Im Gespräch: Thomas Schnarr und René Fischer, Oliver Wyman

Treasurer von Banken im Gefangenen-Dilemma

Berater Thomas Schnarr und René Fischer über das Beben im Frühjahr und die knifflige Situation, in der sich Banken durch die Zinswende im Zins- und Einlagenmanagement befinden.

Treasurer von Banken im Gefangenen-Dilemma

Im Gespräch: Thomas Schnarr und René Fischer

Bank-Treasurer im Gefangenen-Dilemma

Oliver Wyman: Vernünftige Einschätzung über Zinsänderungsrisiko und Einlagensensitivität entscheidet darüber, ob eine Bank bis zu 10 Prozent mehr oder weniger Gewinn macht

Von Philipp Habdank, Frankfurt

Die beiden Partner Thomas Schnarr und René Fischer von der Unternehmensberatung Oliver Wyman haben im Gespräch mit der Börsen-Zeitung über das Bankenbeben im Frühjahr und die knifflige Situation gesprochen, in der sich Banken durch die Zinswende im Zins- und Einlagenmanagement befinden.

Treasurer von Banken arbeiten normalerweise im Hintergrund, doch in diesem Jahr stehen sie angesichts des Bankenbebens im Frühjahr und der eingeleiteten Zinswende ungewollt im Rampenlicht: Waren sie zunächst vor allem als Krisenmanager gefragt, haben sie nun entscheidenden Einfluss auf die weitere Gewinnentwicklung ihrer Bank.

Denn in einer Phase, in der sich alle Marktteilnehmer allmählich an die neue Zinsrealität gewöhnen, haben sie knifflige Entscheidungen zu treffen. „Die vernünftige Einschätzung über das Zinsänderungsrisiko und die Sensitivität der eigenen Einlagenkunden entscheidet darüber, ob eine Bank bis zu 10% mehr oder weniger Gewinn macht“, sagt René Fischer, Leiter Financial Services Deutschland und Österreich bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman.

Steigende Einlagen-Betas

Bislang haben die Banken von der Zinswende stark profitiert. Strafzinsen fielen quasi über Nacht weg – sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite. Banken profitierten aber davon, dass sie im Einlagengeschäft bislang höhere Zinsen einnehmen konnten, als sie an ihre Kunden weitergeben mussten, was unterm Strich im ersten Halbjahr zu stark steigenden Zinsüberschüssen führte. Dieses Spiel lässt sich allerdings nicht ewig so fortsetzen.

Wie steuere ich meine Depositen? Das ist ein Muskel, den Banken in Europa in den letzten zehn Jahren nicht mehr bewegt haben.

Thomas Schnarr, Oliver Wyman

Banken müssen nun entscheiden, wie viel des Zinsanstiegs sie auf der Einlagenseite an ihre Kunden weitergeben, damit diese ihre Gelder nicht zu einer besser zahlenden Bank abziehen. „Wie steuere ich meine Depositen? Das ist ein Muskel, den Banken in Europa in den letzten zehn Jahren nicht mehr bewegt haben“, sagt Thomas Schnarr, Leiter Corporate Risk and Resilience bei Oliver Wyman. Die Treasurer sind gefragt.

Umschichtung hat begonnen

Die Umschichtung von Sicht- in Termineinlagen habe bei Kunden bereits begonnen. Beim Tagesgeld erwarten die Bankberater den höchsten Beta-Effekt – also dass Banken die mit diesen Geldern verdienten Zinsen so gut wie komplett an den Kunden weiterreichen müssen und dadurch weniger Gewinn machen. Die Commerzbank berichtete im Rahmen ihrer Halbjahreszahlen, dass sich das Einlagen-Beta in Deutschland in den kommenden Quartalen von zuletzt 20% auf 35% erhöhen werde.

Jeder Prozentpunkt könne dabei den Zinsüberschuss um 45 Mill. Euro verändern. „Das letzte Mal, dass die Betas so hoch gewesen sind, war zwischen 2006 und 2008“, sagt Fischer, der die aktuelle Situation der Banken mit einem spieltheoretischen Gefangenen-Dilemma vergleicht: Welche Bank zuckt bei Zinserhöhungen als erste – und wie?

