Genossenschaftsbanken

„Krisen geben immer die entscheidenden Impulse“

Die BVR-Vorstände Gerhard Hofmann und Daniel Quinten reden über die Baseler Vorschriften, das Erstarken der Aufsichtsbehörden und die Gefahr der politischen Instrumentalisierung der Banken bei der Nachhaltigkeit.

„Krisen geben immer die entscheidenden Impulse“

Herr Hofmann, Sie blicken als langjähriges BVR-Vorstandsmitglied und früherer Bundesbank-Zentralbereichsleiter auf eine lange Historie der Bankenregulierung zurück. Wenn Sie ein Buch über diese Zeit schreiben würden – was wäre der Titel und was die Überschriften für die Kapitel?

Hofmann: Als Titel würde ich wählen: Bankenregulierung und Aufsicht – ein Perpetuum mobile, das nie aufhört zu schwingen. Die Grundsatzfragen sind immer die gleichen: Es geht um die Leistungsfähigkeit und die Stabilität von Banken sowie um die Integrität von Finanzmärkten, um Verbraucherschutz und in jüngster Zeit zusätzlich um Nachhaltigkeit. Die Geschichte der Bankenregulierung ist eine Geschichte der Krisen. Krisen geben immer die entscheidenden Impulse. Die Finanzkrise ab dem Jahr 2007 war wahrscheinlich die bedeutendste Phase der Reregulierung des Bankensektors. Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg nie eine solche Bankenkrise in Deutschland und in der Folge eine solche beispiellose Reregulierung des Sektors. Und das wirkt bis heute nach. Baseler Standards sind in aller Regel der Hauptinput gewesen für die Bankenregulierung. Es gibt also einen sehr starken internationalen Einfluss und zugleich die Notwendigkeit, Bankenregeln global abzustimmen.

Nach der Finanzkrise hat sich das relativiert.

Hofmann: Die Politik gelangte zur Erkenntnis, dass es für solche Krisen auch eigene europäische Ansätze braucht, da sie auf nationaler Ebene nicht beherrschbar sind. Der einheitliche Bankenaufsichtsmechanismus SSM mit der EZB als Lead Supervisor ist eine Erfolgsgeschichte. Natürlich hat dies eine zusätzliche Ebene der Aufsicht, der Bürokratie, der Komplexität gebracht. Aber man muss anerkennen: Das Bankensystem ist nach der Finanzkrise wesentlich robuster als vor der Finanzkrise. Das bezieht sich auf die Eigenkapitalanforderungen, es wurden 250 bis 300 Mrd. Euro unter gewissen Schmerzen im Bankensystem zusätzlich aufgebaut. Es bezieht sich aber auch auf die Frage: Welche Rolle spielt Governance? Die EZB fokussiert Governance-Fragen sehr viel stärker, als das jemals vorher der Fall war.

Gehen wir mal in Ihre Anfangszeit in den 1980er Jahren bei der Bundesbank zurück. Kaum dass Sie 1986 dort begonnen hatten, veröffentlichte der Baseler Ausschuss mit Basel II erstmals international harmonisierte Bestimmungen zur Ermittlung vergleichbarer Eigenkapitalquoten großer Banken. Begriffe wie Kern- und Ergänzungskapital oder eine Mindestkapitalunterlegung der gewichteten Kreditrisikoaktiva von 8% wurden festgelegt. Woran erinnern Sie sich aus dieser Zeit?

Hofmann: Ich kann mich sehr gut daran erinnern, weil ich damals Mitglied im Baseler Ausschuss war. Allerdings noch nicht in den 80er Jahren, sondern erst, als ich 1999 Leiter Bankenaufsicht bei der Deutschen Bundesbank geworden bin. Es gab von amerikanischer Seite den Antritt, dass die regulatorischen Ansätze die Risiken der Banken nicht korrekt bewerten. Der damalige Standardansatz von Basel I, dass Kredite und Beteiligungen nicht das 18-Fache des Eigenkapitals überschreiten dürfen, wurde als nicht risikosensitiv genug empfunden. US-Notenbankchef Alan Greenspan forderte damals, dass die Banken ihre Risiken selbst bewerten sollen und dann ein Kapital-Commitment über die eigenen Risiken und Aussichten abgeben sollen. Tatsächlich kam mit Basel II die stärkere Risikoorientierung durch den Internal Ratings Based (IRB) Approach, den es nun neben dem Standardansatz gibt, der vergleichbar mit den Ansätzen von Basel I ist. Der Foundation- und der Advanced-IRB-Ansatz hatten aber zur Folge, dass die Kapitalanforderungen nur noch ein Bruchteil dessen waren, was ursprünglich im Basel-I-Ansatz üblich war. Das hat zu einer sehr starken Kapitaleinsparung bei international tätigen Banken geführt.

