Frankreichs Premierministerin

Die schwierigen Aufgaben für Élisabeth Borne kommen erst

Die Skepsis war groß, als Präsident Macron Élisabeth Borne zur Regierungschefin ernannte. In der zweiten Hälfte ihres ersten Amtsjahres erwarten sie eine Reihe von Bewährungsproben.

Die schwierigen Aufgaben für Élisabeth Borne kommen erst

Mehr als ein halbes Jahr ist es bereits her, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Élisabeth Borne zur Premierministerin ernannt und damit zur zweiten Frau an der Spitze einer französischen Regierung gemacht hat. Dennoch hat die Berufung der gemäßigten, links-zentristisch orientierten Politikerin auf internationaler Ebene für weniger Schlagzeilen gesorgt als der Antritt Giorgia Melonis in Italien. In Frankreich selbst war die Skepsis groß, denn Borne war nur die zweite Wahl Macrons, der lieber Catherine Vautrin von den Republikanern als Premierministerin gesehen hätte. Als die Regierungspartei Renaissance dann auch noch gut einen Monat nach Bornes Berufung bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit in der Assemblée Nationale verlor, nahmen die Zweifel, wie lange sie sich halten könne, weiter zu. Sie sei zu technokratisch und zu weit links, um Stimmen aus dem konservativen Lager zu mobilisieren, für die Linke dagegen zu streng, bemängeln Kritiker. Es mangele ihr an Charisma, um die Bevölkerung für die Regierungspolitik zu begeistern.

Entgegen allen Unkenrufen ist Élisabeth Borne noch immer im Amt. Weder Kritik noch Misstrauensanträge konnten sie bisher aus der Ruhe bringen. In den letzten Monaten hat sie bereits Inflationsmaßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft und eine Reform der Arbeitslosenversicherung auf den Weg gebracht. „Madame 49.3“ wird Borne inzwischen genannt, denn für den Haushaltsentwurf für 2023 und das Budget der Sozialversicherung hat sie bereits achtmal von Artikel 49.3 der Verfassung Gebrauch gemacht. Dieser Artikel ermöglicht es, Gesetzestexte ohne vorherige Abstimmung zu verabschieden. Denn die Opposition hatte mehr als 3500 Änderungsanträge eingereicht.

Um das Haushaltsgesetz endgültig durchzusetzen, dürfte Borne am 15. Dezember erneut auf Artikel 49.3 zurückgreifen. Die Opposition kann dann einen neuen Misstrauensantrag stellen. Allerdings sind die Chancen, dass sie damit durchkommt, gering, da sich dafür die drei Oppositionsgruppen zusammentun müssten: Das Linksbündnis Nupes (La France Insoumise, Grüne, Kommunisten und Sozialisten), die konservativen Republikaner und der rechtsextreme Rassemblement National. Bisher decken sich die von ihnen verfolgten politischen Ziele nicht. Daran dürfte sich zumindest in absehbarer Zeit nichts ändern.

Dennoch erwarten Borne in der zweiten Hälfte ihres ersten Amtsjahres eine Reihe von Herausforderungen. Die wirklich schwierigen Aufgaben stehen erst an. Dazu gehören neben der von Präsident Macron gewünschten Rentenreform drohende Stromabschaltungen im Winter, Gesetze für Immigration und erneuerbare Energien und die hohe Inflation. Die ist zwar mit 6,2% deutlich niedriger als bei vielen Nachbarn, doch Franzosen empfinden sie als weit höher, als sie tatsächlich ist. Der Unmut über den Preisanstieg könnte die Gelbwesten erneut auf die Straßen treiben. Die Streiks zur Durchsetzung höherer Löhne, zu denen es in den letzten Wochen bereits in diversen Unternehmen gekommen ist, liefern schon einen kleinen Vorgeschmack.

Gleichzeitig haben die Gewerkschaften bereits ihren Widerstand angekündigt, um die geplante Rentenreform zu verhindern. Erste Streiks und Proteste sind für Januar geplant. Bisher hat in Frankreich jedes noch so kleine Reförmchen des Rentensystems zu heftigen Protesten geführt. Bornes Regierung muss deshalb befürchten, dass die Gewerkschaften erneut strategische Bereiche wie den öffentlichen Verkehr, Raffinerien und Stromversorger blockieren werden. Da bei der kommunistischen CGT im März ein Nachfolger für den bisherigen Gewerkschaftsführer Philippe Martinez gewählt werden soll, könnten radikale Strömungen versucht sein, ihre Macht mit Hilfe von neuen Protestaktionen zu demonstrieren.

Frankreichs Regierungschefin steht ein harter Winter mit ihrer eigentlichen Feuertaufe bevor. Die Proteste sind jedoch nicht das einzige Ungemach, das ihr droht. Denn das abgeschwächte Wachstum könnte ihren finanziellen Spielraum zusammen mit den Inflationshilfen für Haushalte und Unternehmen erheblich einschränken, vor allem wenn sich die geplanten Reformen verzögern und wenn es ihr nicht gelingt, die hohe Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Sie betrug zuletzt 113% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das Beispiel der vorigen britischen Regierung hat gezeigt, dass die Märkte nicht bereit sind, alles zu akzeptieren. Das sollte Borne in Erinnerung behalten.

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