Bundesverfassungsgericht

Klimaschutz als Verfassungsgebot

Die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach Generationengerechtigkeit beim Klimaschutz beschleunigt die gesellschaftliche Transformation – mit Herausforderungen und Chancen für die Wirtschaft.

Klimaschutz als Verfassungsgebot

Von Thomas Voland und

Sunny Kapoor *)

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem wegweisenden „Klimabeschluss“ den Klimaschutz endgültig als Verfassungsgebot etabliert. Die Ende April veröffentlichte Entscheidung ist unter anderem deshalb besonders bemerkenswert, weil sie die Pflicht des Staates betont, die Belange künftiger Generationen in seine politischen und regulatorischen Überlegungen einzubeziehen.

Der Entscheidung waren Verfassungsbeschwerden von jungen Umweltaktivisten, NGOs sowie Bürgern aus Bangladesch und Nepal vorausgegangen. Diese hatten gerügt, dass die im Klimaschutzgesetz (KSG) festgelegten Klimaschutzziele unzureichend seien und gegen das Grundrecht auf menschenwürdige Zukunft, die Eigentums- und Berufsfreiheit verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht gab den Beschwerden teilweise statt und befand, dass die im Klimaschutzgesetz vorgesehenen Klimaschutzziele dem verfassungsrechtlichen Klimaschutzgebot nicht hinreichend Rechnung tragen.

Das Klimaschutzgesetz ist Teil des von der Bundesregierung im Jahr 2019 vorgelegten Klimapakets. Es zielt darauf ab, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, um bis zum Jahr 2050 Treibhausgasneutralität zu erreichen. Zu diesem Zweck sieht das Klimaschutzgesetz vor, die Treibhausemissionen im Vergleich zum Jahr 1990 um mindestens 55% bis 2030 zu mindern und bis 2050 Treibhausgasneutralität zu erreichen. Dies soll vor allem durch Einhaltung von festgelegten Jahresemissionsmengen in bestimmten Sektoren wie Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft erreicht werden. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts ist der lediglich bis zum Jahr 2030 konkretisierte Fahrplan unzureichend, weil dadurch erhebliche Reduktionslasten auf dem Weg zur angestrebten Treibhausgasneutralität im Jahr 2050 in intransparenter und freiheitseinschränkender Weise auf künftige Generationen abgewälzt werden.

Die verfassungsgerichtliche Entscheidung ist bereits mit Blick auf die Tatsachenfeststellungen bemerkenswert, weil sie die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nationaler und internationaler Institutionen, insbesondere des „Weltklimarats“ (IPCC), zu den Ursachen des Klimawandels nicht nur anerkennt, sondern sich ausdrücklich darauf stützt. Die Verfassungsrichter schließen sich vor allem der Erkenntnis an, dass der Klimawandel einen anthropogenen Hintergrund hat, dessen ungebremstes Voranschreiten dramatische nachhaltige Folgen für das Erdklima und das menschliche Leben auf der Erde nach sich ziehen wird.

Vor diesem Hintergrund rückt das Bundesverfassungsgericht die aus Artikel 20a Grundgesetz folgende Verpflichtung des Staates zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in den Mittelpunkt. Aus dieser „Staatszielbestimmung“ leitet es das Klimaschutzgebot ab.

Ausgangspunkt für dessen inhaltliche Bestimmung ist die Annahme, dass der für Menschen erträgliche klimatische Zustand des Erdsystems mit einer mittleren Temperatur zusammenhängt und die Erderwärmung entsprechend aufgehalten werden muss. Dazu sind die weiteren Emissionen klimaschädlicher Gase, insbesondere von CO2, zu begrenzen. Das Gericht stellt in diesem Zusammenhang fest, dass es sich bei Artikel 20a Grundgesetz um eine justiziable Rechtsnorm handelt, deren Ausgestaltung nicht allein dem Gesetzgeber obliegt. Dies ist bedeutsam, weil der Klimaschutz langfristige Entscheidungen erfordert, während der Gesetzgeber in einem über demokratische Wahlperioden organisierten System strukturell einem kurzfristigen Entscheidungshorizont unterliegt. Zudem hat die besonders betroffene jüngste Generationen kaum Möglichkeiten, auf den gegenwärtigen politischen Willensbildungsprozess einzuwirken.