Woran liegt das?

Hofmann: Nichts ist schwieriger, als die Risiken einer Bank genau zu bewerten, denn sie lassen sich nicht mathematisch berechnen. Auf Basis der Daten aus der Vergangenheit soll bestimmt werden, wie hoch die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kredits in der Zukunft sein wird. Wenn ich eine Phase der Prosperität in der Vergangenheit habe, dann komme ich zu dem falschen Schluss, dass auch in der Zukunft alles in bester Ordnung sein wird. Das ist natürlich eine Illusion. Dieses Gedankengut wurde deshalb auch letztlich teilweise zurückgedreht. Es gibt noch einen Aspekt, der für die Einbindung in der Finanzkrise eine wichtige Rolle gespielt hat: Nach meiner Einschätzung waren die Kapitalanforderungen unter Basel II im Vorfeld der Finanzkrise zu niedrig.

Hat Basel II die Saat der Finanzkrise gelegt, wie eine These lautet?

Hofmann: Es gibt ein englisches Sprichwort, das besagt: Der Weg zu Hölle ist mit guten Absichten gepflastert. Hinter Basel II steckten gute Absichten: Der Ansatz sollte dazu führen, dass die Risiken stärker regulatorisch beachtet werden, und die Banken stärker machen. Tatsächlich hat es aber bei den großen Banken zu einer erheblichen Kapitaleinsparung geführt. Aber der Hauptgrund für die Finanzkrise war, dass Investmentbanken schlechte Hypothekarkredite verbrieft und als Subprime-Papiere in fast die ganze Welt verkauft haben. In den Subprime-Papieren steckte die Illusion der Alchimisten, dass man aus Sand Gold machen kann: Wenn ich schlechte Kredite in einem Portfolio bündele, dann verbriefe im Sinne einer Strukturierung und plötzlich wird das entstandene Wertpapier mit Triple-A geratet, dann beschreibt dies auch ein Versagen der Ratingagenturen. Allerdings hatte die Bankenregulierung einen verstärkenden Effekt. Die Verbriefungsregeln haben tatsächlich nicht diese Kapitalarbitrage im Verbriefungsbereich unterbunden, dadurch konnten sich die Banken bei den Kapitalanforderungen arm rechnen. Damit hingen die Schieflagen der IKB und der Hypo Real Estate in Deutschland zusammen.

Herr Quinten, zu den Zeiten, als die Finanzkrise ausbrach, waren Sie ein paar Jahre zuvor bei der Bundesbank eingestiegen. Woran erinnern Sie sich aus dieser Zeit?

Quinten: Ich kam zur Bundesbank im September 2000. In einem gewissen Sinne schließt sich jetzt ein Kreis, wenn ich beim BVR im März die Nachfolge von Herrn Hofmann antrete. Denn er war damals ein paar Hierarchiestufen über mir mein Vorgesetzter. In den Jahren 2007 folgende war ich Leiter des Büros des Vizepräsidenten der Bundesbanken, damals Herr Prof. Zeitler, der als Dezernent unter anderem für die Bankenaufsicht zuständig war. Damals konnte ich miterleben, wie eine Bankenaufsicht im Krisenfall reagiert. Vieles von dem, was wir damals erlebt haben, hatte ich als theoretisches Wissen im Studium gelernt. Was aber macht man konkret, wenn es darum geht, einen Rettungsschirm für Banken aufzuspannen, Garantiestrukturen zu schaffen, Strukturen und Behörden wie den Soffin aufzubauen, übers Wochenende von einer Idee auf dem Papier zu einer funktionierenden Einheit auszugestalten? Hinzu kamen die Aktivitäten der Notenbank als lender of last ressort. Mitzuerleben, wie Notfallliquidität in der Praxis funktioniert – diese Zeit mit all ihren Erfahrungen und Lehren war prägend für meinen weiteren Berufsweg.