Würden alle Banken auf Zinserhöhungen verzichten, würden die Profite für alle steigen, da sie die günstigen Einlagen maximal gewinnbringend anlegen könnten, ohne dass Kunden einen finanziellen Anreiz hätten, ihre Gelder abzuziehen. Das Gefangenen-Dilemma entsteht dadurch, dass die einzelne Bank nicht weiß, wie sich die jeweils andere verhält, sie jedoch im Nachteil wäre, wenn die anderen Banken die Zinsen erhöhen. Einige Häuser haben sich bereits aus der Deckung gewagt. Die ING beispielsweise wirbt mit 3,5% aufs Tagesgeld. Allein im zweiten Quartal flossen ihr knapp 16 Mrd. Euro zu, wie die Direktbank zuletzt berichtete.

Dieser Abfluss ist beispiellos in der Geschichte der USA.

René Fischer, Oliver Wyman

Zwar gelten die Einlagen von Privatkunden in Deutschland historisch betrachtet als träge. Doch es gibt Entwicklungen, die Anlass dazu geben, diese Annahme kritisch zu hinterfragen. Fischer zufolge sind in diesem Jahr in den USA allein bis Ende März mehr als 900 Mrd. Dollar aus dem Bankensektor abgeflossen – überwiegend in Geldmarktfonds. „Dieser Abfluss ist beispiellos in der Geschichte der USA“, so der Berater. Zum Vergleich: In der Finanzkrise – der wohl größten Vertrauenskrise der Branche überhaupt – betrugen die Abflüsse lediglich rund 50 Mrd. Euro.

Digitale Bank Runs

Schnarr merkt an, dass US-amerikanische Privatkunden verglichen mit europäischen deutlich stärker daran gewöhnt seien, Fonds oder generell Wertpapiere direkt zu halten. „Das Vertrauen in die Bank als Hort der ultimativen Sicherheit ist in den USA nicht so ausgeprägt wie in Europa“, so Schnarr, wo auch die Einlagensicherung deutlich früher greift. „Deshalb ist die Reaktion in den USA noch viel heftiger gewesen als in Europa.“

Dennoch sei es erstaunlich gewesen, welche Dynamik der Bank Run im Frühjahr insbesondere bei der Silicon Valley Bank speziell durch die Sozialen Medien genommen habe. „Die Digitalisierung und Sozialen Medien machen die Einschätzung für Banken deutlich komplizierter“, sagt Fischer. Mit wenigen Klicks könne man heute ein neues Konto eröffnen und Gelder umschichten. Durch die Sozialen Medien und Vergleichsportale sei die breite Masse heute zudem viel besser untereinander vernetzt und über Angebote informiert.

Nach den Erfahrungen der vergangenen Monate ist meine Sorge, dass Märkte viel schneller von einer rationalen Denkweise in den Panikmodus schalten.

Thomas Schnarr, Oliver Wyman

Zusätzliche Komplexität entsteht für die Treasurer von Banken daraus, dass sich die Zinswende zu einer Zeit abspielt, in der die Märkte extrem unruhig sind. „Nach den Erfahrungen der vergangenen Monate ist meine Sorge, dass Märkte viel schneller von einer rationalen Denkweise in den Panikmodus schalten – frei nach dem Motto: erst schießen, dann fragen“, so Schnarr, der damit vor allem auf die panischen Reaktionen von Investoren am Markt für spezielle Nachranganleihen (AT1-Anleihen) und die sprunghaften Anstiege von Ausfallversicherungen auf Banken (Credit Default Swaps) im Frühjahr anspielt.

Die Treasurer europäischer Banken neigten in diesem Umfeld verständlicherweise zur Vorsicht und hielten mehr Liquidität vorrätig als unbedingt nötig. Deutsche-Bank-Finanzchef James von Moltke sagte bei der Präsentation der Quartalszahlen im April, dass man für das eigene Geschäftsmodell eigentlich eine Mindestliquiditätsquote (LCR) von 130% für ausreichend halte, die Quote zunächst jedoch bei rund 140% belassen habe, um in einem unruhigen Marktumfeld kein beunruhigendes Signal zu senden.

Knifflige Aufgabe

Die Panik aus dem Frühjahr ist seitdem wieder abgeklungen. Aktionäre fordern von Banken mehr Eigenkapitalrendite und höhere Ausschüttungsquoten. Von daher dürfen die Treasurer beim Einlagenüberschuss nicht zu viel „verschenken“, indem sie zu hohe Zinsen bezahlen. Auf der anderen Seite nimmt der Wettbewerb um Einlagen gerade erst so richtig an Fahrt auf. Die diesjährigen Erfahrungen haben verdeutlicht, wie schnell Einlagen dann doch abfließen können.

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