Zeitenwende bei Sustainable Finance
Zeitenwende bei Sustainable Finance
Mit dem Defence Readiness Omnibus will die EU den Rüstungssektor stärken. Die Zeitenwende hat auch Sustainable Finance erreicht. Allerdings kommen die Kapitalströme nicht überall gleichmäßig an.
sar Frankfurt
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt
Kurz nach der Jahrtausendwende machte der Begriff des „Vice Funds“ die Runde. Fonds, die ausschließlich in Alkohol, Tabakwaren, Glücksspiel und die Rüstungsindustrie investierten. Sie alle einte ihr Schmuddelimage – doch von dem hat sich die Rüstungsbranche mittlerweile so weit wie nur möglich distanziert. Heutzutage ist eher von der Verteidigungsindustrie die Rede. Die EU-Kommission hat nun in einer neuen „Commission Notice“ sogar hergeleitet, wie die Verteidigungsbranche mit den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen in Einklang kommt.
Die Interpretationshilfe ist Teil des Defence Readiness Omnibus der EU, der bessere Bedingungen für die Rüstungsindustrie schaffen, bürokratische Hürden abbauen und Investitionshemmnisse beseitigen soll. Das betrifft auch das Sustainable Finance Framework. Die Kommission betont in dem Dokument, dass die Verteidigungsindustrie erforderlich ist, um die Bürgerinnen und Bürger im Falle eines bewaffneten Angriffs zu beschützen. Unter diesem Aspekt trage sie daher zu Frieden und Sicherheit bei, ganz im Sinne des 16. Sustainable Development Goal der UN („promote peaceful and inclusive societies”).
Auslegung der Kommission bietet Orientierung
Die Commisson Notice sagt, das Sustainable Finance Framework stelle keinen limitierenden Faktor für Investitionen in Rüstung dar – die Branche solle behandelt werden wie jede andere auch. Abweichende Anforderungen gibt es weiterhin für sogenannte „controversial weapons“ wie Streumunition, chemische oder biologische Waffen. An diesen Auslegungshinweisen dürften sich auch Behörden wie die Bafin sowie institutionelle Anleger orientieren, erwartet Sascha Arnold, Infrastruktur-Partner bei Ashurst. Zwar bliebe noch Interpretationsspielraum. „Aber zur Orientierung hilft es erst einmal.“
In eine ähnliche Richtung geht ein Schritt des Bundesverbands Investment und Asset Management (BVI), der Ende 2024 sein ESG-Zielmarktkonzept verändert hat. Zuvor war darin festgelegt, dass nachhaltige Fonds nicht in Unternehmen investieren dürfen, die mehr als 10% des Umsatzes mit Rüstungsgütern erzielen. Diese Schwelle ist Ende 2024 gefallen. Völkerrechtlich geächtete Waffen bleiben außen vor. Die Europäische Investitionsbank (EIB) hat im Frühjahr ein Programm für mehr Investitionen in Sicherheit und Verteidigung verabschiedet, ausgeschlossene Aktivitäten seien „so eng wie möglich begrenzt“.
Selbstgesetzte ESG-Standards
Die vermehrten Interpretationshilfen von Verbänden und öffentlichen Stellen sollen den Finanzfluss an die Branchenunternehmen befördern. Während große kapitalmarktorientierte Rüstungskonzerne zuletzt nicht über Engpässe klagen konnten, liegen die Hürden für kleine und mittelständische Rüstungsbetriebe höher. „ESG-Compliance ist eine Projektionsfläche für vieles.
Dabei geht es oft gar nicht um harte rechtliche Ausschlüsse, sondern eher um selbstgesetzte Richtlinien und Standards“, sagt Marc Ruttloff, Partner im öffentlichen Wirtschaftsrecht bei der Kanzlei Gleiss Lutz. Dies habe in der Vergangenheit mitunter zu einer „Over-Compliance“ geführt, durch die Banken sich bei Krediten an Unternehmen mit Rüstungsgeschäft zurückgehalten hätten.
Doch er beobachtet einen Stimmungsumschwung. „Finanzmarktakteure bauen ihre Bedenken ab und setzen sich ernsthaft mit den Besonderheiten der Rüstungsindustrie und der Anwendung von ESG auf diese Industrie auseinander.“
Bei der Finanzierung mittelständischer Unternehmen ist noch Sand im Getriebe.
Christoph Goller, Gleiss Lutz
Einzelne Akteure positionieren sich offensiv. Die Deutsche Bank hat im März eine bankweite, bereichsübergreifende Arbeitsgruppe für Verteidigung und Infrastruktur eingerichtet. Anfang Juli versammelte das Institut Führungskräfte aus Verteidigungsindustrie, Militärfachleute und Investoren zu einer europäischen Verteidigungskonferenz in London. Solche Statements könnten auch Wettbewerber unter Zugzwang setzen, sagt Ruttloff.
