GastbeitragVeröffentlichungspflichten

Kapitalmarktkommunikation in der US-Zollkrise

Der globale Zoll-Streit sorgt für große Unsicherheit in den Unternehmen. Die Konzerne sind dennoch an Berichtspflichten gebunden. Investoren erwarten die gewohnte Transparenz.

Kapitalmarktkommunikation in der US-Zollkrise

Kapitalmarktkommunikation
in der US-Zollkrise

Rechtspflicht der Unternehmen zur Prognose besteht fort

Von Christoph H. Seibt
und Felix Schüßler *)

Die Verlautbarungen von US-Präsident Trump Anfang April zu drastisch erhöhten Importzöllen und die Gegenmaßnahmen bestimmter Drittstaaten wie China („US-Zollkrise“) hat bei sehr vielen Unternehmen große Unsicherheit ausgelöst; der auf den S&P 500 bezogene Volatility Index (VIX) erreichte Höhen wie bei Beginn der Corona-Pandemie.

Die Unsicherheit bezieht sich auf die Fortführung von Strategie sowie Geschäftsmodell und die Erreichbarkeit finanzieller Schlüsselkennziffern. Sie ist in der Regel dreifacher Natur: Unsicherheit über die Auswirkungen neuer Zölle auf den eigenen Warenhandel, auf den Warenhandel von aktuellen und potenziellen Wettbewerbern sowie in der Folge auf globale Lieferketten. Das Kapitalmarktrecht verlangt trotz alledem rechtzeitige und akkurate Kommunikation über die Auswirkungen der US-Zollkrise auf den konkreten Emittenten. Verspätete oder fehlerhafte Kommunikation kann Haftung auslösen und Investorenvertrauen beschädigen.

Während der Corona-Krise hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gestattet, Prognosen mittels Ad-hoc-Mitteilung „aus dem Markt zu nehmen“, ohne bereits eine konkrete neue Prognose anzugeben. Entsprechende BaFin-Leitlinien existieren für die US-Zollkrise bisher nicht und es spricht vieles dafür, dass die BaFin die Fälle nicht für vergleichbar hält.

Bekannte Grundsätze

Es bleibt damit bei den bekannten Grundsätzen: Eine wahrscheinliche Prognoseveränderung kann eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation sein, auch wenn die Auswirkungen der US-Zollkrise auf den Emittenten noch nicht exakt bestimmbar sind. Unternehmen, die von Zollerhöhungen erheblich betroffen wären und dies bisher nicht in ihrer Prognose berücksichtigt haben, müssen die weiteren Entwicklungen kritisch beobachten und sollten die Einrichtung einer Task Force (wie etwa bei der Lufthansa Group) erwägen. Wenn im Einzelfall eine Insiderinformation vorliegt, kann deren Veröffentlichung nicht aufgeschoben werden.

Die Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht besteht auch, wenn die vorläufigen (Quartals-)Zahlen vom veröffentlichtem Prognosekorridor abweichen und dieser noch der Markterwartung (zumeist im Analysten Consensus verkörpert) entspricht. Zur Feinsteuerung der Markterwartung in Krisenzeiten kann intensivierte Investor Relations-Arbeit – sogenannte „soft guidance“ – helfen; hierdurch können gegebenenfalls spätere Ad-hoc-Mitteilungen vermieden werden.

Rechtlicher Spielraum

Bei der Regelberichterstattung kann nicht auf die Prognose verzichtet werden, wenngleich bei deren inhaltlichen Präzision Spielraum besteht. Die Deutschen Rechnungslegungs Standards (DRS 20.133) erlauben in Zeiten außergewöhnlich hoher Unsicherheit sog. komparative Prognosen oder die Darstellung der voraussichtlichen Entwicklung in verschiedenen Zukunftsszenarien unter Angabe ihrer jeweiligen Annahmen. Dabei müssen die Richtung der erwarteten Veränderung gegenüber dem Istwert des Vorjahres verdeutlicht und die Gründe der eingeschränkten Prognosefähigkeit klar kommuniziert werden. Von solchen reduzierten Prognoseformaten wurde während der Corona-Krise und zu Beginn des Ukraine-Kriegs Gebrauch gemacht.

Erste Unternehmen berichten von eingeschränkter Prognosefähigkeit und nutzen daher auch komparative Prognosen, wonach je nach Weiterentwicklung der US-Zollkrise unterschiedliche Szenarien zu erwarten seien und die Prognose damit bestätigt werden oder fallen könnte (Mercedes Benz Group; ähnlich Infineon, Adidas und MTU Aero Engines).

Qualitative Aussagen

Dabei setzen Unternehmen teilweise auf qualitative Aussagen (Mercedes Benz Group: Umsatzrendite sinkt); andere quantifizieren das Risiko (MTU Aero Engines: zweistelliger Millionen-Euro-Bereich; Infineon: negativer Umsatzeffekt von 10% im vierten Quartal). Einige Unternehmen berücksichtigten die US-Zollkrise generell nicht in ihrer Jahresprognose, da die Auswirkungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch völlig unklar und nicht quantifizierbar seien (Volkswagen; Porsche; Sartorius; Airbus). Andere sehen zwar generell Risiken aus der US-Zollkrise, bisher aber keine unternehmensspezifischen Auswirkungen (BASF; Siltronic).

Nur wenige Unternehmen erkennen aufgrund ihrer Geschäftsmodelle auch Chancen, so etwa Deutsche Bank, Stabilus und DHL Group, wobei Letztere dennoch ein „Risiko mittlerer Bedeutung“ in den Zöllen sieht.

Solche differenzierten Risikoeinschätzungen werden spätestens bei der Lageberichterstattung im Rahmen des Risiko- und Chancenberichts erforderlich.

Investoren brauchen Transparenz

Der zulässige Präzisionsverlust von Prognosen in Krisenzeiten ist aber kein Moratorium und darf auch nicht zur vorschnellen Verkürzung von Berichtsstandards verleiten. So sollte etwa an der Segmentberichterstattung festgehalten werden, auch bei bloß komparativen Prognosen (so etwa Mercedes Benz Group).

Investoren erwarten auch in Zeiten der Unsicherheit gewohnte Berichtsstandards; das Enttäuschen von Investorenerwartungen und dessen Folgen (Kapitalaufnahmekosten) muss der Vorstand mitberücksichtigen. Unternehmen sind gut beraten, die bestehenden Berichtsstandards und Kommunikationsprozesse vor dem Hintergrund externer Schocks und derzeit hoher geopolitischer Risiken regelmäßig zu evaluieren.

*) Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Partner bei Freshfields und Honorarprofessor an der Bucerius Law School, Dr. Felix Schüßler ist Associate bei Freshfields.

Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Partner bei Freshfields und Honorarprofessor an der Bucerius Law School, Dr. Felix Schüßler ist Associate bei Freshfields.