Unterm Strich

Zeit für Cash-out bei Big Oil

Die Rekordgewinne von Big Oil haben auch ihr Gutes: Sie füllen Staat und Aktionären die Kassen, um in erneuerbare Energien zu investieren.

Zeit für Cash-out bei Big Oil

Ausgerechnet in einer Zeit, in der der Umstieg von fossilen zu erneuerbaren Energien so dringlich wie nie zuvor erscheint, fährt Big Oil die dicksten Gewinne des Erdölzeitalters ein und scheint auch für die Zukunft auf Öl und Gas setzen zu wollen. Allein die fünf größten westlichen Öl- und Gaskonzerne ExxonMobil, Chevron, Shell, BP und Total haben 2022 unterm Strich Gewinne von zusammen fast 200 Mrd. Dollar gemacht. Doppel-Wumms also. Da gerät man schnell ins Grübeln über die gesellschaftlich gewünschte Allokation von Ressourcen. Und es fällt schwer, in diesem Zusammenhang nicht von „Übergewinnen“ zu sprechen. Denn die Rekordgewinne sind natürlich Folge des Kriegs Russlands gegen die Ukraine und der dadurch in die Höhe getriebenen Energiepreise.

Volle Kassen

Die britische Nichtregierungsorganisation Global Witness hat beides umgehend verknüpft und festgestellt, dass beispielsweise der Total-Gewinn von 34 Mrd. Euro in Summe den militärischen und finanziellen Hilfen der EU und ihrer einzelnen Mitgliedstaaten für die Ukraine entspreche. Und dass der Exxon-Jahresgewinn von 56 Mrd. Dollar um 7 Mrd. Dollar über den bisher von der US-Regierung an die Ukraine gezahlten Hilfsgeldern liege. Aber ehe die Aktionäre von Big Oil als geldgierige Kriegsgewinnler verteufelt werden, gilt es daran zu erinnern, dass noch größere Gewinne die staatlichen Öl- und Gaskonzerne eingefahren haben, von Saudi-Arabiens Aramco über die russische Gazprom bis zu Norwegens Equinor.

Dass der Ausweis rekordhoher Gewinne fossiler Energiekonzerne in diesen Zeiten nicht per se ein schlechtes Zeichen sein muss, lässt sich am Beispiel Equinor zeigen. Der zu zwei Dritteln vom norwegischen Staat kontrollierte Öl- und Gaskonzern, einst aus Statoil und Norsk Hydro hervorgegangen, hat dieser Tage einen Jahresgewinn vor Steuern von 75 Mrd. Dollar gemeldet. Gut doppelt so viel wie im bisherigen Rekordjahr 2008 mit 36 Mrd. Dollar, als die Ölpreise auf mehr als 140 Dollar pro Barrel gestiegen waren.

Gut so, muss man sagen, denn erstens haben die auch 2022 phasenweise rekordhohen Energiepreise zu verstärkten Einsparungen fossiler Energie geführt und zweitens nach Wegfall der russischen Lieferungen den Energiekonzernen geholfen, die Versorgungslage in Europa zu stabilisieren. Equinor kann überdies darauf verweisen, dass Norwegens Bürger gleich doppelt am Supergewinn beteiligt sind. Erstens winken ihnen beziehungsweise dem Staat als Aktionär Dividendenerhöhungen, eine Sonderausschüttung und Aktienrückkäufe, zweitens schöpft der Staat rund 70% des Gewinns als Steuer ab. Zum Vergleich: Bei BP und Shell sind es effektiv etwa 34%.

Die Rekordgewinne von Big Oil haben aber noch eine andere Ursache. Sie sind auch Folge der Transformation in Richtung klimaneutrale Wirtschaft, zu der sich die Konzerne verpflichtet hatten, wenn auch zähneknirschend und in den USA weniger klar als in Europa. Die hohen Gewinne spiegeln schrumpfende Investitionen in Exploration und Verarbeitungskapazitäten von Öl und Gas. Denn zumindest BP und Shell hatten deutliche Kürzungen ihrer fossilen Produktion angekündigt und in der Pandemie heruntergefahrene Anlagen stillgelegt, um die Emissionen zu reduzieren – um bis zu 40% bis zum Jahr 2030. Dass nach dem Rekordjahr 2022, in dem die weniger auf erneuerbare Energie verpflichteten US-Wettbewerber Exxon und Chevron signifikant höhere Margen erzielten als Shell, BP oder Total, die europäischen Konzerne die zugesagte Drosselung ihrer Öl- und Gasproduktion lockern und zeitlich strecken wollen, kann deshalb nicht überraschen. Den Löffel nicht hinauszuhalten, wenn es Brei regnet, würde wohl von den Aktionären als Managementversagen gewertet, so die Sorge der Konzernlenker. Und mit dem klassischen Öl- und Gasgeschäft sowie dem insbesondere dank der europäischen Nachfrage boomenden LNG-Absatz lassen sich bis auf weiteres deutlich höhere Margen erwirtschaften als mit dem Zukunftsgeschäft der erneuerbaren Energien und Lösungen zum Energiesparen.

Stakeholder gefordert

Umso wichtiger ist es nun, dass die Stakeholder – vom Staat über die Aktionäre bis zu den Kunden – einem solchen, nur die kurzfristige Rendite in den Blick nehmenden Kurswechsel die rote Karte zeigen. Grün reden, aber braun investieren – das gilt es zu verhindern. Nachdem die Windfall Tax in Großbritannien und die inzwischen EU-weit geltende Übergewinnsteuer in ihrer Lenkungswirkung begrenzt sind, liegt es vor allem an den Aktionären, die von den fossilen Energiekonzernen versprochene grüne Transformation einzufordern. Das sollte nicht einigen aktivistischen Aktionären oder NGO-Vertretern überlassen bleiben, sondern Anliegen der großen institutionellen Investoren wie Blackrock und Vanguard, aber auch von Staatsfonds und Pensionskassen sein.

Zurück an die Aktionäre

Offenkundig tut sich Big Oil bisher schwer, die zig Milliarden schweren Investitionsströme von Öl und Gas konzernintern auf etwas weniger Rendite bringende erneuerbare Energien und Lösungen zur Dekarbonisierung umzulenken. Lieber bieten die Konzerne höhere Dividenden und Aktienrückkäufe an, geben also den Eigentümern die Entscheidung über die Mittelverwendung zurück. Bei Shell beispielsweise waren dies im vergangenen Jahr mit 26 Mrd. Dollar Dividenden und Aktienrückkäufen mehr als die 25 Mrd. Dollar, die investiert wurden. Wenn dem Management nichts mehr einfällt – auch gut. Die Aktionäre sollten diesen Weg annehmen und forcieren. Eine solche Form des Cash-out unterstützt die Allokation von Kapital durch den Markt. Es ist dann Sache der Aktionäre, diese Gelder in Clean-Tech oder andere Assets zu reinvestieren.

c.doering@boersen-zeitung.de

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.