Anleger fassen neuen Mut

Chinesische Aktien spüren Rückenwind. Nach dem Volkskongress hat die Regierung in Peking eine Charmeoffensive gestartet – mit Erfolg. Internationale Anleger zeigen wieder Bereitschaft für neue Investments.

Anleger fassen neuen Mut

China

Anleger fassen neuen Mut

Gestärktes Konjunkturvertrauen – Niedrige Aktienbewertung – Alibaba zündet Turbo bei Tech-Aktien

Chinesische Blue-Chips spüren Rückenwind. Nach dem Volkskongress im März hat sich die Regierung in Peking ins Zeug gelegt, um die Schatten der Vergangenheit von der starrsinnigen Null-Covid-Politik bis zur Malträtierung der führenden heimischen Tech-Unternehmen so rasch wie möglich vergessen zu machen.

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Peking hat eine verbale Charmeoffensive gestartet. Ziel ist es, die von Corona-Restriktionen, ideologischer Überformung der Wirtschaftspolitik und geopolitischen Streitigkeiten verunsicherten ausländischen Investoren wieder zuversichtlicher zu stimmen.

Investmentstrategen führender globaler Investmentbanken und Fondsgesellschaften zeigen nach anfänglicher Zurückhaltung tatsächlich wieder größere Bereitschaft für neue Aktienkäufe. Sie haben die Hoffnung auf einen bis in den Sommer anhaltenden Aufwärtstrend, nachdem die durch eine Kehrtwende in der Corona-Politik ausgelöste Kursrally im Februar schnell beendet war. Die UBS etwa spricht inzwischen von einem „übertriebenen Rückzug“ vom chinesischen Aktienmarkt und erkennt angesichts niedriger Bewertungsrelationen ein beträchtliches Aufwärtspotenzial. Der Vermögensverwalter Fidelity International stützt seine positive Einschätzung auf eine wieder steigende Tendenz im Ertragszyklus der Unternehmen bei äußerst attraktiven Bewertungen. Hinzu kommen eine insgesamt akkommodierende Geld- und Fiskalpolitik sowie relativ stabile Aussichten für den chinesischen Yuan.

Goldman sieht viel Potenzial

Der MSCI China Index, der das für ausländische Investoren zugängliche Aktienspektrum gut abdeckt, liegt mit einem vorwärts gerichteten Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 10 derzeit auf einem sehr niedrigen Bewertungsniveau – verglichen beispielsweise mit einem Multiplikator von 18 beim S&P 500 Index in den USA. Der MSCI China war seit Mitte 2021 im Zuge der chinesischen Corona-Politik und Tech-Kampagne immer weiter gegenüber dem amerikanischen Benchmarkindex und der globalen Benchmark MSCI World abgerutscht und fiel Ende Oktober sogar auf ein 13-Jahres-Tief bei 50 Punkten zurück. Goldman Sachs setzt jetzt ein ambitioniertes Ziel für den MSCI China von 85 Punkten zum Jahresende. Beim Stand von derzeit 66,6 Punkten käme dies einem Anstieg um 27% gleich.

Die Zuversicht stützt sich auch auf die konjunkturellen Aussichten. Ökonomen setzen dabei vor allem auf einen anziehenden Konsum sowie die Vitalisierung des seit mehr als zwei Jahren hinweg gedämpften Wohnimmobilienmarktes. Jüngste Wirtschaftsdaten scheinen den Aufwärtstrend bei Dienstleistungen und im Bausektor zu bestätigen und veranlassen China-Ökonomen dazu, ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum weiter hochzuschrauben. Die von der Regierung gesetzte Zielmarke eines Anstiegs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 5% gilt als relativ leicht zu erfüllen. Einige Analysten rechnen bereits mit einer 6 vor dem Komma. Insbesondere das Verarbeitende Gewerbe scheint allerdings noch richtig in Tritt zu kommen: Im Januar und Februar waren die Gewinne der Industrieunternehmen in China jeweils um rund 23% gegenüber dem Vorjahresmonat gefallen. Sehr negativ war die Entwicklung unter anderem bei Herstellern von Konsumelektronik und im Autosektor, in dem ein Preiskampf unter den Herstellern von Elektroautos die Erträge drückt. Hier neigen Analysten deshalb ebenso wie im Energiesektor weiterhin zur Untergewichtung. 

Wenig vielversprechend stufen sie auch die Perspektiven der chinesischen Großbanken ein, die im von Konjunkturschwäche geprägten Jahr 2022 zwar eine solide Entwicklung der Gewinne erzielten, aber unter anhaltendem Druck auf die Zinsmargen leiden und außerdem weiterhin vor bedenklichen Kreditausfallrisiken bei Chinas überschuldeten Immobilienentwicklern stehen.

Stockpicker favorisieren vor allem ausgewählte Konsumwerte wie die in ausländischen Portfolios ohnehin schon breit vertretenen Spirituosenkonzerne Moutai und Wulangye. Zu den Favoriten zählen auch High-End-Technologiefirmen wie der Chipauftragshersteller SMIC oder Vorreiter auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Eine staatlich gelenkte Digitalisierungsoffensive verleiht derweil Telekomkonzernen Wachstumsfantasie. Die Kurse der sonst nur als Dividendenlieferanten geschätzten Staatskonzerne China Telecom, China Mobile und China Unicom sind in diesem Jahr bereits kräftig gestiegen, ohne dass sie ihr Bewertungspotenzial bereits ausgeschöpft haben. Führende Technologiekonzerne wie Alibaba und Tencent verfügen hingegen bei zuletzt stagnierenden Erlösen zurzei nicht über das Potenzial, um an ihre zweistelligen Wachstumsraten anzuknüpfen. Alibaba macht aus der Not eine Tugend und will das Tech-Konglomerat mit der Separierung von Geschäftseinheiten, die für ein Spin-off und ein eigenes Börsen-Listing in Frage kommen, beweglicher gestalten. Das Manöver sorgt aktuell für reichlich Kursfantasie und findet prompt Nachahmer. Der Onlinehändler JD.com kündigte bereits eine Abspaltung von zwei Divisionen an. Analysten halten in jedem Fall den Daumen nach oben. Bernstein Alliance etwa misst den einzelnen Alibaba-Bausteinen einen aggregierten Aktienmarktwert von bis zu 400 Mrd. Dollar zu, während die Marktkapitalisierung von Alibaba bei 260 Mrd. Dollar liegt.