Globale Studie

Finanzielle Inklusion in Deutschland besser als ihr Ruf

In Deutschland sind die meisten Menschen gut in das Finanzsystem eingebunden. Vor allem der Zugang zu Kredit und zu Bankkonto, aber auch das finanzielle Verständnis der Menschen ist solide. Doch die Bürger zeigen sich unzufrieden.

Finanzielle Inklusion in Deutschland besser als ihr Ruf

jsc Frankfurt

Finanzdienstleistungen werden in Deutschland insgesamt rege genutzt und sind für einen Großteil der Bevölkerung verfügbar. Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik mit Kennziffern zur finanziellen Inklusion vielfach weiter oben oder im Mittelfeld, wie das US-Finanzunternehmen Principal Financial in einem Bericht aufschlüsselt.

So ist der Kredit- und der Kontozugang hierzulande jeweils leichter als etwa in Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und Polen. Lediglich Finnland und Neuseeland schneiden in beiden Kategorien jeweils besser ab als die Bundesrepublik. Die Verbreitung von Echtzeitzahlungen erreicht in Deutschland ein mittleres Niveau. Dänemark, Südkorea und Thailand liegen hier international an der Spitze, während unter den Industrieländern etwa Irland, Italien und Spanien mäßig abschneiden. Auch bei der Präsenz und Qualität von Fintech-Angeboten liegt Deutschland mit Rang 8 auf einem hohen Niveau.

Das grundlegende Verständnis für Finanzfragen ist hierzulande besser ausgeprägt als in den meisten Ländern. 66% der Menschen sind in Deutschland in der Lage, mindestens drei von vier einfachen Fragen zu beantworten, womit die Bundesrepublik international auf Rang 7 steht. Die Probanden müssen etwa wissen, dass die Kaufkraft unverändert bleibt, wenn Inflationsrate und Lohnzuwachs identisch sind, oder sie müssen begreifen, dass sie bei einem jährlichen Zinssatz von 10% nach fünf Jahren aufgrund des Zinseszinses mehr als 50% vereinnahmt haben. Nur in wenigen Ländern, etwa in Schweden, Dänemark und Norwegen, gibt es prozentual weniger finanzielle Analphabeten als in Deutschland.

Um den Global Financial Inclusion Index zu erstellen, haben die Analysten diverse Quellen zusammengetragen. Die Verbreitung von Bank­konten entnahmen sie den Daten der Weltbank, den Kreditzugang trugen sie beim World Economic Forum zusammen, die weltweiten Echtzeitzahlungen holten sie beim Zahlungsverkehrsunternehmen ACI ein und bei Standard & Poor’s das verbreitete Grundwissen zu Finanzfragen.

Insgesamt steht Deutschland nach Berechnung der Analysten allerdings nur auf Rang 15 und damit im oberen Mittelfeld. Denn die Studie ließ auch allgemeinere Kennziffern wie die Steuerkomplexität und die Beschäftigungsquoten einfließen, bei denen die Bundesrepublik mäßig abschneidet. Die Bewertung der deutschen Einlagensicherung liegt mit Rang 20 ebenfalls nur im Mittelfeld, obwohl die deutschen Systeme oft über die Mindestschwelle von 100000 Euro hinausgehen. Sofern nur diese Marke herangezogen wird, fällt der Schutz in Deutschland im Verhältnis zum Pro-Kopf-Einkommen tatsächlich nur moderat aus.

Ein höheres Gewicht legt die Studie zudem auf eine globale Umfrage unter Unternehmen. Hier wirkte sich für die Bewertung von Deutschland negativ aus, dass hiesige Firmen der Belegschaft demnach nur wenige konkrete Hilfen­ in alltäglichen Finanzfragen bieten, kein breites Versicherungs­angebot machen oder kaum Optionen zur Auszahlung des Gehalts ermöglichen.

Wahrnehmung weicht ab

Die wahrgenommene Teilhabe am Finanzsystem weicht derweil von den Kennziffern ab: In Deutschland bewerten die Bürger ihre finanzielle Teilhabe eher mäßig, so dass die Bundesrepublik nur auf Rang 21 und damit im Mittelfeld liegt. Noch schlechter bewerten sie dabei die Unterstützung von Staat und Arbeitgeber (jeweils Rang 26), gefolgt vom Finanzsystem, das in der internationalen Bewertung nur auf Rang 41 landet. Die Analysten haben in fast jedem Land rund 500 Menschen befragt.

Finanziell eingebunden fühlen sich Menschen in Entwicklungsländern. China, Vietnam und Indien, die jeweils durch Jahrzehnte des Wirtschaftsaufschwungs geprägt sind, stehen in der Umfrage zur Selbstwahrnehmung auf den ersten drei Plätzen, obwohl der Inklusionsindex nur mittelmäßige Werte für sie anzeigt. Womöglich sei die Erwartung von Menschen in Industrieländern höher, mutmaßen die Autoren. So liegen Nigeria und Ghana, die fast ganz hinten im Index stehen, laut Selbstwahrnehmung der Bürger im Mittelfeld. In den Industrieländern Irland und Japan wiederum, im Inklusionsindex jeweils tatsächlich in der Mitte, bewerten die Befragten ihre Situation deutlich negativer als in den meisten anderen Ländern.

In anderen Fällen liegen Index und Selbstwahrnehmung aber nahe beieinander. In Argentinien und Kolumbien, die in der Studie weit hinten liegen, stufen auch die Befragten ihre Situation vergleichsweise negativ ein. In den Wohlstandsstaaten Singapur und Schweiz, im Index weit oben, fühlen sich auch die Menschen finanziell gut eingebunden.

Wertberichtigt Seite 2

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