Damit erhebt das Gericht die Generationengerechtigkeit zum Maßstab seiner Entscheidung. Es führt aus, dass die im Klimaschutzgesetz bis 2030 zugelassenen Emissionsmengen mit darüber entscheiden, wie viel Zeit für die bis zur Erreichung der Treibhausgasneutralität erforderlichen Transformationen verbleibt und wie erheblich die dafür notwendigen Freiheitseinschränkungen ausfallen. Denn gegenwärtig ist nahezu jeder Gebrauch von Freiheitsrechten mittelbar oder unmittelbar mit dem Ausstoß von CO2 verbunden, was unweigerlich dazu beiträgt, dass das für die Erreichung der Treibhausgasneutralität verbleibende Restbudget an CO2 schrittweise verringert wird. Ist allerdings das Restbudget bis 2030 bereits weitgehend verbraucht, muss der Gesetzgeber dann die Freiheitsrechte der künftigen Generationen wesentlich drastischer einschränken, um das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 noch zu erreichen.

Deshalb fordert das Bundesverfassungsgericht, dass der Gesetzgeber bereits jetzt einen konkreten Fahrplan bis zum Jahr 2050 festlegt, der die Emissionsreduktionslasten sowie die damit verbundenen Freiheitseinschränkungen über die Generationen hinweg transparent aufzeigt. Im Idealfall folgt aus dieser Transparenz auch eine gerechtere Verteilung der Belastungen.

Zwar hat das Gericht ausdrücklich klargestellt, dass der Gesetzgeber mit der Verankerung des lediglich bis 2030 reichenden Fahrplans keine grundrechtlichen Garantien verletzt hat. Es hat den bestehenden Fahrplan weder für verfassungswidrig erklärt noch dessen Überarbeitung für den Zeitraum bis 2030 gefordert. Allerdings lässt sich das Ziel einer generationengerechten Lastenverteilung nicht dadurch erreichen, dass der Gesetzgeber an den Reduktionsvorgaben bis 2030 festhält und danach die Einsparungen stark zunehmen müssen.

Dementsprechend hat die Bundesregierung bereits weniger als eine Woche nach dem Weckruf aus Karlsruhe angekündigt, bis 2030 den Treibhausgasausstoß um 65% gegenüber 1990 reduzieren und bis zum Jahr 2045 Treibhausgasneutralität erreichen zu wollen. Die Bundesregierung wird ihrer Ankündigung auch zeitnah Taten folgen lassen müssen, da ihr ansonsten vermehrt auf dem Klimabeschluss beruhende Umsetzungsklagen von Umweltverbänden und Betroffenen drohen, die sich wiederum mittelbar auch auf Unternehmen auswirken könnten.

Mit den verschärften Klimaschutzzielen werden auf die Wirtschaft gewaltige zusätzliche Herausforderungen zukommen. Nach den durchgesickerten Regierungsplänen soll beispielsweise der CO2-Ausstoß des Energiesektors bis 2030 um weitere ca. 38% sinken, im Mobilitäts- und Industriebereich sind es etwa 10% bzw. 15%. Damit müssen die Unternehmen der Energiewirtschaft die Transformation von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern noch schneller umsetzen; insbesondere dürfte der Kohleausstieg vor 2038 zu vollenden sein.

Ferner ist zu erwarten, dass die Verkehrswende beschleunigt wird und als Druckmittel die Emissionsgrenzen für Fahrzeuge weiter verschärft werden. Ebenso dürften Industrie und Handel noch stärker in die Pflicht genommen werden, ihre unternehmerischen Prozesse auf Klimaneutralität auszurichten, die ökologische Verträglichkeit ihrer (globalen) Lieferketten zu prüfen und anzupassen sowie die Forschung und Entwicklung von nachhaltigen Produkten auszubauen.

Allerdings bietet der steilere und verkürzte Ausstiegspfad auch Chancen. Dazu gehört nicht nur die verbesserte Planungssicherheit, die aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts zusätzliche Anreize für die Entwicklung klimaneutraler Alternativen schaffen kann. Vielmehr ist auch mit weiteren staatlichen Unterstützungsprogrammen und regulatorischen Erleichterungen für „grüne“ Produkte zu rechnen.

*) Dr. Thomas Voland ist Partner und Dr. Sunny Kapoor Senior Associate der Sozietät Clifford Chance in Düsseldorf.

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