Anlagevehikel

Kater­stimmung am Spac-Markt

Wer, wie die Zeichner des „Freedom“-Spacs ohne Verluste davonkommt, hat schon überdurchschnittlich abgeschnitten. Mit dem Ende des billigen Geldes versandet auch der Boom der Blankoscheck-Firmen.

Kater­stimmung am Spac-Markt

Dem trüben Börsenklima zum Trotz gibt es selbst an der Wall Street immer noch gute Gelegenheiten, die Champagnerkorken knallen zu lassen. Eine solche bietet sich gerade dem früheren Credit-Suisse-Chef Tidjane Thiam und dessen damaligem Kommunikationsmann Adam Gishen. Die beiden feiern dieser Tage die erfolgreiche Übernahme der kalifornischen Solartechnikfirma Complete Solaria. Im Vergleich zu der Rolle, die Thiam einst als Manager der Schweizer Großbank spielte, mag der 500-Mill.-Dollar-Deal mit einem amerikanischen Mittelstandsunternehmen auf den ersten Blick wie Kinderkram erscheinen. Doch mit diesem einzelnen Geschäft dürfte das Duo auf einen Schlag erheblich mehr Geld verdienen als das, was ihre immerhin recht üppigen Jahresgehälter einst bei der Credit Suisse hergaben.

Genau genommen wurde Complete Solaria gar nicht übernommen. Das Unternehmen fusionierte vielmehr mit einem Investmentvehikel namens „Freedom“, das Thiam und Gishen im Februar 2021 ohne Inhalt, aber mit dem Versprechen an die New Yorker Börse brachten, binnen zwei Jahren eine wertmehrende Übernahme zu tätigen. Allein aufgrund dieses Versprechens konnte die Firma 345 Mill. Dollar bei einem breiten Investorenpublikum einsammeln. Die Publikumsanleger stellten den Freedom-Sponsoren quasi einen Blankoscheck zur Finanzierung einer Akquisition aus. Deshalb heißen Börsenvehikel wie Freedom offiziell „Special Purpose Acquisition Companies“ oder kurz Spacs.

Spacs entfachten in den vergangenen Jahren ein veritables Feuerwerk an der Wall Street. 2019 sammelten die Vehikel mittels Börsengängen 13 Mrd. Dollar beim Publikum ein. 2020 waren es bereits über 80 Mrd. Dollar und 2021 schon fast 150 Mrd. Dollar. Rund 900 meist junge Kleinunternehmen fanden in diesen drei Jahren via Spacs den Weg an die US-Börsen. Und die Welle schwappte, wenn auch mit verminderter Wucht, auf die europäischen Börsenplätze in Paris, Amsterdam und London herüber.

Es war sozusagen der Schlussakkord im großen globalen Börsenfeuerwerk, das vom ultrabilligen Notenbankgeld entfacht worden war. Dieselben Notenbanken sind nun mitverantwortlich, dass das Spektakel bald nur noch eine Randerscheinung ist. Im laufenden Jahr sammelten Spacs gerade noch knapp 13 Mrd. Dollar ein. Die Zahl der Börsennotierungen sackte von 447 im Vorjahr auf nur mehr rund 80 in den ersten zehn Monaten des laufenden Jahres zusammen.

Mehr noch: Rund 30 Spacs haben sich im laufenden Jahr selber aufgelöst und ein bereits eingesammeltes Kapital von um die 13 Mrd. Dollar an die Anleger zurückbezahlt, wie der Webseite von „Spac Research“ zu entnehmen ist. Auf diese Weise beerdigten in den vergangenen Monaten auch Wall-Street-Größen wie der Hedgefonds-Manager Bill Ackman milliardenschwere Spac-Projekte. Die Marktbedingungen seien schlecht und geeignete Übernahmeobjekte in nützlicher Frist nicht auffindbar, hieß es zur Begründung.

Das eine ergibt das andere. Aktien, die über Spacs in den öffentlichen Handel gelangten, haben im laufenden Jahr im Durchschnitt 40 % ihres Wertes verloren – doppelt so viel wie der breite US-Aktienindex S&P 500. Im Vergleich zum Höhepunkt des Spac-Booms im Februar 2021 beläuft sich der durchschnittliche Kurseinbruch sogar auf 80 %.

