Rüstungskonzern

Northrop Grumman wieder normal bewertet

Northrop Grumman hat zwar in den vergangenen zwölf Monaten 3 % an Wert zugelegt. Trotz der zunehmenden internationalen Spannungen und der Perspektive, dass immer mehr Länder hochrüsten, hatte die Aktie im bisherigen Jahresverlauf 2023 jedoch einen Kurssturz hinzunehmen.

Northrop Grumman wieder normal bewertet

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Aktien aus dem Rüstungssektor waren in dem sehr schwierigen Börsenjahr 2022 ein gutes Investment, um sich den Verlusten durch Rezessionsgefahren, dem enormen Anstieg der Energiekosten und in der Folge der Inflation und den weitreichenden Folgen der Sanktionen nach Beginn des Ukraine-Kriegs zu entziehen. Dies gilt auch für die großen US-Rüstungstitel. So hat beispielsweise die Aktie von Lockheed Martin als dem weltweit größten Rüstungskonzern auf Sicht von zwölf Monaten 6% hinzugewonnen, während der Benchmark-Index S&P 500 binnen eines Jahres fast 10% eingebüßt hat. Northrop Grumman, der drittgrößte US-Rüstungskonzern, hat zwar in den vergangenen zwölf Monaten 3% an Wert zugelegt. Trotz der zunehmenden internationalen Spannungen und der Perspektive, dass immer mehr Länder weltweit hochrüsten und sich auf Kriege vorbereiten, hatte die Aktie im bisherigen Jahresverlauf 2023 jedoch einen Kurssturz hinzunehmen und nicht weniger als 15% eingebüßt.

Die Aussichten für die amerikanischen Rüstungskonzerne sind aktuell möglicherweise nicht mehr so günstig, wie sie es in den vergangenen Jahren waren, als die Konzerne starke Anstiege ihrer Kurse realisierten, weil die USA und die europäischen Nato-Länder bereits vor einigen Jahren damit begonnen hatten, ihre Verteidigungsausgaben stark hochzufahren.

So sind die Analysten von Goldman Sachs aktuell vorsichtiger geworden für die Aktien aus dem amerikanischen Rüstungssektor. Sie haben beispielsweise Northrop Grumman von „Hold“ auf „Sell“ heruntergestuft und das Kursziel von 440 auf 375 Dollar reduziert – bei einem aktuellen Kurs der Aktie von 471 Dollar. Noah Poponak von Goldman Sachs verweist darauf, dass sowohl die US-Rüstungsausgaben mit rund 800 Mrd. Dollar Rekordniveau erreicht haben als auch die amerikanische Staatsverschuldung mit 31,46 Bill. Dollar. „Rüstungsaktien haben das Potenzial eines neuen weltweiten Konflikts zwischen den Supermächten eingepreist. Sie haben aber noch nicht eingepreist, dass die US-Regierung einen neuen Fokus auf die kumulative Verschuldung legen könnte“, schreibt Poponak. Mit anderen Worten: Die USA können sich ihre gegenwärtige Politik der Eindämmung der beiden anderen Großmächte und der notfalls auch militärischen Verteidigung ihrer führenden Rolle in der Welt im Grunde nicht mehr leisten.

Warmer Regen bleibt aus

Der Ukraine-Krieg hat bislang auch nicht den von der US-Branche erhofften warmen Regen in die Kassen gespült. Das liegt daran, dass die ukrainische Armee auf Waffensysteme aus sowjetischer Produktion angewiesen ist, da sie nicht auf westliche Rüstungsgüter trainiert ist. Die US-Regierung und die EU suchen daher weltweit intensiv nach Restbeständen sowjetischer Waffen für die ukrainische Armee. Der Ukraine und ihren westlichen Lieferanten geht gleichwohl die in diesem Krieg enorm wichtige Artilleriemunition aus. Die amerikanische und europäische Rüstungsindustrie hat sich als unfähig erwiesen, große Mengen an Munition und preisgünstige, aber effektive Waffen niedriger bis mittlerer Komplexität zu produzieren, die in den neuen großen Peer-to-Peer-Konflikten wie in der Ukraine offenbar von zentraler Bedeutung sind. In ihren Fabriken werden stattdessen Hightech-Produkte in kleiner Stückzahl gefertigt. Aus Sicht der Hersteller sind solche Waffensysteme deutlich lukrativer.