Der Baseler Ausschuss hat relativ flott reagiert nach der Finanzkrise. Basel 2.5 wurde recht schnell aus dem Boden gestampft: neue Empfehlungen beim Liquiditätsmanagement, höhere Kapitalanforderungen bei Verbriefungen und Marktrisiken, Anforderungen an das Risikomanagement, mehr Offenlegungspflichten. Das haben Sie, Herr Hofmann, dann schon beim BVR erlebt, wohin Sie 2008 gewechselt waren. Das war nur Flickwerk, oder?

Hofmann: Im Nachhinein betrachtet würde ich sagen, man hätte diesen Zwischenschritt nicht machen sollen. Allein schon die Bezeichnung Basel 2.5 ist unglücklich gewesen. Es war der Versuch nachzubessern, aber es war zu wenig.

Ende 2010 ging es mit den Vorbereitungen für Basel III los. Die Umsetzung zieht sich bis heute: schärfere Kapitalanforderungen mit einer detaillierteren Risikobetrachtung, Liquiditätsstandards, die Verschuldungsquote, Maßnahmen zur Reduzierung der Zyklik sowie die spezielle Regulierung systemrelevanter Banken. Aus Sicht der Genossenschaftsbanken muss sich das wie eine Riesenwelle angefühlt haben.

Hofmann: Ja, die Baseler Regelungen sind für international aktive Banken gemacht, nicht für kleine Banken. Für die Genossenschaftsbanken waren die Neuregelungen nicht unbedingt wünschenswert. Die deutschen Genossenschaftsbanken sind eine der kapitalstärksten Organisationen Europas. Die Kapitalfrage stand für uns somit weniger im Fokus, sondern vielmehr die Frage, welcher Mehraufwand an Komplexität, an IT-Kosten, an zusätzlicher Aufsicht kommt auf uns zu. Eine kleine Genossenschaftsbank kann sich die Spezialisten nicht leisten. Welcher Spezialist in der Bankenaufsicht würde an einen kleinen Ort wechseln, selbst wenn die Bezahlung dort angemessen wäre? So viele Experten gibt es zudem nicht. Die kleinen und mittleren Banken brauchen daher eine sehr starke Unterstützung des BVR, der DZ Bank Gruppe und der Rechenzentrale. Sie können die Regulatorik heutzutage ohne IT überhaupt nicht bewältigen. Selbst Spezialisten können nicht aus dem Stand einen Kapitalbogen ausfüllen. Trotz der komplexer gewordenen Regulierung ist die genossenschaftliche Finanzgruppe immer weiter gewachsen.

Ist es eine Ironie der Geschichte, dass gerade die Genossenschaftsbanken, die die Finanzkrise nicht durch Verbriefungsgeschäfte ausgelöst haben, im Endeffekt am meisten darunter leiden, weil die Anforderungen so steigen, dass sie nur noch große Banken erfüllen können? Oder ist es vielleicht sogar regulatorische und aufsichtliche Agenda, um größere Banken zu schaffen?

Hofmann: Ich glaube, dass es keine regulatorische Agenda gibt, kleine Banken zu verdrängen, auch wenn manchmal solche Vermutungen geäußert werden. Die Kommission hat den Anspruch, Basel-compliant zu sein. Es ist sicherlich sinnvoll, internationale Regeln in der EU umzusetzen. Im Zuge der Finanzkrise hat die Konsolidierung im Bankensektor in vielen Ländern ganz enorm zugenommen. Daher gibt es das gestiegene Bedürfnis der Regulatoren, für diese großen Banken die Main-Stream-Regulierung aus Basel umzusetzen. Dem gegenüber steht, dass ganz Europa Regeln für international tätige Banken übergestülpt werden. Wir finden aber zunehmend Gehör, und mittlerweile gibt es immer mehr Ansätze, Proportionalität in die Regulierung einzubringen.

