Thomas Buschmann, Bankenverband NRW

„Größte Heraus­forderung“ seit über 70 Jahren

Die Transformation der Wirtschaft ist ein Mammutprojekt, das nicht nur die Unternehmen, sondern aufgrund der Taxonomie auch die finanzierenden Banken vor gewaltige Herausforderungen stellt.

„Größte Heraus­forderung“ seit über 70 Jahren

Von Annette Becker, Düsseldorf

Die Transformation der deutschen Wirtschaft hin zu Klimaneutralität wird nicht nur für die Unternehmen zum Kraftakt, sondern auch für die Banken, die den Umbau finanzieren müssen. „Es ist die größte Herausforderung seit Gründung der Bundes­republik“, sagt Thomas Buschmann, Vorstandsvorsitzender des Bankenverbands Nordrhein-Westfalen, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die Einschätzung wird verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass eine Studie des IW Köln den jährlichen Investitionsbedarf allein für Nordrhein-Westfalen auf 70 Mrd. Euro taxiert.

70 Mrd. Euro sind etwa 10 % des BIP des Bundeslandes. Gerechnet auf einen Zeitraum bis 2030 kommen 560 Mrd. Euro zusammen. Zum Vergleich: Die Kreditwirtschaft in Nordrhein-Westfalen hat es nach Angaben der Bundesbank in den vergangenen vier Quartalen auf ein Neugeschäftsvolumen mit Unternehmen und Selbständigen von gerade einmal 22 Mrd. Euro gebracht.

Es geht um Summen, welche die Banken nicht allein stemmen können. Doch Bangemachen gilt nicht: „Wir müssen weg von der Haltung, dass das Thema Nachhaltigkeit rein durch Regulatorik getrieben ist. Es ist vielmehr als Chance zu verstehen, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen“, sagt Buschmann, im Hauptberuf Sprecher der regionalen Geschäftsleitung Nordwest der Deutschen Bank.

Natürlich verkennt der Banker nicht, dass die vielfältigen Krisen – angefangen bei der Pandemie über Lieferkettenprobleme, Inflation und gestiegene Zinsen bis hin zu den Folgen des Ukraine-Kriegs – die Unternehmen ohnehin schon vor gewaltige Herausforderungen stellen. Die Transformation müsse trotzdem angegangen werden. „Es gibt valide Gründe, sich gerade in der Energie unabhängiger aufzustellen“, sagt Buschmann. Das habe nicht zuletzt der Krieg vor Augen geführt.

Mittelstand im Stress

Zugleich wachse das Bewusstsein bei den Firmenkunden. „Es gibt kein Kundengespräch, in dem die Taxonomie nicht beleuchtet wird“, sagt Buschmann, auch wenn sich die Firmen noch stärker mit dem Thema befassen müssten. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 750 000 Unternehmen. „Die großen 500 sind schon längst gut unterwegs. Aber für den Mittelstand und kleinere Firmen ist das eine echte Challenge“, sagt der Verbandschef.

Doch wenngleich Buschmann versucht, ein positives Momentum in die Diskussion zu bringen, ist ihm klar, dass der Druck – wenn auch aus gutem Grund – von der Regulierung ausgeht. „Die EU-Kommission hat den Banken mit Sustainable Finance eine Art Mandat übertragen“, sagt er. Denn die Taxonomie hält Einzug in die Banken, die wiederum wissen müssen, wie die ESG-Strategie der von ihnen finanzierten Unternehmen aussieht.

Green Asset Ratio im Blick

Hierzulande haben die Banken 80 % der Unternehmensfinanzierungen auf dem Kreditbuch, und diese Kredite finden Eingang in die Green Asset Ratio, welche die Banken offenlegen müssen. Je mehr grüne Kredite eine Bank ausreicht, desto höher die Green Asset Ratio. Zugleich müssen von 2025 an alle Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten, einem Jahresumsatz von 40 Mill. Euro und/oder einer Bilanzsumme von 20 Mill. Euro erste Nachhaltigkeitsdaten offenlegen. In Deutschland betrifft das 15 000 Unternehmen. Diese benötigen wiederum Daten von ihren Lieferanten, so dass am Ende weit mehr Unternehmen Daten liefern müssen.

