Britische Wohnimmobilien: Von Boom zu Bust
Von Boom zu Bust
Die Preise britischer Wohnimmobilien nähern sich dem bisherigen Rekord. Lockerungen bei der Kreditvergabe helfen dabei.
Von Andreas Hippin, London
Wenn es ein Thema gibt, zu dem in Großbritannien jeder eine Meinung hat, dann ist es der Markt für Wohnimmobilien. Schließlich hat man es mit einer Nation von Eigenheimbesitzern zu tun, für die das Haus oder die Wohnung einen wesentlichen Teil ihres Vermögens darstellt. Und so dürfte die übergroße Mehrheit mit Freuden aufgenommen haben, dass sich die Preise wieder dem im Sommer 2022 erreichten Rekord nähern.
Damals sorgten die während der Pandemie aufgestaute Nachfrage, niedrige Zinsen und die vorübergehende Aussetzung der Stempelsteuer für einen rasanten Anstieg. Wer glaubte, dass sich die Arbeitswelt für immer verändert und das Arbeiten im Büro der Vergangenheit angehört, trieb im „Race for Space“ die Preise für Wohnimmobilien in den Londoner Vororten und an der Küste nach oben.
Steigende Reallöhne, Hoffnung auf sinkende Zinsen
Derzeit machen steigende Reallöhne und die Hoffnung auf sinkende Zinsen potenziellen Käufern Mut. Im Mai stieg der durchschnittliche Preis eines Eigenheims dem Hypothekenanbieter Nationwide zufolge um 0,5% auf 273.427 Pfund. Und prompt war der April vergessen, in dem der Durchschnittspreis um 0,6% fiel, nachdem er sieben Monate in Folge nach oben gegangen war.
Die Lockerung der Regeln für die Kreditvergabe durch die Bank of England trägt ihren Teil dazu bei, die Preise weiter in die Höhe zu jagen. Sie hatte im März entschieden, dass Banken Kaufwillige nicht länger einem Stresstest unterziehen müssen, der als Benchmark den durchschnittlichen variablen Zins (Standard Variable Rate) – derzeit 7,25% – plus einen Prozentpunkt ansetzt. Dabei wird davon ausgegangen, dass sie sich für eine Zinsbindung von weniger als fünf Jahren entscheiden.
Erstkäufer als Preistreiber
Der Makler Savills hat bereits ausgerechnet, was die Lockerung bedeutet. Wenn die Messlatte für den Stresstest von derzeit 8,25% auf 7,00% gesenkt wird, könnte die Zahl der Transaktionen von Erstkäufern in den kommenden fünf Jahren um bis zu 24% oder mehr als 80.000 steigen. Das könnte die Preise für Wohnimmobilien in diesem Zeitraum um 7,5% über die bisherigen Vorhersagen hinaus steigen lassen.
Frühere Regierungen schraubten an der Stempelsteuer, um Erstkäufer zum Abschluss zu ermutigen. Die Konservativen legten mit „Help to Buy“ ein Programm auf, das den Erwerb von Wohneigentum mit nur 5% Eigenkapital ermöglichte. Stets waren steigende Preise für Wohnimmobilien die Folge.
Angebot fehlt
Denn an der Angebotssituation hat sich nichts geändert. Die Regierung ist weit davon entfernt, ihre ambitionierten Wohnungsbauziele zu erreichen. Wer kann, strebt weiterhin nach Wohneigentum und bezahlt die geforderten Preise.
Volkswirtschaftlich betrachtet ist es natürlich Unsinn, wenn weite Teile der Bevölkerung einen so großen Teil ihres Einkommens darauf verwenden müssen, die Monatsraten ihrer Hypotheken zu bezahlen. Der Finanzlobby UK Finance zufolge sind es bei Erstkäufern im Schnitt 23% des Monatseinkommens. Vor fünf Jahren waren es noch 17%. Das Geld fehlt für den Konsum, der in Großbritannien eine größere Bedeutung für die Gesamtwirtschaft hat als im exportfixierten Deutschland.
Immer längere Laufzeiten
Problematisch ist auch die immer längere Laufzeit der Immobiliendarlehen. In dem Bestreben, möglichst niedrige Monatsraten zu zahlen, schließen Erstkäufer Hypotheken mit einer durchschnittlichen Laufzeit von 31 Jahren ab. Vor 20 Jahren entschieden sich die meisten noch für 25 Jahre. Die Obergrenze vieler Banken liegt bei 40 Jahren.
Kann das gutgehen? Natürlich nicht. Die ersten Anzeichen für den „Bust“, der jedem Boom unweigerlich folgt, sind bereits sichtbar. Höhere Steuern und Abgaben sorgen für eine geringere Investitionsbereitschaft der Privatwirtschaft. Der Arbeitsmarkt dreht. Entlassungen machen Schlagzeilen. Die Zinsen sinken zwar, aber bei weitem nicht so schnell wie zu Jahresbeginn erwartet. Vielleicht haben ja diejenigen das bessere Los gezogen, die nicht auf Jahrzehnte hinaus Schulden abtragen müssen.