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Netflix-Aktie im Abwärts­taumel

Zahlreiche Investmenthäuser haben die Netflix-Aktie herabgestuft. Nun spekulieren Portfoliomanager bereits darauf, dass der Streaming-Anbieter für Konkurrenten zum Übernahmeziel wird.

Netflix-Aktie im Abwärts­taumel

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Die Enttäuschung in der Analystengemeinde ist groß: Zahlreiche Investmenthäuser haben die Netflix-Aktie heruntergestuft, nachdem der Streaming-Anbieter in der vergangenen Woche schwache Nutzerzuwächse für das erste Quartal des laufenden Jahres vermeldet und auch die Erwartungen für das zweite Quartal eingedampft hatte. Der Anteil der Kaufempfehlungen für den Titel ist laut dem Informationsdienstleister Bloomberg auf 28,8% gefallen, Ende März belief er sich noch auf 60,8%. Die DZ Bank etwa empfiehlt Netflix nun nur noch zum Halten und hat den fairen Wert der Aktie von 575 auf 280 Dollar zusammengekürzt. Die Analysten von J.P. Morgan haben ihr Votum indes von „Übergewichten“ auf „Neutral“ gesenkt und das Kursziel von zuvor 605 auf 300 Dollar mehr als halbiert.

Netflix hatte die Marktteilnehmer mit dem ersten Nutzerrückgang seit zehn Jahren kalt erwischt: Netto sprangen zwischen Anfang Januar und Ende März 200000 Abonnenten ab, das Management war von einem Zuwachs um 2,5 Millionen Kunden ausgegangen. Für das zweite Quartal rechnet das Unternehmen nun sogar mit einem Abschied von 2 Millionen Abonnenten. Innerhalb des ersten Handelstags nach der Veröffentlichung der Zahlen verlor die Netflix-Aktie fast 40% und steckt seither im Abwärtstaumel. Die Analysten von Bloomberg Intelligence gehen davon aus, dass das Unternehmen im Gesamtjahr 2022 lediglich 8,5 Millionen Nutzer hinzugewinnen wird – diese Zahl liegt nicht nur unter dem vorherigen Erwartungswert von 18,5 Millionen, sondern auch deutlich unter den Anstiegen der Vorjahre.

„Die Pandemie hat Netflix in vielen Märkten offenbar näher an den Sättigungspunkt geführt“, heißt es bei Bloomberg Intelligence. Der Abonnentenschwund werde das Umsatzwachstum und Margensteigerungen beschneiden. Netflix kämpfe mit langanhaltenden Problemen wie der Nutzung eines Accounts durch mehrere Personen und einem anziehenden Wettbewerb.

Vertrauen verspielt

Zudem führte das Management die Inflation, das langsame Wachstum bei Connected TVs – also Fernsehgeräten mit Computer-Zusatzfunktionen – sowie den Ukraine-Krieg als Begründung für die schlechte Entwicklung an. „Bedenkt man, dass mit Ausnahme des Ukraine-Kriegs alle diese Aspekte schon bei der Q1-Prognose bekannt waren, dann fällt es uns schwer, dies nicht als Ausrede einzustufen“, kommentieren die Analysten der DZ Bank. Zwar habe der Rückzug vom russischen Markt Netflix auf einen Schlag 700000 Abonnenten gekostet. Doch selbst um diesen Verlust bereinigt hätte das Unternehmen die eigene Prognose weit verfehlt. Das Management habe mit seiner Kommunikation daher viel Vertrauen bei den Marktteilnehmern verspielt.

Analysten zeigen sich vor allem über die Entwicklung in Nordamerika besorgt. J.P. Morgan hält es für besonders problematisch, dass wohl über 30 Millionen Haushalte in den Vereinigten Staaten und Kanada den Streaming-Dienst nutzten, aufgrund des Passwort-Sharings aber nicht dafür bezahlten. Dies begrenze das Wachstumspotenzial erheblich.

Netflix will zwar eine härtere Gangart gegen Trittbrettfahrer auf einzelnen Nutzerkonten einschlagen und über ein werbefinanziertes Modell neue Kunden anlocken. Diese Maßnahmen dürften laut J.P. Morgan aber erst in den kommenden beiden Kalenderjahren in Kraft treten. Die DZ Bank wirft zudem das Problem auf, dass Netflix durch ein werbefinanziertes Modell zwar Nutzer gewinnen könnte, zugleich aber auch zahlende Bestandskunden in die neue Abonnementvariante um­lenken und die eigenen Einkünfte kannibalisieren würde.

Das Problem der wachsenden Konkurrenz gerade im Heimatmarkt löst aus Sicht von J.P. Morgan ebenfalls strukturellen Druck auf die Aktie aus. Zwar ist Netflix klarer Marktführer, doch Konkurrenten wie Disney, Warner, Paramount, Apple oder Amazon holen stark auf und investieren gewaltige Summen in neue Inhalte. Die Deutsche Bank verweist zudem darauf, dass die werbeunterstützten Versionen von Disney plus und Paramount plus zusammengenommen für US-Nutzer immer noch günstiger sind als ein einzelnes Netflix-Standardabonnement. Der verschärfte Wettbewerb ist besonders herausfordernd, weil die Abwanderung vom linearen Fernsehen in Streaming-Angebote in den USA weniger weit vorangeschritten ist als vielfach angenommen: Laut dem Marktforschungsunternehmen Nielsen entfallen immer noch mehr als 65% der TV-Nutzung in den Vereinigten Staaten auf lineare Formate. Die Enge des Marktes begrenzt nach Einschätzung der Deutschen Bank die Möglichkeiten von Netflix, weitere Preiserhöhungen durchzusetzen, was natürlich insbesondere bei einem abflachenden Nutzerinteresse gelte.

Konkurrenten wie Disney verfügen zudem über wesentlich diversifiziertere Geschäftsmodelle als der bisherige Streaming-Primus. Disney be­reite sich zwar ebenfalls auf Rückschläge im Video-on-Demand-Geschäft vor, könne 2022 aufgrund der aufgestauten Nachfrage und technologischer Verbesserungen aber mit soliden Einnahmen aus dem Freizeitpark-Geschäft rechnen, heißt es bei Bloomberg Intelligence.

Portfoliomanager Erling Thune von DNB Asset Management sieht in den Rückschlägen bei Netflix indes Positives – zumindest aus Investorensicht. „Wir haben die Untergewichtung im Fonds nun aufgegeben, da wir der Meinung sind, dass Netflix zu einem Übernahmeziel für Unternehmen wie Apple, Comcast und Amazon geworden ist“, sagt er. Nun bleibt abzuwarten, ob die Hoffnung auf derartige M&A-Pläne die Anleger zurück in die gebeutelte Aktie des Streaming-Vorreiters treibt.

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