Dafürhalten die Tatsache, dass er die Wahl gewonnen hat, ja schon quasi genügen, dass die Preise nachgeben.
Inflationsschub erwartet
Allerdings droht ihm in Kürze ein böses Erwachen, weil Ökonomen wegen seiner Zollpolitik mit massiven Teuerungsschüben rechnen und zudem einen Wachstumseinbruch erwarten. Eine Stagflation also, ein überaus toxisches Gemisch. Das könnte die Zustimmung zu seiner Präsidentschaft nachhaltig erschüttern. Eine aktuelle Umfrage von Fox News zeigt bereits, dass inzwischen 62 % der Wähler Trumps Umgang mit den Zöllen ablehnen – obendrein sind 58 % gegen das Steuer- und Ausgabenpaket und 55 % mit seiner Wirtschaftspolitik insgesamt unzufrieden.
Ein weiteres Abrutschen der Zustimmung gilt es aus Sicht von Trump zu verhindern. Und in den neuen Arbeitsmarktdaten, die nicht in seinem Sinne ausgefallen sind, sieht er zum einen diesbezüglich eine große Gefahr, zum anderen aber wohl auch die Gelegenheit, das Bild „zurechtzurücken“. In der Nacht auf Samstag entließ er prompt die Leiterin der Arbeitsstatistikbehörde Erika McEntarfer. „Meiner Meinung nach wurden die heutigen Arbeitsmarktzahlen GEFÄLSCHT, um die Republikaner und MICH schlecht aussehen zu lassen", schrieb Trump am Freitag auf „Truth Social“. „Die Wirtschaft BOOMT unter "TRUMP“, gab er die Marschrichtung vor.
Spuren auf dem Arbeitsmarkt
Anlass der Entlassung sind rückwirkende Korrekturen an den Arbeitsmarktdaten, wie es sie regelmäßig auch in anderen volkswirtschaftlichen Datensätzen gibt, sobald größere Mengen an neuen Informationen nachträglich verarbeitet werden müssen. Durch umfangreiche Kürzungen bei früheren Beschäftigungszahlen wurden 258.000 ursprünglich für Mai und Juni gemeldete Stellen gestrichen, was die stärkste zweimonatige Abwärtskorrektur außerhalb der Pandemie darstellt. Auch die Zahlen für Juli lagen unter den Erwartungen und unterstreichen die Schwierigkeiten der Wirtschaft unter den neuen Zollmauern und der aggressiven Migrationspolitik.
Die Korrekturen dienen der Qualitätskontrolle. Diese Sorgfalt ist nötig, weil die Daten die Grundlage für die Einschätzung der Konjunktur, der Inflation und der Steuereinnahmen darstellen. Behörden, Forschungsinstitute, Unternehmen und die Finanzmarktteilnehmer richten sich danach aus. Ohne Daten stochern sie im Nebel und könnten teure Fehlentscheidungen treffen. Das dürfte Investitionsentscheidungen zusätzlich bremsen und der Wirtschaft schaden.
Der „Bote“ im Fadenkreuz
„Der Präsident schießt nur auf den Boten, so einfach ist das“, sagte Doug Holtz-Eakin, Präsident des rechtsgerichteten American Action Forum und ehemaliger Direktor des Congressional Budget Office. „Der Präsident riskiert durch die Politisierung des BLS und der offiziellen Regierungsdaten erhebliche wirtschaftliche Schäden“, warnt Michael Strain, Ökonom am konservativen American Enterprise Institute in der Washington Post. Es sei unerlässlich, dass Unternehmen, Haushalte und Investoren darauf vertrauen könnten, dass die offiziellen Regierungsdaten korrekt seien und keine politische Voreingenommenheit widerspiegelten. Glücklicherweise treffe dies bislang auf die Daten zu, „aber indem er Zweifel sät, untergräbt Präsident Trump die Integrität der Informationen, auf die Unternehmen, Investoren und Haushalte angewiesen sind“.
„Ich denke, was Trump tut, ist, die Glaubwürdigkeit der US-Regierung zu zerstören, wenn es darum geht, die amerikanische Bevölkerung über die Realitäten unserer Gesellschaft zu informieren“, sagte Senator Bernie Sanders. „Wenn man die Leute entlässt, die objektiv versuchen, die bestmöglichen Informationen zu liefern, und sie durch politische Handlanger ersetzt, die dem Präsidenten sagen, was er hören will, dann wird niemand diesen Informationen mehr vertrauen, und auf lange Sicht wird es für uns schwieriger, voranzukommen, weil wir nicht wirklich wissen, was vor sich geht.“
Sanders hält die Entlassung für „sehr gefährlich“ und als einen „weiteren Schritt Trumps, dieses Land in Richtung Autoritarismus zu führen“. Art Hogan, Chef-Anlagestratege bei B. Riley Wealth meint: „Meiner Meinung nach geschieht so etwas in Diktaturen, nicht in Demokratien.“
Orwells Wahrheitsministerium
Gar manche Beobachter dürften sich dabei an Orwells „Wahrheitsministerium“ erinnert fühlen, in dem die Geschichte nachträglich korrigiert wird, um die Herrschenden in besserem Licht erscheinen zu lassen. Unter Stalin wurden missliebige Personen aus Fotos herausretuschiert. Und unter Trump sollen die Daten so hingebogen werden, dass er stets Erfolge seiner Politik vermelden kann und die Wähler die tatsächliche Entwicklung erst mit großem zeitlichem Verzug zu spüren bekommen – im günstigsten Fall erst nach den Zwischenwahlen. Damit geht er sogar weiter als das Wahrheitsministerium, weil er den Blick auf die Zukunft zu manipulieren sucht. „In Zeiten der universellen Täuschung“, schreibt George Orwell in „1984“, „wird schon das Aussprechen der Wahrheit zur revolutionären Tat“.