Regionalstrategie

„Ein Investment in Lateinamerika ist unumgänglich“

Auch wenn Asien vielfach als die zu bevorzugende Region bezeichnet wird, sollten Investoren Lateinamerika nicht außer Acht lassen, ist Stefan Jochum im Interview überzeugt und legt die Argumente dar.

„Ein Investment in Lateinamerika ist unumgänglich“

Christopher Kalbhenn.

Herr Jochum, sollten Anleger angesichts der erreichten Kurshöhen und Bewertungen noch auf Aktien setzen?

Die Aktienmärkte haben in der Tat sehr hohe Niveaus erreicht. Auf der anderen Seite sehen wir derzeit eine kräftige Erholung der Konjunktur, und an der Börse zeichnet sich nun einmal die Zukunft ab. Die konjunkturelle Erholung und die fiskalische Unterstützung werden eingepreist. In den USA gibt es ein Konjunkturpaket in einer Größenordnung von 1,9 Bill. Dollar, die Wachstumsprognosen vieler Länder sind sehr hoch. Zudem ist generell viel Liquidität vorhanden. Die Deutschen sind ohnehin die Sparweltmeister, aber sogar in den USA sind die Einlagen auf Rekordhöhe. Wir sind für die Aktienmärkte zuversichtlich. Angesichts der niedrigen Zinsen gibt es wenig Alternativen zu Aktien.

Was sollte auf der Anleiheseite getan werden?

Die Crux ist hier, dass es Investoren gibt, die in Anleihen anlegen wollen oder dies, etwa aus regulatorischen Gründen, tun müssen. Zu dem niedrigen Zinsniveau kommt noch die wegfallende Korrelation zwischen Aktien und Anleiherenditen hinzu. Auf der Spread-Seite gibt es sehr viele Unterschiede zwischen Ländern beziehungsweise Unternehmen, die insbesondere in der Krise nachlaufen, und solchen, die im Zyklus vorlaufen. In Europa sind die Spreads niedrig. Genau hier kommen Unternehmensanleihen in Frage. Lateinamerikanische Investment-Grade-Anleihen mit einem positiven Renditeaufschlag auf US-Treasuries von über 2 Prozentpunkten sind etwas, das wir ins Portfolio nehmen würden. Generell sollte man aktuell Staatsanleihen eher untergewichten, weil die Staatsschulden sehr hoch sind und vor allem die Renditen sehr niedrig sind, während die lateinamerikanischen Unternehmen eine hohe Liquidität und steigende Gewinne aufweisen. Die Staatsschulden sind hoch, die Ausgaben aber gut, weil sie nicht nur die Unternehmen erreichen, sondern auch in notwendige Infrastruktur investiert wird.

Wie ist Santander Asset Management aufgestellt?

Santander Asset Management ist global aufgestellt, mit Schwerpunkten in Europa und Lateinamerika. Wir sind in elf Ländern präsent. Das Assetmanagement in Deutschland wurde im Jahr 2013 nach dem Erwerb des Retail-Geschäfts der SEB im Jahr 2011 gestartet. Wir haben in Deutschland Assets under Management von 2,5 Mrd. Euro. Zwei Drittel unseres Geschäfts entfallen auf das klassische Retail-Geschäft und das Corporate Banking. Ein Drittel ist reines institutionelles Geschäft. Unsere Kunden sind dort etwa Versicherungen, Pensionsfonds und Stiftungen, aber auch große Unternehmen, die neben Cash Management ja auch Anlagebedarf haben. Neben alternativen Strategien ist Lateinamerika einer unserer Schwerpunkte. Lateinamerika spielt eine bedeutende Rolle, da wir vor Ort eine hohe Präsenz haben und große Unternehmen global begleiten und ihnen den Zugang zu Lateinamerika ermöglichen.

Die Entwicklung in einigen lateinamerikanischen Ländern er­scheint problematisch. Asien gilt allgemein als die zu bevorzugende Region unter den Emerging Markets. Ist Lateinamerika für Anleger dennoch interessant?

Lateinamerika hat in den zurückliegenden 15 Jahren eine starke Entwicklung vollzogen. Die Situation von heute ist mit der von damals in keiner Weise vergleichbar. Es gibt insgesamt viel mehr politische Stabilität und viel mehr Professionalität. Die Region ist zu einem globalen Wettbewerber geworden. Vieles, was in Lateinamerika produziert wird, ist für die globale Entwicklung notwendig. Dazu zählen beispielsweise Rohstoffe, die für die Elektromobilität unerlässlich sind. 40% der weltweiten Lithiumvorräte befinden sich in Bolivien, Argentinien und Chile. Ein Investment in Lateinamerika ist unumgänglich. Die globale Klammer Emerging Markets ist problematisch, weil sie nicht differenziert. Gerade in der Krise sieht man nun, wie wichtig es ist, regional zu differenzieren, um zeitnahe Performance einzufangen. Vor 15 Jahren entfielen Import und Export der Region fast ausschließlich auf die USA. Die USA sind in dieser Hinsicht mittlerweile von China abgehängt worden. Gerade jetzt bietet Lateinamerika Momentum, weil China anzieht, aber auch alle anderen Länder, in die Lateinamerika exportiert. Die Region profitiert vom globalen Aufschwung und von dem enormen Rohstoffbedarf. Auch bezüglich der Pandemie sieht man jetzt eine positive Entwicklung.

