Rohstoffmärkte

Schlägt die Stunde der Edelmetalle?

Der Goldpreis zählt zu den wenigen Assetklassen, die im bisherigen Jahresverlauf 2021 „unter Wasser“ liegen. Doch in den kommenden Monaten droht vor allem dem Aktienmarkt eine volatilere Entwicklung – möglicherweise sogar eine nennenswerte...

Schlägt die Stunde der Edelmetalle?

Von Jörg Scherer*)

Der Goldpreis zählt zu den wenigen Assetklassen, die im bisherigen Jahresverlauf 2021 „unter Wasser“ liegen. Doch in den kommenden Monaten droht vor allem dem Aktienmarkt eine volatilere Entwicklung – möglicherweise sogar eine nennenswerte Preiskorrektur. Die Gretchenfrage ist deshalb, ob auf die Aktienmarkt-Rally der letzten Monate nun das Comeback der Edelmetalle folgt. Wir begeben uns im Folgenden auf eine charttechnische Spurensuche.

Mit einem Goldinvestment konnten Anleger seit Jahresbeginn also (noch) keinen Staat machen. Doch nach einem holprigen Jahresauftakt gelang dem Goldpreis zuletzt eine Stabilisierung auf Basis der verschiedenen horizontalen Unterstützungen bei knapp 1700 Dollar, dem 38,2-Prozent-Fibonacci-Retracement des gesamten Hausseimpulses seit 2015 (1680 Dollar) sowie der oberen Begrenzung des alten Haussetrendkanals seit Ende 2015. Diese Formulierung ist sogar zu schwach, denn jüngst folgte ein ganz besonderer technischer Paukenschlag.

Schlüssel-Level 1800 Dollar

Gemeint ist der Spurt über den Kumulationswiderstand bei rund 1800 Dollar. Hier fallen diverse Hoch- und Tiefpunkte der letzten Dekade mit dem Abwärtstrend seit August 2020 (aktuell bei 1788 Dollar) zusammen. Dank des erfolgreichen Ausbruchs entpuppt sich die gesamte Verschnaufpause der letzten Monate als die erwartete trendbestätigende Flagge (siehe Chart). Die Auflösung des angeführten Konsolidierungsmusters wird dabei durch ein neues Kaufsignal seitens des Wochen-MACD untermauert. Per saldo ist damit der Startschuss für eine neue Goldrally gefallen. Das 2011er-Hoch bei 1920 Dollar markiert ein erstes Etappenziel auf der Oberseite. Langfristig legt die abgeschlossene Flaggenkonsolidierung sogar den Grundstein für einen Anlauf auf das bisherige Allzeithoch bei 2072 Dollar. Eine Rückeroberung der 50-Wochen-Linie (aktuell bei 1.840 Dollar) würde unserer konstruktiven Einschätzung des Edelmetalls zusätzlichen Nachdruck verleihen. Um die aktuelle Steilvorlage nicht leichtfertig zu verspielen, sollte der Goldpreis in Zukunft indes nicht mehr nachhaltig unter das Tief vom Dezember vergangenen Jahres bei 1764 Dollar zurückfallen.

Silber das bessere Gold: So lautete eine der Kernthesen aus unserem großen Jahresausblick. Deshalb wollen wir im Folgenden die charttechnische Ausgangslage für das „Gold des kleinen Mannes“ analysieren. Der Monatschart des Silberpreises überzeugt durch den Abschluss einer mehrjährigen Bodenbildung. Auf die Komplettierung der unteren Umkehr und einen ersten Kursschub folgte ein idealtypischer Pull-back an die Nackenlinie der Bodenbildung bei rund 21 Dollar. Diese Marke wird durch eine Ichimoku-Unterstützung (20,82 Dollar) untermauert, sodass diese Zone weiter als strategische Absicherung prädestiniert ist. Aufgrund des beschriebenen Rücksetzers kann die gesamte Kursentwicklung seit Sommer 2020 unter dem Strich als seitliche Schiebezone zwischen besagten 21 Dollar auf der Unter- und rund 30 Dollar auf der Oberseite interpretiert werden. Entsprechend würde ein Spurt über die Hochs vom August 2020 bzw. vom Februar 2021 (29,84/30,03 Dollar) für ein prozyklisches Investmentkaufsignal sorgen. Vor diesem langfristigen Katalysator kommt der Rückeroberung der Tiefs von 2011 und 2012 bei rund 26 Dollar bereits eine wichtige Schlüsselrolle zu. Vor allem, wenn Investoren die Zeitebene herunterbrechen.

Die 200-Tages-Linie (aktuell bei 25,65 Dollar) diente dem Silberpreis zuletzt mehrfach als Unterstützung. Doch nicht nur das: Derzeit liegt die besondere Konstellation vor, dass die gleitenden Durchschnitte (GD) der letzten 50, 90 und 200 Tage allesamt eng beieinanderliegen und bei rund 26 Dollar verlaufen. In der Vergangenheit diente die beschriebene Ausgangslage oftmals als idealer Nährboden für einen neuen Trendimpuls. Da im Tagesbereich zudem eine inverse S-K-S-Formation vorliegt, sollte sich dieser nach Norden entfalten. Die kurzfristige untere Umkehr nährt zudem die Hoffnung, dass es sich bei der Verschnaufpause seit Sommer 2020 übergeordnet letztlich um eine Korrekturflagge handelt. Das kalkulatorische Anschlusspotenzial aus der kurzfristigen unteren Umkehr lässt sich auf knapp 3 Dollar taxieren. Damit sollte Silber perspektivisch Kurs auf die oben genannten Hochs bei rund 30 Dollar nehmen. Ein Sprung über diese Hürde würde wiederum für ein weiteres prozyklisches Investmentkaufsignal sorgen. Die oben genannte 200-Tages-Glättung bietet sich als taktischer Stop-Loss an.

Diversifikationsmöglichkeit

Aus dieser konstruktiven Einschätzung der Edelmetalle sollte auch der Philadelphia Gold/Silver-Index Kapital schlagen. Charttechnisch überzeugen die darin zusammengefassten Minentitel mit der langfristigen Bodenbildung seit 2013 sowie der nach oben aufgelösten Korrekturflagge seit Sommer vergangenen Jahres. Per saldo liegen also zwei strategische Katalysatoren vor, um das Kursziel aus der mehrjährigen unteren Umkehr von gut 190 Punkten planmäßig ins Visier zu nehmen. Vor dem Hintergrund einer möglicherweise schwierigeren Aktienmarktentwicklung bietet der Edelmetallsektor Investoren in den kommenden Monaten eine charttechnisch überzeugende Diversifikationsmöglichkeit.

*) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.

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