Mailand

Italiens Strandbad­­betreiber fürchten um ihre Pfründe

Die Strandbadkonzessionäre haben eine starke Lobby – und seit jeher die Unterstützung der Berlusconi-Partei Forza Italia sowie der Lega von Matteo Salvini. Beide Parteien sitzen mit Fratelli d’Italia, der Partei von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, in der Regierung.

Italiens Strandbad­­betreiber fürchten um ihre Pfründe

Überall an Italiens mehr als 8000 Kilometer langen Küsten wird in diesen Tagen und Wochen eifrig gewerkelt und gehämmert. Die Pächter der 7173 Strandbäder des Landes bereiten sich auf die neue Saison vor und wollen alles auf Vordermann bringen. So eine Strandbadkonzession ist eine feine Sache für einen Pächter, der manchmal nur einige Hundert Euro im Jahr, maximal aber 15000 Euro zahlt. Die Einnahmen sind enorm. An manchen Orten zahlen die Gäste in der Hochsaison bis zu 1100 Euro für zwei Liegestühle, Sonnenschirm und Handtücher – pro Tag.

Kein Wunder, dass die Betreiber ihre Konzessionen, die sie häufig auf undurchsichtige Weise erhalten haben, über Jahrzehnte behalten und oft weitervererben. Die Investitionen sind überschaubar, auch wenn häufig schwarz ein paar Strukturen dazugebaut worden sind. Pächter und Gäste kennen sich bisweilen seit Generationen. In den Strandbädern entstanden Freundschaften, Ehen und Affären, werden Geschäfte abgeschlossen und ganze Wochen und Abende verbracht.

So könnte es noch Jahrzehnte weitergehen, wäre da nur nicht die böse EU. Sie fordert Italien seit 2006 auf, die Bolkestein-Richtlinie zur Liberalisierung der Dienstleistungen umzusetzen und die Konzessionen regelmäßig neu auszuschreiben. Doch italienische Regierungen haben dies in der Vergangenheit regelmäßig verhindert. Auch der angebliche Reformer Mario Draghi hatte die Umsetzung verzögert, so wie er sich nicht traute, die für den Staat extrem teure und für Private sehr attraktive ökologische Sanierung von Gebäuden zu beenden.

Die Strandbadkonzessionäre haben eine starke Lobby – und seit jeher die Unterstützung der Berlusconi-Partei Forza Italia sowie der Lega von Matteo Salvini. Beide Parteien sitzen mit Fratelli d’Italia, der Partei von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, in der Regierung. Und diese Regierung wollte auf Betreiben von Lega und Forza Italia die bestehende Regelung erneut verlängern – zunächst bis Ende 2024, aber mit der Möglichkeit einer weiteren Verlängerung. Staatspräsident Sergio Mattarella hat das nun verhindert. Nach seiner Ansicht ist dies nicht kompatibel mit dem europäischen Recht. Mattarella hat deshalb ein entsprechendes Gesetzesdekret, das auch noch viele andere Bestimmungen enthält, nur unter Vorbehalt unterzeichnet.

Die EU-Sprecherin Sonya Gospodinova kündigte an, man werde das Gesetz analysieren. Die Europäische Union hat wiederholt eine Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht sowie ein transparentes Verfahren und faire Konkurrenz angemahnt. „Die sollen sich in Brüssel um Wichtigeres kümmern“, sagt dagegen Senats-Vizepräsident Maurizio Gasparri von der Forza Italia. Strandbadbetreiber seien „strategische Investoren für den Tourismus“.

Doch Meloni und ihren Koalitionspartnern bleibt nichts anderes übrig, als nachzubessern. Denn die EU hat schon 2020 ein Verfahren gegen Italien eingeleitet, und es droht ein Vertragsverletzungsverfahren. Schon in den nächsten Wochen könnte es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes geben.

Für Meloni und Italien steht viel auf dem Spiel. Denn die Ministerpräsidentin, die selbst durchaus kompromissbereit ist, will viel von der EU. Sie will einen neuen Hilfsfonds, der durch gemeinsame europäische Schuldenaufnahme finanziert werden soll. Sie will eine Überarbeitung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Sie will Entgegenkommen Brüssels bei den großzügigen Hilfen für den Bausektor und beim europäischen Aufbauprogramm, dessen größter Nutznießer Italien ist, das die Gelder aber nicht ausgeben kann.

Da ist es psychologisch alles andere als gut, wenn sich Italien nicht an europäische Regeln hält – ob bei den Strandbädern, im Taximarkt oder bei der Zahlung des Grundeinkommens, die Rom an die Bedingung geknüpft hat, dass die Bezieher mindestens zehn Jahre im Land sein müssen, was Italien eine Abmahnung der Europäischen Union eingebracht hat. Fehlende Konkurrenz ist für die Strandbadbetreiber sicherlich bequem. Doch dass Italien Wettbewerb nicht fürchten muss, zeigen andere Zahlen. Italiens Wirtschaft hat 2022 Waren und Dienstleistungen im Wert von mehr als 600 Mrd. Euro exportiert. (Börsen-Zeitung, 1.3.2023)

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