Präsidentschaftsvorwahlen

Argentinien stellt die Weichen neu

Argentinien trifft am Sonntag die Vorentscheidung zur Präsidentschaftswahl im Oktober. Die Opposition ist uneins. Für Finanzminister Massa hingegen wird der IWF zum Wahlrisiko. Am Ende könnte ein Außenseiter profitieren.

Argentinien stellt die Weichen neu

Argentinien stellt die Weichen neu

Vorwahlen am Sonntag – Opposition uneins über Personal und Strategie – Finanzminister Massa mit guten Chancen auf Präsidentschaftskandidatur

Von Andreas Fink, Buenos Aires

Inmitten einer schweren Krise werden die Argentinier am Sonntag die Weichen für die Zukunft ihres Landes stellen. In den „offenen, gleichzeitigen und obligatorischen Vorwahlen“ (PASO) sollen die Bürger jene Bewerber bestimmen, die dann am 22. Oktober für das oberste Staatsamt sowie mehrere Gouverneursposten in den Provinzen kandidieren werden. Die PASO waren in den letzten zwei Wahljahren deutliche Wegweiser für die definitiven Urnengänge. Ihre Resultate lösten zum Teil heftige Reaktionen auf den Märkten aus, so verlor der argentinische Peso nach der Vorwahl 2019 mehr als 50% seines Außenwertes, nach einem deutlichen Sieg der linkspopulistischen Peronisten.

Der allgemeine Zustand des Landes nach vier Jahren, in denen der Präsident Alberto Fernández deutlich weniger zu entscheiden hatte als seine Vize Cristina Kirchner, ist miserabel. Die Staatsfinanzen sind zerrüttet. Eine Rekorddürre im vorigen Sommer hat die Einnahmen aus den Argarexporten um etwa 21 Mrd. Dollar gedrückt. Das ist besonders tragisch, weil die Zentralbank schon vor den Ernteausfällen kaum noch flüssige Reserven zur Verfügung hatte. Nun sind sämtliche liquiden Rücklagen ausgegeben und die Regierung, der kein internationaler Geldgeber mehr Kredit geben will, hat bereits die Dollareinlagen der Sparer beliehen und angeblich auch das Gold in der Zentralbank, um Dollars zumindest für den Import von Industriegütern zu generieren.

Opposition uneins

Als letzte Hilfe bleibt nur die Notenpresse, aber das hat Folgen: Bei etwa 115% liegt mittlerweile die jährliche Inflationsrate, auf dem Schwarzmarkt stieg der Kurs des Dollar zuletzt täglich und ist inzwischen zehnmal so hoch wie zu Beginn des Experiments Fernández/Kirchner. Weite Teile der Bevölkerung sind in die Armut gerutscht, die auch viele Familien betrifft, in denen alle Mitglieder arbeiten. Im Großraum Buenos Aires wachsen inzwischen zwei von drei Kindern in Armut auf.

Vor dem Hintergrund dieser Misere wäre zu erwarten, dass die Vorwahlen mit einem deutlichen Sieg der Opposition enden. Aber das Bündnis „Gemeinsam für den Wandel“ ist sich uneins über Personal und Strategie. In den Vorwahlen werden der Hauptstadtbürgermeister Horacio Rodriguez Larreta und die frühere Ministerin für innere Sicherheit Patricia Bullrich antreten. Larreta will ein breites nationales Bündnis schaffen, um dem Land langfristig geltende Regeln zu geben und es aus seinem notorischen Taumel zu befreien. Hierbei will Larreta auch gemäßigte Peronisten beteiligen.

Das wiederum ist eine rote Linie für Patricia Bullrich, die den Peronismus aus ihrer Jugendzeit in der Links-Guerilla Montoneros gut kennt und diesen inzwischen leidenschaftlich ablehnt. Bullrich will ausmisten, und das schließt nicht nur hunderttausende Kirchner-treue Beamte ein, sondern auch mafiöse Gewerkschaftler und Unternehmer. Eine solche Werterevolution dürfte in dem chronisch reizbaren Land massive Proteste und permanenten Unfrieden auslösen.

IWF als Wahlrisiko für Massa

Und so erklärt sich, warum die Peronisten trotz aller Misere immer noch nicht chancenlos sind. Das liegt zum einen an der Treue des Anhangs von Cristina Kirchner. Und es liegt am voraussichtlichen Spitzenkandidaten. Der seit einem Jahr amtierende Finanzminister Sergio Massa ist ein Vollblutpolitiker und ein erfahrener Wahlkämpfer. Er trägt die Verantwortung für die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der nach der Umschuldung des Rekordkredits von 2018 alle drei Monate Kontrollen in Buenos Aires durchführt. Bis März konnte Massa die Proben überstehen, aber im Juni erfüllte er keine einzige Vorgabe und muss nun befürchten, dass der Fonds zwischen Vor- und Hauptwahl das Umschuldungsprogramm aussetzt. Der IWF verlangt von Massa drastische Reformen noch vor dem 22. Oktober, etwa eine deutliche Abwertung des offiziellen Peso-Kurses um mindestens 30%. Doch der argentinische Finanzminister weigert sich, denn das würde seine Wahlchancen zunichtemachen. Er hat stattdessen China um Kredit gebeten, den Emir von Katar sowie die in Caracas residierende Anden-Entwicklungsbank.

Argentiniens Finanzminister Sergio Massa will ins höchste Amt.

Außenseiter mit guten Chancen

Massas Erfolg wird vor allem von den Armenvierteln abhängen, die bislang stets eine Peronisten-Bastion waren. Doch die massive Verelendung kann bewirken, dass viele Arme nun einen Außenseiter wählen: Der Ökonom Javier Milei wettert gegen sämtliche Altparteien und will mit gewagten Schritten wie der Abschaffung der Zentralbank und der Einführung des Dollar das Land stabilisieren.

Sollte der selbst erklärte Anarcho-Liberale bei den Vorwahlen mehr als 20% einfahren, werden die beiden großen Lager im Oktober einen ernstzunehmenden Gegner bekommen. Seine Wahlkampfauftritte wirken wie eine Mischung aus Rockkonzert und evangelikalen Predigten. Milei macht internationalen Investoren deutlich mehr Angst als Massa, der als der wirtschaftsfreundlichste Peronist gilt. Am liebsten sähen viele Anleger eine Kooperation zwischen Massa und dem gemäßigten Oppositionellen Rodriguez Larreta.

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