Zurückhaltung im Mittelstand
Kleinere Sparkassen und Volksbanken, die klassischerweise den Mittelstand finanzieren, treten hingegen nach wie vor zurückhaltender auf. „Bei der Finanzierung mittelständischer Unternehmen ist noch Sand im Getriebe“, sagt Christoph Goller, der bei Gleiss Lutz Mandanten in der Verteidigungsindustrie berät. Häufig hätten potenzielle Geldgeber Sorge vor Reputationsschäden. „Dabei gibt es wohl keine andere Branche, in der Exporte und Produkte so eng überwacht und dokumentiert sind wie in der Rüstung.“ Dies gelte es noch deutlicher herauszustellen.
Das politische Momentum steigert auch das Interesse privater Investoren an Rüstungsunternehmen, beobachtet Nick Reiff, Director im Bereich Aerospace, Defence and Space bei der Strategieberatung Strategy&. Privates Kapital sei gefragt, um den gewünschten Ausbau der Verteidigungsindustrie zu finanzieren. Die Geldgeber sehen im Gegenzug in Zeiten steigender Verteidigungsausgaben ein lukratives Geschäftsfeld.
Die große Frage ist, bei welchen Unternehmen die Mittel wirklich ankommen. „Der Zugang zu Finanzierung ist besser geworden, auch wenn noch nicht der Zielzustand erreicht ist, den die Industrie gerne hätte“, sagt Reiff.
Udo Olgemöller, Partner bei A&O Shearman im öffentlichen Recht und Co-Head der ESG Gruppe in Deutschland, sieht bei Private Equity wachsendes Interesse am Verteidigungssektor. „Viele Fonds schauen sich die Branche gerade sehr genau an und bauen ihre Industrieexpertise aus“, sagt er. Allerdings sitzen viele große Finanzinvestoren in Großbritannien oder den USA – das kann Investitionsvorhaben enge Grenzen setzen.
Die Regulierungstiefe lenkt hier auch ein Stück weit die Investitionsströme.
Udo Olgemöller, A&O Shearman
Der Bund könne etwa den Abschluss von Beschaffungsverträgen auf Unternehmen beschränken, die mehrheitlich von EU-Eignern kontrolliert sind, erklärt der Jurist. Internationale Investoren suchten daher ihre Chancen eher in der erweiterten Wertschöpfungskette. „Sie schauen auf die weniger regulierte dritte oder vierte Reihe der Zulieferer. Diese stellen dann häufig Dual-Use-Güter her“, sagt Olgemöller. Diese Güter können sowohl in zivilen wie auch militärischen Bereichen zum Einsatz kommen und decken dadurch mehrere Märkte ab. Auch Know-how im Bereich Cybersicherheit für sensible Branchen sei für Investoren interessant. „Die Regulierungstiefe lenkt hier auch ein Stück weit die Investitionsströme.“
Dass Rüstung und ESG-Konformität nun in der offiziellen Lesart in Einklang kommen, bietet privaten Investoren mehr Möglichkeiten. „Oft müssen sie Selbstverpflichtungen ihrer Geldgeber beachten, die einen bestimmten Teil der Mittel für ESG-konforme Investments binden“, sagt Strategy&-Berater Reiff. Dabei gebe es verschiedene Mittelwege. Manche Investoren ermöglichten beispielsweise Investitionen in Rüstung aus ihren ESG Fonds, zählten dies aber nicht zum Anteil der Sustainable Investments. „Das Thema ist nach wie vor brisant. Investoren wollen kein Greenwashing betreiben, zugleich ist die Verteidigungsindustrie interessant. Viele tasten sich auch in der Kommunikation vorsichtig heran“, sagt Reiff.

Helsing
Im Startup-Bereich hat Helsing, das sich auf den Einsatz künstlicher Intelligenz im Rüstungssektor spezialisiert hat, mit 600 Mill. Euro die größte Finanzierungsrunde des ersten Halbjahres in Deutschland hingelegt. Das ebenfalls in der Rüstung tätige Startup Quantum Systems sicherte sich nach Daten von EY 160 Mill. Euro, das ist die viertgrößte Summe.
Schwerer haben es frisch gestartete Firmen. „Die Finanzierungstickets sind dann für Private-Equity-Fonds noch zu klein, da geht es um Angel Investments“, sagt Ashurst-Jurist Arnold. Dort sieht er Engpässe. Zumal fraglich sei, ob diese Firmen von den avisierten Investitionssummen der öffentlichen Hand profitieren könnten. Beschaffungsverträge der Bundeswehr gehen häufig an fest etablierte Unternehmen, die über viele Jahre hinweg verlässlich große Mengen des gewünschten Produkts produzieren können.
Erleichterungen für Startups
Das Gesetz zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr, das gerade das Kabinett passiert hat, könnte für junge Unternehmen Erleichterungen bringen. Dort werden Vorauszahlungen ermöglicht, wenn dadurch die Anzahl der Bewerber oder Bieter steigt. Dies soll auch Startups die Teilnahme ermöglichen.
In der juristischen Praxis werde sich der Beratungsschwerpunkt künftig verlagern, erwartet Arnold. Interpretationshilfe beim Lesen von Gesetzestexten – auch aus der Sorge vor Greenwashing – dürfte durch die jüngsten Verlautbarungen weniger gefragt sein. „Aber wir werden mehr Beratungsbedarf bei konkreten Investitionen im Verteidigungssektor sehen.“