Was ist für die Genossenschaftsbanken gute Regulierung?

Hofmann: Wir glauben, dass eine gute Regulierung differenziert sein muss, also nicht One-size-fits-all-Regeln schafft. Die Regulierung sollte nicht Wettbewerbsverzerrungen in dem Sinne auslösen, dass große Banken die Regulierung gut erfüllen können, kleine Banken aber überhaupt nicht erfüllen können und allein wegen der Regulierung vom Markt verschwinden. Man kann aber auch nicht erwarten, dass die Regulatoren die Dinge eins zu eins übernehmen, die wir wollen. Insbesondere bei der Umsetzung der Regeln muss man als Interessenvertretung wachsam sein, damit die Regeln so effizient und ressourcenschonend wie möglich für uns sind.

Als Stakeholder der europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA sind die Banken bei der Umsetzung der Regulierung eingebunden. Inwieweit finden die deutschen Genossenschaftsbanken hier Gehör?

Hofmann: Die europäischen Aufsichtsbehörden neigen dazu, ihr Mandat weit, manchmal sogar exzessiv auszulegen. Das liegt wiederum daran, dass der europäische Gesetzgeber viele Dinge an die ESAs delegiert. Sowas wie die ESAs gibt es im internationalen Kontext nicht, es ist eine zusätzliche Ebene der Regulierung. Dies führt zu Umsetzungsstandards der ESAs, die in sehr detaillierter Weise ausgearbeitet sind. Wir adressieren unsere Anliegen über die Europäische Vereinigung der Genossenschaftsbanken EACB, dessen Vorsitzender ich vier Jahre war. Die EBA ist durchaus offen für Diskussionen. Man muss aber aufpassen, dass die Standards nicht zu bürokratisch werden oder dass die ESAs ihr Mandat verlassen. Zuweilen versuchen sie, selbst Standards zu setzen. Über Soft Law, über Guidelines bekommen die ESAs damit fast die Rolle eines eigenen Gesetzgebers.

Das Delegieren an die ESAs könnte man aber auch so interpretieren, dass die Kommission sich vor der Verantwortung drückt.

Hofmann: Ja. Auch wenn die Kommission die Standards der ESAs letztlich in Kraft setzen muss – es ist kein direktes Exposure gegenüber Stakeholdern. Die Gefahr besteht, dass Institutionen mit einem geringeren Grad an demokratischer Legitimation ihr Mandat überschreiten. Und dann ist niemand da, der das moniert. Natürlich sprechen die Chefs der ESAs vor dem Parlament, aber Parlamentarier müssten schon sehr tief in der Materie sein, um zu erkennen, ob das Mandat von ESAs eingehalten wurde oder nicht.

Gerade beim jüngsten Regulierungsthema, der Nachhaltigkeit, ist das Vorgehen, als Gesetzgeber nur grob die Dinge festzulegen und fast alles den Aufsichtsbehörden zu überlassen, sehr ausgeprägt. Die Standards standen noch gar nicht fest, als die Offenlegungsverordnung im März in Kraft trat. Die grundlegende Taxonomie der wirtschaftlich nachhaltigen Aktivitäten ist noch im Entstehungsprozess.

Hofmann: Der Eindruck drängt sich auf, dass die Politik in Brüssel den Bankensektor als Transmissionskanal sieht für die Umsetzung politischer Ideen, für die Umsetzung von mehr Nachhaltigkeit in der Volkswirtschaft. Man muss hier aufpassen, dass man von der Risikoorientierung nicht zu einer politischen Orientierung von Bankenregulierung und Aufsicht kommt. Das wäre kein guter Weg. Die Detailregeln, etwas zur Taxonomie, fehlen in vielen Bereichen, trotzdem wird sehr viel Druck ausgeübt. Es ist für die Banken eine sehr große Herausforderung, Standards, die unklar sind und bei denen Detailregelungen fehlen, umzusetzen.

Und die Taxonomie selbst ist gerade mit der Gretchenfrage zu Gas und Atom unter Europas Politikern hochumstritten.

