Unterm Strich

Unabhängigkeit der EZB als Klimaopfer

Notenbanker sind keine Klimapolitiker. US-Fed-Chef Jerome Powell weiß das, EZB-Präsidentin Christine Lagarde sollte das noch lernen.

Unabhängigkeit der EZB als Klimaopfer

Wie lange wird es dauern, bis die Klimaaktivisten von Lützerath den EZB-Tower in Frankfurt besetzen? Aus Sicht der militanten Klimaschützer gehören zu den Vertretern des fossilen Kapitalismus ja nicht nur die CO2-emittierenden Industriekonzerne, sondern auch die diese Unternehmen finanzierenden Banken. Damit sind Notenbanken und insbesondere die Europäische Zentralbank (EZB) doppelt betroffen: als oberster Bankenaufseher und als Financier, sofern im Portfolio der seit Jahren zur Inflationsförderung massenhaft aufgekauften Anleihen auch solche von Öl- und Energiekonzernen stecken. Die Forderung, Anleihen von Ölkonzernen und anderen CO2-Sündern jetzt bevorzugt zu verkaufen, hat die Umweltschutzorganisation Greenpeace ja schon erhoben, und es dürfte nicht lange dauern, bis diesem Anliegen mit „friedlicher Gewalt“ Nachdruck verliehen wird. Sprichwörtlich ins Visier genommen haben Klimaschützer die EZB ja schon länger, beispielsweise als sie mit Gleitschirmen auf dem EZB-Gelände landeten oder vor den Toren der Zwillingstürme symbolisch Erde verbrannten.

Dass die EZB im Fokus von Klimaaktivisten steht, hat sich die Zentralbank selbst eingebrockt. Im irrationalen Überschwang ihrer beginnenden Präsidentschaft und auch aus persönlicher Profilierungssucht im Konzert der europäischen Klimaretter hatte Christine Lagarde sich weit aus dem Fenster gelehnt mit dem Bekenntnis zu einer „grünen Wirtschaft“ und der Selbstverpflichtung der EZB zu einer grünen Geldpolitik: „Auch bei der Durchführung unserer Geldpolitik tragen wir dem Klimawandel gegebenenfalls Rechnung, wie bei unseren Ankäufen von Vermögenswerten und in unserem Sicherheitenrahmen.“ So steht es auf der EZB-Homepage, wo die strategischen Klimaziele und die „Klimaagenda“ detailliert beschrieben sind. Die Geister, die die EZB damit rief, wird sie nun nicht mehr los. Entsprechend tingelt insbesondere das deutsche Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel seither durch die Lande, um einerseits das Bekenntnis zu einer grüneren Ausrichtung der Geldpolitik zu bekräftigen und zu konkretisieren und andererseits den Vorwurf der „Fossilflation“ zu kontern. Mit Letzterem ist der Inflationsdruck aus der Verteuerung fossiler Energie gemeint. Freilich ist auch die um Energiekosten bereinigte Kerninflationsrate weit über das Ziel von 2% hinausgeschossen.

Schnabel adressiert einen Zielkonflikt der Geldpolitik, vor dem Währungsexperten die EZB oft genug gewarnt haben. Das vorrangige Mandat der EZB ist die Sicherung der Preisstabilität in der Eurozone. Erst danach und nur dann, wenn sie nicht zulasten des Hauptauftrags der Geldwertstabilität geht, kommt die Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der EU und damit die Bekämpfung des Klimawandels und die grüne Transformation der Wirtschaft. Bekanntlich ist in Deutschland und mehr noch in Europa politisch umstritten, was unter grün und nachhaltig zu verstehen ist und mit welchen Maßnahmen der Klimawandel zu bekämpfen sei. Damit droht die EZB mit einem Sekundärmandat zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen zu werden, die nicht ohne schädliche Folgen für das Hauptmandat blieben, die Unabhängigkeit gefährdeten und das Vertrauen der Menschen in sie erschütterten.

Die US-Notenbank Fed und ihr Chef Jerome Powell haben erfahren, was die Folgen einer Politisierung sein können, sowohl einst unter Präsident Donald Trump als auch vor einem Jahr unter Präsident Joe Biden, als eine von Biden ausgewählte Kandidatin für die Fed, nämlich die ehemalige Vize-Finanzministerin Sarah Bloom Raskin, wegen ihrer klimapolitischen Agenda am Widerstand der Republikaner scheiterte.

Anders als offenkundig Christine Lagarde weiß Jerome Powell sehr gut, dass man sich als Notenbanker bei einer für viele Menschen mit wirtschaftlichen Einbußen verbundenen Inflationsbekämpfung durch Zinserhöhungen nicht auf Nebenkriegsschauplätzen verzetteln und angreifbar machen sollte. „We are not, and will not be, a ‚climate policymaker‘“, stellte Powell vor wenigen Tagen auf einer Notenbanker-Konferenz in Stockholm klar. Die Fed müsse sich auf ihr Mandat zur Inflationsbekämpfung konzentrieren und der Versuchung widerstehen, ihren Aufgabenbereich auf andere wichtige gesellschaftliche Themen des Tages auszudehnen, so Powell. Und auch der frühere Gouverneur der Bank of England, Mervin King, warnte beim Thema Klimapolitik völlig zu Recht davor, „in the great enthusiasm for doing good“ die Unabhängigkeit der Notenbank zu riskieren.

Braun oder grün?

Zweifelsohne müssen Notenbanken die Klimarisiken im Blick haben – so wie andere Risiken auch. Denn erstens haben Klimakatastrophen direkte Folgen auf der Angebots- wie auch Nachfrageseite und damit für Preise. Zweitens verändert die Transformation zur grünen, klimaneutralen Wirtschaft die Finanzierungsströme und Bankbilanzen und damit die Stabilität des Finanzsystems. Und drittens brauchen Notenbanken für ihre Geldpolitik einen funktionierenden Transmissionsmechanismus, sprich leistungs- und zukunftsfähige Banken, die ihrerseits den Klimawandel finanzieren können.

Machtmissbrauch und Anmaßung von Wissen allerdings wäre es, wollte die EZB ihren Anleihebestand nach „braun“ und „grün“ sortieren und vermeintlich klimaschädliche Emittenten aussortieren. Die EZB müsste ja ein Urteil fällen, welche Unternehmen und auch welche Staaten, deren Anleihen sie besitzt, kauft oder verkauft, in welchem Maße Klimasünder sind. Dafür gibt es weder allgemein anerkannte Bewertungen und Ratings, noch hat die EZB ein klimapolitisches Mandat. Sollte die EZB ihre Anleihebestände nach klimapolitischen Kriterien aktiv umschichten, wie Isabel Schnabel es in Stockholm zur Diskussion stellte, wäre die Büchse der Pandora geöffnet und die Unabhängigkeit der EZB dem Zeitgeist geopfert.

c.doering@boersen-zeitung.de

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