Adler, Wirecard & Co.

Short-Seller-Attacken im Fokus

Für Leerverkäufe gelten zahlreiche rechtliche Regeln. Die Schwierigkeiten liegen vor allem in der Rechtsdurchsetzung. Umso wichtiger ist daher, dass Unternehmen sich auf mögliche Attacken vorbereiten.

Short-Seller-Attacken im Fokus

Von Michael Brellochs*)

Short-Seller-Attacken sind in Deutschland um einen prominenten Fall reicher: Mit der negativen Veröffentlichung des Leerverkäufers Viceroy Research über die Adler Group am 6. Oktober dieses Jahres brach der Aktienkurs um fast 30% ein, die An­leiherenditen schnellten in die Höhe. Zuvor waren u. a. Grenke, Ströer, Aurelius, ProSiebenSat.1 Media und Wirecard von solchen Angriffen be­troffen. Teilweise lagen die Leerverkaufsangreifer richtig (insbesondere bei Wirecard), teilweise haben sich die Vorwürfe ganz oder überwiegend als haltlos herausgestellt.

Damit ist das Grundproblem umrissen: Leerverkaufsangreifer können dazu beitragen, Missstände aufzudecken und Fehlbewertungen am Kapitalmarkt zu korrigieren. Sie können aber auch einen erheblichen Schaden bei Aktionären und dem betroffenen Unternehmen anrichten und einen Vertrauensverlust herbeiführen, der über das betroffene Unternehmen hinausgehen kann.

Der Angriff beginnt damit, dass sich der Leerverkäufer die Aktie des Zielunternehmens leiht und anschließend verkauft. Danach veröffentlicht er auf verschiedenen Kanälen einen negativen Bericht über das Zielunternehmen und spricht im Hintergrund mit anderen Marktteilnehmern, um den Aktienkurs unter Druck zu setzen. Nachdem der Kurs eingebrochen ist, kauft er die Aktien und gibt sie dem Verleiher zurück. Die Differenz zwischen dem Verkaufspreis zum unbeeinflussten Kurs und dem Kaufpreis zum niedrigeren Kurs ist der Gewinn. Automatisierte Handelssysteme, die auf negative Schlüsselwörter reagieren, beschleunigen den Kurseinbruch, unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen.

Leerverkäufe sind nichts Ungewöhnliches. In normalen Marktphasen sind im Dax und im MDax je nach Situation des Unternehmens teilweise mehrere Prozent der Marktkapitalisierung leerverkauft. Leerverkäufe können einen wichtigen Beitrag zur Preisbildung und Liquidität am Kapitalmarkt leisten. Sie stehen aber auch immer wieder in der Kritik, Abwärtstrends zu beschleunigen. Deshalb wurden sie während der ersten Phase der Corona-Pandemie in mehreren EU-Ländern (nicht in Deutschland) zeitweise verboten. Die Auswirkungen der Verbote und andere Aspekte der EU-Leerverkaufsverordnung werden derzeit von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA untersucht; Ergebnisse werden im kommenden Jahr erwartet.

Rechtlicher Rahmen

Ein Leerverkauf ist rechtlich zulässig, soweit er gedeckt ist, die Meldepflichten für Netto-Leerverkaufspositionen ab 0,2% gegenüber der BaFin und ab 0,5% gegenüber der Öffentlichkeit beachtet werden und kein spezielles Verbot im Hinblick auf den jeweiligen Titel besteht. Ein Leerverkaufsangriff unterscheidet sich von diesem Normalfall, weil mit dem Leerverkauf eine negative öffentliche Äußerung über das Unternehmen verbunden ist, die den Marktpreis beeinflussen soll. Deshalb schreibt das Marktmissbrauchsrecht besondere Sorgfaltspflichten vor, wenn man sich in negativer Form über ein börsennotiertes Unternehmen äußert, nachdem die Aktie leerverkauft worden ist.

Die Stellungnahme des Leerverkaufsangreifers ist in der Regel als Anlageempfehlung (Art. 20 Marktmissbrauchsverordnung, MAR) zu qualifizieren. Daher muss der Leerverkäufer z. B. darauf hinweisen, dass er die Aktien geshortet hat. Ferner müssen die veröffentlichten Informationen objektiv dargestellt werden, und die Marktteilnehmer und die Öffentlichkeit dürfen nicht in die Irre geführt werden. Diese Anforderung erfüllen die Berichte der Leerverkaufsangreifer nicht immer, weil sie häufig stark überzeichnet sind.

Zu den rechtlichen Grenzen zählt auch das Verbot der Marktmanipulation (Art. 12 MAR). Ein Leerverkaufsangriff ist nicht automatisch manipulativ im Sinne des Marktmissbrauchsrechts. Eine informationsgestützte Manipulation liegt aber vor, wenn der veröffentlichte Bericht falsche oder irreführende Signale in Bezug auf die Aktie sendet oder ein künstliches Kursniveau herbeiführt. Auch richtige Informationen, die aufgrund ihrer Unvollständigkeit oder der Art und Weise ihrer Darstellung Fehlvorstellungen hervorrufen oder bei denen dies zu erwarten ist, können ein falsches oder irreführendes Signal sein. Entscheidend ist der Gesamteindruck aus Sicht eines verständigen Anlegers.

