Risikokultur wird als Thema in Banken wichtiger

Beim Risikomanagement standen für Banken und deren Aufsichtsbehörden lange Zeit vor allem Kredit-, Markt- und Liquiditätsrisiken im Vordergrund. Seit der Finanzkrise 2008 hat sich dies jedoch stark geändert, und nichtfinanzielle Risiken (NFR) wie...

Risikokultur wird als Thema in Banken wichtiger

Von Dr. Thomas Poppensieker

Beim Risikomanagement standen für Banken und deren Aufsichtsbehörden lange Zeit vor allem Kredit-, Markt- und Liquiditätsrisiken im Vordergrund. Seit der Finanzkrise 2008 hat sich dies jedoch stark geändert, und nichtfinanzielle Risiken (NFR) wie etwa Conduct, Compliance und Reputationsrisiken sind zu zentralen strategischen Schwerpunktthema für Banken und Regulatoren in Europa avanciert.

Stellenwert unbestritten

In der Folge sind die rahmengebenden NFR-Themen- und Handlungsfelder Risikokultur und Risikoappetit als Schlüsselelemente des regulatorisch für Banken geforderten Risk Governance Framework in den Fokus der Institute gerückt. Darüber hinaus hat auch der Stellenwert von NFR im aktiven operativen Risikomanagement von Banken zur granularen Steuerung von Risikoprozessen stark zugenommen. Mit anderen Worten: Um einem Risikomanager eine effektive NFR-Steuerung zu ermöglichen, ist es zwingend erforderlich, die NFR ganzheitlich in die Organisations- und Governance­struktur sowie in den Risikoappetit zu integrieren. Ein Kernelement für die grundlegende Verankerung des gewünschten Umgangs mit Risiken aller Art ist die Risikokultur. Ihr Stellenwert für ein effektives Risikomanagementsystem in der Bankenlandschaft ist unbestritten. Initiativen zur Stärkung der Risikokultur werden daher von den Instituten immer häufiger ergriffen und beziehen meist die gesamte Organisation der Institute mit ein.

Für ein effektives NFR-Risikomanagement ist es erfolgskritisch, dass die drei Schlüsselelemente des Risk Governance Framework – Governance, Risikoappetit und Risikokultur – ineinandergreifen. Dazu sollten Banken bei der Entwicklung ihrer NFR-Steuerung nicht nur ihre Strukturen für finanzielle Risiken spiegeln, sondern auch dedizierte eigene Strukturen, Limits und Kontrollen definieren. Es gilt, ein einheitliches Verständnis innerhalb eines Instituts zu etablieren sowie NFR quantifizier- und damit messbar in die Bankprozesse zu integrieren.

Rahmengebend dafür sind die gesteigerten regulatorischen Erwartungen sowohl seitens des Finanzstabilitätsrats (FSB) und der EU-Bankenaufsicht EBA als auch von der Finanzaufsicht BaFin direkt: Transparente Governance, ein konsequent definierter und befolgter Risikoappetit und eine detailliert ausgestaltete Risikokultur bilden das Grundgerüst der Erwartungshaltung – wenngleich Positionspapiere und Working Paper der Institutionen mit konkreten Maßnahmenvorschlägen durchaus noch weiter ins Detail gehen sollten.

Somit besteht für die Banken ein doppelter Anreiz, NFR konsequent in die relevanten Elemente des Risikomanagements zu integrieren, zu messen und entlang ihrer Prozesse zu steuern: zum einen die regulatorische Erwartung, die die Erfüllung der Mindeststandards einfordert, und zum anderen – und was anreizmäßig noch wichtiger scheint – der Selbstanspruch der Institute, effektives operatives Risikomanagement entlang aller Bankprozesse möglichst wirksam und zielführend geltend zu machen.

Orientierung geschaffen

Vor diesem Hintergrund hat der NFR-Arbeitskreis des Frankfurter Instituts für Risikomanagement und Regulierung (FIRM) im Verlauf des Jahres 2022 den Status quo in den Banken bei der Umsetzung/Entwicklung der Risikokultur sowie bei der NFR-Integration in Risikoappetit und -toleranz ausgehend von zwei dedizierten Umfragen unter den FIRM-Mitgliedsinstituten vertieft untersucht. Ziel war es, den Status quo bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Risikokultur und des Risikoappetits in den FIRM-Mitgliedsinstituten zu erheben und daraus mögliche Handlungsfelder zum Erschließen von Effektivitäts- und Effizienzpotenzialen abzuleiten. Eine Übersicht zu den gewonnenen Ergebnissen und Perspektiven geben die beiden Übersichtsbeiträge von Susanne Maurenbrecher und Norbert Gittfried. Mit ihrer Teilnahme an den Umfragen haben die Institute orientierungstiftende Einblicke in ihre Herangehensweise, Erwartungen und Positionierung beim NFR-Risikomanagement erlaubt. Gleichzeitig ergibt sich ein klares Bild zum Abgleich der gelebten Praxis mit regulatorischer Erwartung sowie eine Perspektive auf zielführende Handlungsansätze in naher Zukunft.

Lehren aus der Krise

Dass es Handlungsansätze braucht, steht außer Frage. Viele Banken sind im „Stresstest“ der Pandemie widerstandsfähiger gegen unerwartete Umstände geworden, insbesondere aufgrund ihres Umgangs mit NFR. Jetzt gilt es, die richtigen Schlüsse aus der bislang erfolgreichen Bewältigung der Pandemie zu ziehen, um auf die nächste Krise (bei der es sich nicht um eine Pandemie handeln muss, wie uns die aktuelle geopolitische Lage verdeutlicht) noch besser vorbereitet zu sein. Mit anderen Worten: Neue geopolitische Unwägbarkeiten machen einen konsequenten Umgang mit NFR weiterhin unabdinglich.