türkische Lira

Wahlen in der Türkei Hauptrisiko für die Lira

Nach Einschätzung der meisten Analysten gibt es für die türkische Lira in den kommenden Monaten Gefahren. Diese liegen vor allem auf der politischen Seite.

Wahlen in der Türkei Hauptrisiko für die Lira

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Die türkische Lira hat im vergangenen Jahr eine äußerst unbefriedigende Entwicklung verzeichnet. Gegenüber dem Greenback hat sie im vergangenen Jahr rund 29% an Wert eingebüßt. Gegenüber dem Euro betrug das Minus 2022 mehr als 25%. Aktuell befindet sich die türkische Währung mit rund 18,70 Lira je Dollar in unmittelbarer Nähe ihres Allzeittiefs. Nach Einschätzung der meisten Analysten sind die Aussichten für die Lira in den kommenden Monaten nicht positiv, gerade auch mit Blick auf die politischen Ereignisse der kommenden Monate ist eine weitere Abschwächung der Lira nicht auszuschließen, bevor es aber eine nachhaltige Stabilisierung und Stärkung geben könnte.

Ein Hauptgrund für die Schwäche der türkischen Lira ist der Vertrauensverlust­ internationaler Investoren und der Abzug ausländischer Mittel. Dieser ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die türkische Notenbank auf Drängen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf die hohe Inflation in dem Land mit Zinssenkungen reagiert hat. Dies tat die Notenbank, um die schwerwiegenden Folgen des Verfalls der Lira und der hohen Inflation für die Bürger des Landes zu mildern. Die ungewöhnliche Politik der Notenbank richtete sich zudem gegen Rezessionsgefahren, zumal es in der Türkei traditionell eine hohe in Dollar denominierte Kreditvergabe gegeben hat, mit steigenden Zinsbelastungen für die Kreditnehmer aufgrund des Verfalls der Lira gegenüber dem Dollar.

Starker Vertrauensverlust

Die Politik resultierte allerdings auch in einem starken Vertrauensverlust der Türken in die eigene Währung. Aufgrund der Zinssenkungen wurden die realen Zinsen deutlich negativ, was zwar die Konjunktur über Wasser hielt, aber zu hohen Anreizen für die türkischen Bürger führte, ihre Ersparnisse im US-Dollar anzulegen, mit der Folge hoher Dollar-Deposits der Banken. Angesichts eines Leitzinses von zuletzt 9% ergibt sich aktuell eine Negativverzinsung von rund 55%. Dies wiederum hat einen immensen Boom auf dem Immobilienmarkt und bei Aktien ausgelöst. Zum Jahresende befand sich die Istanbuler Börse auf Rekordniveau.

Seit September hat sich der Niedergang der Lira allerdings deutlich verlangsamt, er ist sogar fast zum Stillstand gekommen. Dazu trug bei, dass sich die Inflationsdaten zuletzt spürbar verbesserten. So betrug der Anstieg der Verbraucherpreise gemäß den Daten der Regierung im November noch 84%, im Dezember ist die Inflation jedoch auf 64,3% zurückgegangen. Damit fielen die Zahlen besser aus als von den Marktteilnehmern gemäß der Konsensschätzung von 66,5% erwartet. Auf Ebene der Erzeugerpreise war der Rückgang von mehr als 130% im November auf 97,7% im Dezember sogar noch ausgeprägter. Gemäß einer Umfrage der Finanznachrichtenagentur Bloomberg unter Ökonomen soll die Inflation bis zum Jahresende auf 44% zurückgehen, was freilich immer noch einen sehr hohen Wert darstellt.

„Liraisierung“ angestrebt

Zur Stabilisierung der Währung beigetragen hat auch die erklärte Politik der „Liraisierung“ der Regierung. So gibt es staatlich geförderte Umtauschprogramme von Einlagen in Devisen in Lira. Der Anteil der Lira-Einlagen auf Konten liegt aktuell bei 53%, er soll auf 60% gesteigert werden. Nicht unterschätzt werden sollte hinsichtlich der Lira-Stabilisierung auch, dass befreundete Regierungen wie Russland und die arabischen Staaten für Dollarzuflüsse in zweistelliger Milliardenhöhe sorgten. Mit der jüngsten Aussöhnung der türkischen und der syrischen Regierung, die eine tiefgreifende geopolitische Veränderung im Nahen Osten auf Kosten des schwindenden amerikanischen Einflusses darstellt, ist der Weg frei für weitere russische Hilfen und auch für noch stärkere Investitionen aus dem arabischen Raum. Aufgrund der hohen Energiepreise schwimmen Russland wie auch Saudi-Arabien und die Golfmonarchien im Geld, das nach Anlagemöglichkeiten außerhalb von USA und Europa sucht, wo die Gefahr der Beschlagnahme im Rahmen von politischen Konflikten stark zugenommen hat. Insofern ist der laufende geopolitische Seitenwechsel der Türkei weg vom Westen und hin zu Russland und China auch als eine langfristige Strategie der wirtschaftlichen Stabilisierung der Türkei zu sehen.

Ankurbelung der Exporte

Die Regierung bemüht sich zudem, die Exporte stark anzukurbeln, so dass man bereits von einem regelrechten Boom der Exportindustrie sprechen kann. Die Ausfuhren haben im vergangenen Jahr 254,2 Mrd. Dollar erreicht, ein Anstieg von 12,9% und ein Rekordwert. Auch dies dürfte die Lira längerfristig stabilisieren, genauso wie die Energiepolitik der Regierung, die auf den Ausbau der Lieferungen aus Russland setzt und, auf Vorschlag des russischen Präsidenten Wladimir Putin, auf den Aufbau eines Drehkreuzes für Gaslieferungen und den Gashandel nach Europa. Das billige Erdgas aus Russland sowie neue große Gasfunde auf türkischem Gebiet versprechen der türkischen Wirtschaft eine langfristig günstige Energieversorgung.

Nach Einschätzung der meisten Analysten gibt es für die türkische Lira in den kommenden Monaten allerdings Gefahren. Diese liegen vor allem auf der politischen Seite. Im laufenden Jahr, vermutlich zur Jahresmitte, stehen Wahlen an, so dass die Regierung unter Präsident Erdogan stark daran interessiert ist, die negativen Folgen von hoher Inflation und weltweiter Energiekrise für die türkische Bevölkerung zu mildern. Diese leidet unter der hohen Geldentwertung und der immensen Verteuerung von Wohnraum bei einer Lohnentwicklung, die hinterherhinkt. Mit Blick auf die Notenbank dürfte das entweder auf ein stabiles Zinsniveau oder sogar weitere Zinssenkungen hinauslaufen, Zinserhöhungen sind eigentlich undenkbar. Die Inflation zu­nächst wieder anheizen könnte auch die aus sozialen Gründen durchaus verständliche jüngste Entscheidung der Regierung, die Bezüge der aktiven und pensionierten Staatsbediensteten um 30% zu erhöhen. Erdogan hatte sich auch dafür ausgesprochen, dass es im ersten Halbjahr 2023 in der Türkei Gehaltserhöhungen von 25% geben solle. Die Regierung hatte bereits den Mindestlohn angehoben und das Mindestalter für den Eintritt in die Rente aufgehoben.

Wenngleich es für die Türkei und die türkische Währung kurzfristig noch neue Belastungen geben könnte, langfristig sind die Aussichten für die türkische Wirtschaft nicht schlecht. Die Türkei bietet sich als langfristiges Investitionsziel an, was die Lira auf längere Sicht stärken sollte.