Daneben liegt eine Marktmanipulation vor, wenn der Leerverkaufsangreifer nicht eindeutig offenlegt, dass er aufgrund seiner Short-Position ein Interesse an dem Kursrückgang hat (Scalping). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass Berichterstattungen in den Medien aufgrund der grundrechtlich geschützten Presse- und Meinungsfreiheit eher hinzunehmen sind als Äußerungen außerhalb der Medien (Art. 21 MAR). Ein Leerverkaufsangreifer kann sich allerdings nicht darauf berufen, weil mit der Veröffentlichung ein Gewinn erzielt wird. Ferner wird immer wieder die Vereinbarkeit von Leerverkaufsangriffen mit dem Insiderrecht diskutiert. Ein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot kommt in Betracht, wenn im Rahmen der Analyse über das Zielunternehmen Insiderinformationen genutzt wurden. Wenn die Analyse und die Bewertung auf öffentlich verfügbaren Informationen beruhen, die jeder Marktteilnehmer auf rechtmäßige Weise erlangen könnte, ist die Verwendung dieser Information im Rahmen der Analyse jedoch kein Insiderverstoß für den Leerverkaufsangreifer.

Die rechtlichen Regeln sind nur die eine Seite. Die Schwierigkeiten in der Praxis liegen vor allem im Bereich der Rechtsdurchsetzung. Leerverkaufsangreifer sitzen in der Regel in ausländischen Jurisdiktionen, hinzu treten Beweisprobleme. Die behördliche Aufklärung und Verfolgung der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich bewehrten Tatbestände des Marktmissbrauchsrechts sind deshalb nicht einfach. Ähnliches gilt für private Schadenersatzklagen des Unternehmens und der betroffenen Anleger, bei denen weitere Probleme (etwa die Schadensermittlung) hinzutreten. Vor allem aber besteht kaum eine Möglichkeit, den Kurssturz, der in der Regel unmittelbar nach der Veröffentlichung des negativen Berichts einsetzt, zu verhindern.

Prävention und Reaktion

Unterlassungsklagen kommen zu spät. Theoretisch kann die BaFin zwar ein Leerverkaufsverbot erlassen oder die Handelsüberwachungsstelle der Börse den Handel aussetzen. Entsprechende Verbote stellen in der Praxis jedoch die Ausnahme dar und sehen sich spätestens nach dem umstrittenen Leerverkaufsverbot im Fall Wirecard Anfang 2019 erheblichen Bedenken ausgesetzt.

Vor diesem Hintergrund ist die Vorbereitung im Rahmen der allgemeinen Activism Preparedness elementar. Dabei geht es vor allem um strukturelle Fragen, damit das Unternehmen bei einem Angriff unmittelbar handlungsfähig ist. Im Mittelpunkt steht die Vorbereitung des Teams und der Prozesse auf Basis einer umfassenden Risikoanalyse.

Abhängig von der Situation des jeweiligen Unternehmens und der Aktionärsstruktur kann die Analyse z. B. folgende Bereiche umfassen: Strategie, Corporate Governance, Equity Story, Bilanz und Compliance-Risiken. Ferner sollten die Bewegungen im Aktionariat, einschließlich der Netto-Leerverkaufspositionen, und die allgemeine Berichterstattung über das Unternehmen verfolgt werden. Diese Dinge dürften inzwischen selbstverständlich sein, ebenso wie ein enger Kontakt zu den wichtigsten Investoren und Analysten.

Wenn es dann zu einem Leerverkaufsangriff kommt, gilt im Grundsatz: Berichterstattungen und Analysen sind marktmissbrauchsrechtlich nicht zu beanstanden, sofern und soweit sie nicht unzutreffend oder irreführend sind und Interessenkonflikte offengelegt werden. Erhobene Vorwürfe sollten aufgeklärt und Missstände beseitigt werden. Transparenz, eine rasche und klare Kommunikation und im Anschluss die sorgfältige, faktenbasierte Darstellung der tatsächlichen Gegebenheiten sind zentral. Sofern Anhaltspunkte bestehen, dass der Bericht gegen das Marktmissbrauchsrecht verstößt, sind rechtliche Maßnahmen zu prüfen, die jedoch aus den genannten Gründen nur flankierender Natur sein können. Am Ende muss die Antwort des Unternehmens das Vertrauen in die Aktie und das Geschäftsmodell zum Ausdruck bringen. Dies erfordert in der Regel einen umfassenden Ansatz und wird häufig Zeit in Anspruch nehmen.

*) Dr. Michael Brellochs ist Partner der Kanzlei Noerr.