Buschmann kann den steigenden Transparenzanforderungen dennoch einen weiteren positiven Aspekt abgewinnen: „Die ESG-Anforderungen­ haben das Potenzial, die Unternehmensfinanzierung in Deutschland fundamental zu verändern.“ Da die Taxonomie Transparenz erzwinge, dürfte es für den Mittelstand nämlich auch interessanter werden, über Finanzierungsalternativen jenseits des bilateralen Bankkredits nachzudenken.

Abbildung über Covenants

Es geht weniger um die Finanzierung grüner Vorhaben wie beispielsweise die Installation einer Solaranlage auf einem Fabrikdach. „Das Thema ist die Finanzierung des Betriebsmittelkredits oder einer langfristigen Investition“, erläutert Buschmann. Daher schauten die Banken nun, ob und wie sich die Nachhaltigkeitsthematik über Klauseln (Covenants) in den Kreditverträgen abbilden lässt. „Teilweise werden heute schon Nachhaltigkeitskriterien in Kreditlinien oder auch bilateralen Krediten verankert. Um die Einhaltung der Covenants überprüfen zu können, braucht es aber eine geeignete Datenbasis“, legt Buschmann den Finger in die Wunde.

Das sei aber eben nicht nur eine lästige Pflicht, denn für die Unternehmen gehe damit auch ein Marketingeffekt Hand in Hand. „Es geht auch darum, Motivation bei den Unternehmen zu schaffen, damit sich alle beim Thema Klimaneutralität einbringen“, wirbt Buschmann.

Mit „alle“ meint der Banker nicht nur die Unternehmen und die sie finanzierenden Banken, sondern auch die Politik und die Öffentlichkeit. Um die gewaltige Aufgabe zu stemmen – NRW hat sich zum Ziel gesetzt, die CO2-Emissionen bis 2030 um zwei Drittel zu senken –, haben sich die vier Bankenverbände des Bundeslandes säulenübergreifend zusammengetan. „Die Transformation gelingt nur, wenn alle zusammenarbeiten“, ist Buschmann überzeugt.

Kredite bündeln

Auf der Informations- und Vernetzungsplattform Fin.Connect.NRW wird eng mit der Politik, der Förderbank des Landes und potenziellen Investoren beispielsweise aus der Versicherungswirtschaft zusammengearbeitet. Denn wenngleich die Banken die Transformationsfinanzierung nicht allein finanzieren können, „ist in NRW genügend privates Kapital vorhanden“, ist Buschmann zuversichtlich und lobt den „Dialog mit der Landesbankpolitik, der noch nie so intensiv war“.

Die Vernetzung dient auch dazu, institutionellen Investoren größere Tickets anbieten zu können. Zudem wird an einer Verbriefungsplattform für Transformationskredite gearbeitet, um die Bankbilanzen zu entlasten. „Wenn man Kredite unter Transformationsgesichtspunkten bündelt, ist das auch für Investoren attraktiv“, argumentiert der Banker. Zu alternativen Finanzierungsformen gehören zudem Venture Capital, Mezzanine-Finanzierungen oder Nachrang­ka­pital.

An dieser Stelle kommen die Förderbanken ins Spiel, geht es bei risikoreichen Finanzierungen doch auch um Themen wie Haftungsfreistellung. „Das hat sich bei Corona bewährt“, sagt Buschmann. Während es nach Ausbruch der Pandemie vor allem um die Liquiditätssicherung der Unternehmen ging, steht bei der Transformationsfinanzierung die Risikominderung im Fokus.

Haftungsfreistellung

Gedacht wird in diesem Zusammenhang an einen Absicherungsfonds, bei dem das Land bzw. die Förderbank Teile der Risiken übernimmt. „Ein Absicherungsfonds ist ähnlich einer Haftungsfreistellung oder einer Bürgschaft. Zu diesem Thema gibt es auch unter beihilferechtlichen Aspekten Gespräche mit der EU, den Förderbanken und den Bankenverbänden“, sagt Buschmann und ergänzt, dass auch das die Finanzierung durch die Banken erleichtern würde.

„Wir im Bankenverband haben uns als Kernthema Transformationsfinanzierung auf die Fahnen geschrieben, weil wir uns verpflichtet fühlen, das Thema nach vorn zu bringen.“ Damit das Transformationsprojekt gelingt, braucht es nach Einschätzung von Buschmann vor allem „wieder mehr Mut und Optimismus“. Zudem wäre es hilfreich, wenn sich die ein oder andere Krise auflösen würde. Ganz oben auf Buschmanns Wunschliste steht jedoch, „dass wir die Regulierung so hinbekommen, dass Investitionen gefördert und nicht behindert werden“.