Dies lässt sich auch am gegenwärtigen Prestigeprojekt des neuen Stealth-Bombers B-21 Raider von Northrop Grumman zeigen. Das Flugzeug mit einem gewaltigen geschätzten Stückpreis von 750 Mill. Dollar ist zwar nur eine Weiterentwicklung der bisherigen B-2 Spirit, wird aber als der ultimative Tarnkappenbomber angepriesen, der auch in Gebiete mit extrem starker Luftverteidigung eindringen können soll. Dies ist aber mehr als zweifelhaft, denn es ist bekannt, dass insbesondere die russischen Abwehrsysteme bislang jedes Stealth-Flugzeug erkennen können. Analysten gehen von 200 neuen Bombern aus, das Projekt würde also große Summen in die Kassen von Northrop Grumman spülen.

Allerdings ist Northrop Grumman alles andere als ein Ein-Produkt-Unternehmen, das neben der B-21 keine weiteren Pfeile im Köcher hätte. Im Gegenteil: Der Konzern ist hoch diversifiziert und entwickelt Produkte für fast alle Bereiche der Luft-, See-, Land-, Weltraum- und Cyber-Kriegsführung. Dabei legt der Konzern noch mehr als die Wettbewerber den Fokus auf „Next Generation High Tech“. Dazu gehören auch so wichtige Bereiche wie die Abwehr strategischer Atomraketen und Cruise Missiles mit Hyperschallgeschwindigkeit, in denen die USA bislang weit hinter Russland und China hinterherhinken.

Aus Sicht der Investoren ist positiv zu vermerken, dass der Konzern stets eine ansprechende Dividendenrendite geboten hat, in den vergangenen zehn Jahren nahmen die Ausschüttungen pro Jahr im Durchschnitt um 12,1% zu. Allerdings hat das Unternehmen mit seinen letzten beiden Quartalsergebnissen die Erwartungen verfehlt. Dies hat zu dem jüngsten Kursrutsch beigetragen, ebenso wie die zuvor hohe Bewertung der Aktie.

Inzwischen hat sich die Bewertung wieder normalisiert. Auf Basis der Ergebnisse der vergangenen zwölf Monate liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) bei 15, das von Lockheed Martin aber schon bei 22. Raytheon kommt sogar auf 28. Die Analysten sind freilich noch zurückhaltend. Zwar gibt es unter 25 Häusern nur eine einzige Verkaufsempfehlung und gar keine Einstufung mit „Underweight“. Allerdings raten gleich 13 Häuser dazu, die Aktie zu halten, bei acht Kaufempfehlungen und drei Einstufungen mit „Overweight“.

Das durchschnittliche Kursziel der Aktie für die Aktie liegt bei 509,26 Dollar, was einem Kurspotenzial von lediglich 7% entspricht. Wenngleich sich also die hohe Bewertung abgebaut hat, scheinen viele Analysten eine weitere Korrektur abzuwarten.

Es gibt eine Entwicklung, die der Aktie längerfristig zusätzlichen Kursschub geben könnte. US-Luftwaffengeneral Mike Minihan warnte unlängst, es sei für 2025 mit einem Krieg um Taiwan zu rechnen, in den die USA eintreten würden. Ein solcher See- und Luftkrieg würde nicht mit alten sowjetischen Waffen geführt. Er würde voraussichtlich genau die Hightech-Systeme erfordern, die Northrop Grumman herstellt.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.