„Red Queen“ Angela Rayner wirkt im Hintergrund
Die „Red Queen“ wirkt im Hintergrund
Von Andreas Hippin, London
Angela Rayner (45) wird immer mehr zur Gefahr für den britischen Premierminister Keir Starmer, der die Politik seiner Regierung mit seinen hölzernen Auftritten nicht verkaufen kann. Er hat es seiner Stellvertreterin zu verdanken, dass sich Labour trotz überwältigender Mehrheit der Mandate nicht durch eine Abstimmungsniederlage im Unterhaus blamierte, als es um die Reform des Sozialstaats ging.
Die ehemalige Gewerkschaftsfunktionärin handelte den Kompromiss mit aus, der einen Großteil der rebellischen Hinterbänkler zur Zustimmung bewegte. Dass sich dabei die geplanten Einsparungen des Schatzamts in Luft auflösten, ist der Preis der Macht. Rachel Reeves wird die 5 Mrd. Pfund, die nun im Haushalt fehlen, anderswo finden müssen.
„Operation Revenge“
Die „Red Queen“, wie sie der konservative Politiker Michael Ashcroft in einer wenig schmeichelhaften Biographie nannte, hat sich damit als Powerbroker etabliert. Ihren Worten zufolge hat sie kein Interesse daran, Starmer vom Sockel zu stoßen. Ihre Unterstützer vom linken Flügel der Partei und in den Gewerkschaften würden sie dagegen gerne in 10 Downing Street sehen.
Angeblich bemüht sich ihr Lebenspartner Sam Tarry darum, sie zu ersten Frau an der Spitze der Partei zu machen. Abgeordnete hätten die Kampagne „Operation Revenge“ genannt, behauptet die „Daily Mail“. Denn Tarry verlor im Juli 2022 seinen Posten in Starmers Schattenkabinett, weil er er als Streikposten während des Bahnstreiks ein Fernsehinterview gegeben hatte. Das kam bei Starmers Chief of Staff, Morgan McSweeney schlecht an.
Populär bei den Mitgliedern
Die Mitglieder stehen hinter ihr. Und darauf kommt es an. In einer Umfrage der Website LabourList war lediglich Energieminister Ed Miliband populärer als Rayner. Starmer und Reeves erreichten dagegen negative Werte. Eine weitere Befragung ergab, dass 86% der weiblichen Mitglieder eine gute Meinung von Rayner haben. Bei den männlichen Mitgliedern sind es 85%.
Ihr Verhältnis zur Gewerkschaft Unite wurde zuletzt dadurch getrübt, dass sich Rayner nicht uneingeschränkt hinter die überzogenen Forderungen der streikenden Mitarbeiter der Müllabfuhr von Birmingham stellen wollte. Die Labour-regierte Kommune ist nämlich nach einem Gerichtsentscheid zu einem anderen Arbeitskonflikt bereits pleite. Prompt wurde ihre Mitgliedschaft von der weit links stehenden Arbeitnehmervertretung suspendiert.
Schwanger ohne Schluabschluss
Rayner wuchs in einem Sozialwohnungsblock in Stockport (Greater Manchester) auf. „Wir hatten keine Bücher, als ich klein war, weil meine Mutter nicht lesen und schreiben konnte“, sagte sie der „Financial Times“. Mit 16 wurde sie schwanger und verließ die Gesamtschule ohne Abschluss. „Mir wurde gesagt, dass ich es nie zu etwas bringen und mit 30 in einer Sozialwohnung mit einem Haufen Kinder leben würde“, sagte dem „Guardian“. Sie fand schließlich einen Job als Haushaltshilfe für pflegebedürftige Menschen bei der Lokalverwaltung. Aber als jüngste Mitarbeiterin habe sie sich ständig mit ihren Vorgesetzten angelegt.
Das hatte zur Folge, dass sie jemand für den Betriebsrat vorschlug. Die Gewerkschaft Unison wurde für sie zur politischen Heimat. 2010 bis 2020 war sie mit dem 17 Jahre älteren Unison-Funktionär Mark Rayner verheiratet.
Gewerkschaftsbewegung als Heimat
Sie kämpfte gegen die Privatisierung der häuslichen Pflege und war bald die hochrangigste Gewerkschafterin im englischen Nordwesten. Rayner wurde 2015 für den Wahlkreis Ashton-under-Lyne ins House of Commons gewählt. Sie war gegen den Austritt aus der Europäischen Union. Im Kampf um die Parteispitze unterstützte sie damals Andy Burnham. Doch ein Jahr später gehörte sie zu den 18 Labour-Abgeordneten, die sich hinter Jeremy Corbyn stellten.
Sie verteidigte ihr Mandat bei den Unterhauswahlen 2017 und 2019, zuletzt jedoch mit schwindendem Vorsprung. Vor fünf Jahren löste sie Tom Watson als stellvertretende Parteichefin ab. Gefahr droht ihr von der Parteilinken. Die Haltung von Labour zum Krieg im Gaza-Streifen und das Verbot von Palestine Action als terroristische Vereinigung kamen an der Parteibasis schlecht an.
Gaza wird Wahlkampfthema
Bei den Wahlen im Juli vergangenen Jahres zogen mehrere unabhängige Kandidaten ins Unterhaus ein, die sich allein auf Gaza fokussiert hatten, um muslimische Wähler für sich zu mobilisieren. In Rayners Wahlkreis trat kein solcher Kandidat an. Die „Daily Mail“ führt das auf die Bemühungen ihres Freunds Wajid Khan zurück. Der ehemalige Bürgermeister von Burnley ist mittlerweile Staatssekretär.