Wenn man die Aktionen und Äußerungen des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro verfolgt, wirkt das aber nicht gerade ermutigend.

Bolsonaro ist ein Politiker und Staatslenker, wie es viele auf der Welt gibt. Daher investieren wir mit unseren Fonds generell nicht in das Land, sondern in die Unternehmen. Gerade Brasilien investiert unglaublich viel in Nachhaltigkeit. Die Schlagzeilen werden aber von der Rodung der Urwälder und dem Wassermangel dominiert. Entscheidend ist aber, wie das Land aufgestellt ist, und da sehen wir eine extrem gute Struktur. Es gibt ein riesiges Wiederaufforstungsprogramm. Das wird völlig unterschätzt. Selbst im Bergbau ist das Thema Nachhaltigkeit angekommen, weil die Anleger das einfach einfordern. Die Unternehmensgewinne steigen an, insbesondere im Nachhaltigkeitsbereich. Vor diesem Hintergrund haben wir kürzlich einen auf Investment Grade und ESG fokussierten Unternehmensanleihefonds für die Region aufgelegt.

Bezüglich der Pandemiebekämpfung sind die Schlagzeilen über Brasilien sehr negativ. Wie schätzen Sie die Lage beziehungsweise die Aussichten ein?

Die aktuelle Entwicklung in Manaus bestimmt die Schlagzeilen. Aber bei aller Kritik an der Impfkampagne ist zu betonen, dass es nun einmal in so einem riesigen Land eine immense Herausforderung ist, die Impfinfrastruktur aufzustellen. Auf Basis der aktuellen Impfdaten ist davon auszugehen, dass die Infektionszahlen bald signifikant runtergehen werden.

In welche Branchen beziehungsweise Themen investieren Sie?

Ein Schwerpunkt sind klassische Rohstoffe. Die Rohstoffpreise sind im zurückliegenden Jahr durchschnittlich um 15 bis 20% gestiegen, und die Entwicklung geht weiter. Hinzu kommt der Bereich Agrikultur. Generell korrelieren die Rohstoffpreise wenig mit Aktien und Renten. Ein weiterer großer Bereich ist die Finanzbranche. Die Banken haben in der Region eine Konsolidierung hinter sich. Wir investieren ferner in die Elektro- und Elektronikbranche. Unsere größte Position ist die mexikanische Controladora. Das ist die lateinamerikanische „Bosch“. Interessante Möglichkeiten eröffnet das brasilianische Konjunkturstützungsprogramm. Das bringt Chancen etwa für die Transportbranche , in der wir übergewichtet sind, aber auch unter anderem für die Baubranche. Durch das Programm zieht auch die Stahlverarbeitung an, und auch der Automobilsektor profitiert.

Wo halten Sie sich eher zurück?

Runtergegangen sind wir im Chemie- und Papiersektor, ferner im klassischen Minenbereich. Letzteren meiden wir wegen unserer Nachhaltigkeitskriterien. Wir haben auch den Bergbaukonzern Vale reduziert. Das im Übrigen schon vor dem katastrophalen Deichbruch.

Welche Produkte bieten Sie an, und wie sieht es mit der Performance aus?

Wir haben im Jahr 2008 den Latam-Corporate-Bond-Fonds aufgelegt. Er hat seither im Durchschnitt pro Jahr 6% ausgeschüttet, wodurch er fast schon ein Income-Produkt ist. Wir haben dann noch den bereits erwähnten Fonds mit Fokus auf Investment Grade mit ESG-Komponente lanciert. Hier beläuft sich der durchschnittliche angestrebte jährliche Ertrag auf rund 3%.

Wie gehen Sie mit Währungsrisiken um?

Lateinamerika ist von politischen und Währungsrisiken geprägt sowie von relativ hoher Volatilität. Aus diesem Hintergrund investieren wir für unsere globalen Lösungen ausschließlich in auf Hartwährungen lautende Unternehmensanleihen. In der Region ist aktives Portfolio­management äußerst wichtig. Im Assetmanagement-Bereich haben wir 70 Investmentspezialisten direkt vor Ort in Lateinamerika. Wir haben in der Region mehr als 2000 Unternehmenskontakte pro Jahr. Wir haben Assets under Management von 68 Mrd. Euro in Lateinamerika. Insgesamt als SAM sind es 181 Mrd. Euro. Die gesamte Santander-Gruppe hat in Lateinamerika 5800 Filialen und 87000 Mitarbeiter. Ins­gesamt hat die Gruppe 2020 42% der Erträge in dieser Region erwirtschaftet.

Das Interview führte