So gesehen sind die Publikumsaktionäre, die Thiams „Freedom“-Spac gezeichnet haben, schon fast beneidenswert gut gefahren. Sie haben ihren Eintritt in das Abenteuer im Februar 2021 mit 10 Dollar pro Freedom-Aktie bezahlt und der Gesellschaft so 345 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt. 20 Monate später sind die Titel immer noch fast gleich viel wert wie am Anfang. Thiam und seine Co-Sponsoren liessen sich für die Mobilisierung der Publikumsaktionäre mit einer Beteiligung von knapp 20 % am Kapital von Freedom entschädigen – zum Preis von 25 000 Dollar. Der Börsenwert dieser Beteiligung liegt aktuell bei über 80 Mill. Dollar.

Für Spac-Sponsoren sind astronomische Renditen auch in dieser Höhe die Normalität. In den einschlägigen Finanzkreisen werden sie als gerechter Lohn für eine Leistung gesehen, die kleinen Firmen einen raschen, unbürokratischen und im Vergleich zur herkömmlichen Publikumsöffnung günstigeren Börsengang ermöglichen.

Branchenkritiker wie Senatorin Elizabeth Warren aus Massachusetts, die 2020 um die US-Präsidentschaft buhlte, sehen Spacs dagegen als Selbstbereicherungsinstrumente für eine kleine Elite von Wall-Street-Insidern, die das breite Investorenpublikum systematisch übervorteile. In einer im Mai dieses Jahres veröffentlichten Untersuchung unter dem Titel „The Spac Hack: How Spacs Tilt the Playing Field and Enrich Wall Street Insiders“, zeigt die Finanzpolitikerin auf, dass Spacs die mit Firmenübernahmen anvisierten und aggressiv vermarkteten Wachstumsziele in sehr vielen Fällen gänzlich verfehlen und den Publikumsanlegern hohe Verluste bescheren.

Ungleiche Risikoverteilung

Dem Geschäftsmodell von Spacs lägen fehlgeleitete Anreizstrukturen zu Grunde, die einerseits zu einer ungleichen Verteilung von Risiken und Chancen zwischen Sponsoren und Publikumsaktionären führten, anderseits aber auch eine Häufung qualitativ schlechter Transaktionen zur Folge hätten, die von den Sponsoren umso dreister vermarktet würden.

Warrens Bericht bringt auch den ehemaligen Credit-Suisse-Verwaltungsrat Michael Klein prominent zur Sprache. Der Banker, der die Leitung der abzuspaltenden Investmentbank CS First Boston übernehmen soll, habe als Spac-Sponsor habe Klein mehr als 50 Mill. Dollar an Beratungshonoraren in seine eigene Firma umgeleitet. Mit einer von Klein gesponserten Firma namens Multi-Plan habe dieser einen praktisch risikofreien Gewinn in Höhe von mehr als 100 Mill. Dollar eingestrichen, während die Publikumsanleger fast 50 % ihres Einsatzes verloren, heißt es in dem Papier.

Elizabeth Warren gehört denn auch zu den stärksten und prominentesten Befürworterinnen einer verschärften Regulierung gemäß der im Frühjahr von der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC in die öffentliche Anhörung geschickten Vorschläge. Die Regulatoren wollen die Spacs zu deutlich mehr Transparenz zwingen und die Maximaldauer bis zum Abschluss einer Übernahme verkürzen. Spacs seien eine Alternative zu herkömmlichen Börsengängen, aber die Investoren verdienten einen Schutz, wie sie ihn auch von einem traditionellen Börsengang erwarteten könnten, begründet die SEC ihren Vorschlag. Wie es scheint, haben Spacs an der Wall Street bald ausgedient. Richtig landen konnten diese obskuren Börsenvehikel in Europa nie. Dem guten Ruf der Finanzplätze hat dies freilich kaum geschadet.

Von Daniel Zulauf, Zürich

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