Hofmann: Wenn die Kommission die Atomkraft nicht als nachhaltig bezeichnet hätte, wäre die Taxonomie wahrscheinlich auf politischer Ebene gescheitert, weil Frankreich, Polen und eine ganze Reihe anderer europäischer Länder stark auf Atomkraft setzen, das ist die Mehrheit in der Europäischen Union. Wie es im Parlament ultimativ entschieden wird, ist noch eine offene Frage. Vielleicht wird es auf eine zeitliche Begrenzung der Übergangstechnologien als Kompromiss hinauslaufen. Also haben wir eine politisch kontroverse Taxonomie, die die Banken trotzdem umsetzen muss.

Quinten: Nachhaltigkeit wird uns alle den Rest unseres Berufslebens und wahrscheinlich den Rest unseres Lebens beschäftigen. Es sollte auch weniger als ein einzelnes Thema gesehen werden als vielmehr als ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs. Gerade Genossenschaftsbanken zahlen in vielerlei Hinsicht im Übrigen genau auf diesen Diskurs ein. Nachhaltigkeit ist nicht nur Umweltschutz; der englische Begriff ESG trifft es letzten Endes besser mit Social und Governmental als Ergänzung. Die Struktur von Genossenschaften ist in Reinform demokratisch legitimiert. Jedes Mitglied hat eine eigene Stimme. Die Verortung in den ländlichen Regionen unterstützt das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, also den Mittelstand, und die Landwirtschaft. Wir sind Steuerzahler direkt vor Ort. Die Grundgedanken Solidarität und Subsidiarität gehört auch zur Nachhaltigkeit.

Es gibt bei der Green Asset Ratio, mit denen die Banken künftig ihren nachhaltigen Aktivitäten ausweisen sollen, ein Grundsatzproblem. Die „braunen“ Unternehmen brauchen Gelder der Finanzwirtschaft, um die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit hinzubekommen. Gerade in Ihrer Finanzgruppe betont man, dass man diese Unternehmen begleiten will – im Zweifelsfall zu Lasten einer Green Asset Ratio. Damit könnten Sie im Wettbewerbsvergleich schlecht aussehen.

Hofmann: Die Green Asset Ratio hat in der ersten Stufe keine Vorgaben, wie hoch sie sein muss. Es geht erst mal darum, ein Reportingsystem zu etablieren und dann die Entwicklung zu beobachten. Allein die Veröffentlichung erzeugt Marktdisziplin, ein scharfes Schwert. Man wird vergleichen, wie die Green Asset Ratio der Genossenschaftsbanken, der Sparkassen, der Deutschen Bank oder der ING Deutschland ausfallen. Das bewirkt einen sehr intensiven Prozess. Und diese Marktdisziplin hat auch eine sehr starke Rückwirkung auf unsere Kunden. Nachhaltigkeit fällt nicht vom Himmel, sondern es ist eine Reise. Die Banken müssen die Kunden dabei begleiten. Dann wird sich die Green Asset Ratio von Jahr zu Jahr verbessern.

Erschwerend kommt hinzu, dass das Ziel der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft angesichts der noch festzusetzenden Standards seitens der Regulierer ein bewegliches Ziel ist, was die Umsetzung in den Banken nicht gerade erleichtert. Was geben Sie, Herr Hofmann, mit Blick auf diesen Regulierungsdschungel, Ihrem Nachfolger als wichtigsten Ratschlag mit auf den Weg?

Hofmann: Es wird eine Reise sein, die 10 oder 20 Jahre lang dauert. Es wird auf diesem Weg erhebliche Rückschläge geben. Wenn ich einen Ratschlag geben dürfte, aber das hat Herr Quinten schon längst verinnerlicht: Die genossenschaftliche Finanzgruppe sollte sich hier führend positionieren. Die Nachhaltigkeit ist ein lohnendes Ziel für unsere Gesellschaft. Es gibt eine ideale Kombination zwischen Genossenschaft, Banking und Nachhaltigkeit. Es ist ein Zukunftsthema, mit dem wir erheblich wachsen können. Als Beispiel die Hypothekarkredite: Durch die Nachhaltigkeitsanforderungen entsteht ein erheblicher Modernisierungsbedarf bei den schon existierenden Immobilien. Oder der Modernisierungsbedarf im Mittelstand in Sachen Nachhaltigkeit.

