Urteil

Die nächste Phase der Cum-Ex-Aufar­beitung beginnt

Mit dem Cum-ex-Urteil gegen Hanno Berger ist ein Meilenstein gesetzt. Jetzt muss die Aufklärung stärker in die Breite gehen.

Die nächste Phase der Cum-Ex-Aufar­beitung beginnt

Große Wirtschaftsprozesse haben in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen bestimmt. Mit Ex-Wirecard-Chef Markus Braun steht in München ein einst bewunderter Dax-Manager vor Gericht. Der am Dienstag wegen Cum-ex-Geschäften vom Landgericht Bonn zu acht Jahren Haft verurteilte Hanno Berger galt früher als aggressiver, gleichwohl angesehener Starjurist in Steuersachen.

Es scheint, als könnten journalistisch bewanderte Juristen in deutschen Wirtschaftsredaktionen bald gesucht sein. Denn das Urteil gegen Berger markiert den Beginn einer neuen Phase in der Aufarbeitung des Cum-ex-Steuerskandals, der über viele Jahre zu einem unfassbar hohen Schaden für den Fiskus in zweistelliger Milliardenhöhe geführt hat.

Erstmals hat die Justiz mit Berger einen der maßgeblichen Akteure der illegalen abgesprochenen Aktienkreisgeschäfte rund um den Dividendenstichtag zur Verantwortung gezogen, der nicht mit den Behörden kooperiert hat. Zum Auftakt der Cum-ex-Strafverfahren hatte in den Jahren 2019 und 2020 zwar mit Martin S. ein britischer Aktienhändler vor Gericht gestanden, der tief in die Geschäfte verstrickt und eine Vielzahl von Deals orchestriert hatte, doch hatte S. umfangreich mit den Ermittlern kooperiert und viel Aufklärungshilfe geleistet. Sein volles Geständnis hatte das Verfahren zu einem vergleichsweise einfachen Fall für die Justiz gemacht. In den bisherigen weiteren abgeschlossenen Cum-ex-Verfahren – zwei in Bonn, eins vor dem Landgericht Wiesbaden – waren danach Banker aus der zweiten Reihe verurteilt worden.

Mit dem Urteil gegen Berger, bei dem das Gericht sämtliche Vorwürfe aus der Anklageschrift als nahezu vollständig erwiesen ansah, blieben die Bonner Richter nur ein Jahr unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Der Prozess hat gezeigt, wie gut die Ermittler mittlerweile im Bilde sind und anhand von unzähligen Dokumenten und Mails sowie Zeugenaussagen nachweisen können, wer wann was mit wem abgesprochen hat. Die Message ist klar: Auch für juristisch top vertretene Ex-Bankchefs rücken Verfahren näher – und über die künftige Prozessstrategie dürfte sich so manch ein Cum-ex-Akteur jetzt noch einmal Gedanken machen.

Der bislang erfahrenste Cum-ex-Strafrichter Roland Zickler, der mit seiner Kammer vier der fünf Urteile gesprochen hat, hat den Angeklagten durchaus Brücken gebaut. Hanno Berger mochte indes nicht ganz hinübergehen und wich am Ende auch nochmal einige Schritte zurück. Sein Teilgeständnis hat er im Laufe des Prozesses immer weiter relativiert – ein Unrechtsbewusstsein konnte die Kammer kaum erkennen.

Ein exorbitant kritischer Punkt sind die Rückzahlungen. Schwere Steuerhinterziehung hat als finanzielles Delikt den Vorteil, dass der Schaden anders als bei Körperverletzung oder gar Mord später in weiten Teilen wieder gutgemacht und geheilt werden kann – indem das unrechtmäßig erworbene Geld an den Fiskus zurückgezahlt wird. Doch es scheint Menschen zu geben, die sich lieber von ihrer Freiheit als von ihrem Geld trennen. Hanno Berger wollte dem Gericht weismachen, mittlerweile völlig mittellos zu sein – geglaubt wurde ihm nicht. Ein wichtiger strafmildernder Aspekt kam damit nicht zum Tragen.

Die Justiz setzt jetzt an, endlich in die Breite zu gehen, was die Cum-ex-Verfahren angeht. Die Ankündigung, in Siegburg nahe Bonn dafür ein neues Gerichtsgebäude zu errichten, ist sowohl ein gutes als auch ein schlechtes Zeichen: Denn einerseits bedeutet das, dass die Aufarbeitung des Milliardenbetrugs, in den eine erschreckend hohe Zahl deutscher Banken involviert sind, endlich richtig in Schwung kommen dürfte. Andererseits wird der Bau einige Zeit dauern, und so ziehen wieder Monate bis Jahre ins Land, bevor Cum-ex-Täter zur Rechenschaft gezogen werden.

Wirklich wünschenswert ist, dass angesichts von mehr als 1 500 Beschuldigten jetzt nicht nur zügig weitere Verfahren starten, sondern auch mehr Cum-ex-Fälle aufgegriffen und aufgeklärt werden. Denn über die meisten Cum-ex-Geschäfte ist in Details bislang wenig bekannt. Das gilt insbesondere auch für die Cum-ex-Transaktionen der Landesbanken, allen voran der WestLB. Hier haben öffentliche Banken daran partizipiert, ihre eigenen Eigentümer schwer zu schädigen. Die strafrechtliche Aufarbeitung sollte nicht mehr zu lange auf sich warten lassen. Das ist auch eine Frage des Vertrauens in die Unabhängigkeit staatlicher Institutionen.

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