Was wäre denn für Sie, Herr Quinten, die Voraussetzung, was vonseiten der Gesetzgeber, der Regulierer, der Aufsichtsbehörden passieren muss, damit Nachhaltigkeit zum Wachstumsfeld für Genossenschaftsbanken wird und nicht nur eine zusätzliche regulatorische Bürde?

Quinten: Es gab schon in der Vergangenheit Regulierung, die Lenkungswirkung erzielt hat. Denken wir zum Beispiel an Basel II zurück mit der Einführung von internen Modellen. Dadurch wurde in den Banken ein Prozess in Gang gesetzt, sich mit Risiken zum Beispiel im Kreditbereich systematisch und auch intellektuell zu beschäftigen. Das hat letztlich die Risikosteuerung verbessert. Übertragen auf die Nachhaltigkeitsregulierung heißt das: Wir haben einen Gesetzgeber, der jetzt die Massenträgheit überwindet und das System in Gang bringt, indem man gewisse Vorgaben macht. Das ist grundsätzlich begrüßenswert. Aber die Regulierung sollte kein zu enges Korsett sein, um nicht das notwendige Ausprobieren zu sehr einzuengen. Und die Vorgaben sollten periodisch überprüft werden, ob sie immer noch aktuell sind oder ein anderer Regulierungsrahmen notwendig wird.

Was ist bei der Regulierung mit Blick auf die Digitalisierung wichtig?

Hofmann: Die Aufsicht muss sich selbst mehr digitalisieren. Damit meine ich nicht nur das Meldewesen, da gibt es schon gute Ansätze seitens der BaFin. Eine risikoorientierte Aufsicht sollte zum Beispiel künstliche Intelligenz einsetzen, um differenzierter und effektiver zu beaufsichtigen. Wie kann die Aufsicht nach Wirecard besser werden, ist doch das große Thema. Eine Aufsichtsbehörde hat einen schier unerschöpflichen Datenschatz von den Banken und den Märkten, der mit Hilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet werden könnte in Ergänzung zu den traditionellen Instrumenten. Hier sind leider noch keine Ansätze bei der deutschen Aufsicht oder der EZB erkennbar. Über Smart-Data-Instrumente könnte man eine sinnvolle Differenzierung der Aufsicht erreichen. Und es wäre eine Entlastung der Institute. Zum Beispiel könnte die Aufsicht irgendwann Stresstests ohne Aufwand bei den Banken durchführen.

Quinten: Es geht ganz grundsätzlich um die Frage: Welche Prozesse könnten effizienter werden in der Kette zwischen Banken, Rechenzentren und Aufsichtsbehörden durch Einsatz moderner Technologie? Welche Kosten könnten eingespart werden, indem man weniger auf Formulare beim Meldewesen setzt oder auf Ad-hoc-Abfragen? Letzten Endes sollten die drei vorgenannten Beteiligten in der Wertschöpfungskette gemeinsam zukunftsfähige und effiziente Lösungen entwickeln.

Sie plädieren dafür, dass die Aufsicht künstliche Intelligenz nutzt, um den Banken die Arbeit zu erleichtern. Allerdings fokussiert sich die Aufsicht gerade auf den Aspekt, dass sie die IT-Sicherheit der Banken für unzureichend hält. Auch Ihr IT-Dienstleister Atruvia kann davon schon ein Lied singen.

Hofmann: Wir haben volles Vertrauen in unseren Digitalisierungspartner. Jedes System kann ein Ziel von Hackern sein, ob bei der Bahn oder beim Verteidigungsministerium. Man muss natürlich ständig an der eigenen Sicherheit arbeiten. Aber das heißt ja nicht, dass man nicht zum Beispiel zur Risikofrüherkennung im Rahmen der Aufsicht automatisierte Verfahren entwickelt und nutzt. Aber Sie haben Recht. Die Aufsicht hat zu keiner Zeit mehr Wert auf Sicherheit der IT-Infrastrukturen, der IT-Risiken und operationelle Stabilität gelegt als heute. Zu Recht! Eine Bank ist in sehr hohem Maße abhängig von der IT.

Das Interview führten Silke

Stoltenberg und Bernd Neubacher.

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