Ukraine-Krise

Bundesregierung stoppt Nord Stream 2

Den westlichen Verbündeten Härte gegenüber Russland demonstrieren, ohne sofort auf Gaslieferungen zu verzichten: Das gelingt der Bundesregierung mit dem Stopp der Zertifizierung für Nord Stream 2. Russland reagiert gelassen.

Bundesregierung stoppt Nord Stream 2

cru Frankfurt

Mit dem Stopp des ohnehin schon verzögerten Zertifizierungsverfahrens für die zweite russische Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 gelingt es der Bundesregierung vermeintliche Härte zu demonstrieren – ohne dass deswegen gleich weniger Gas nach Deutschland fließt und die Energiepreise noch stärker steigen. Das Mittel zu diesem politischen Zweck ist ein verwaltungstechnischer Kniff.

Als Reaktion auf den Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine hat dazu das Bundeswirtschaftsministerium unter Minister Robert Habeck (Grüne) auf Anweisung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine bereits bestehende Bewertung des Sachverhalts zurückgezogen, ob die Erteilung der Zertifizierung des Transportnetzbetreibers die Sicherheit der Strom- und Gasversorgung in Deutschland und der EU gefährden kann. Das Ministerium wird innerhalb von frühestens zwölf Wochen eine neue – dieses Mal wohl negative – Einschätzung abgeben.

An diese Neubewertung ist dann auch die Bundesnetzagentur gebunden, die ihr eigenes Zertifizierungsverfahren für die Pipeline bereits aufgrund formaler Beanstandungen auf Eis gelegt hatte. „Man wird zu der vermuteten Einschränkung der Versorgungssicherheit denklogisch kommen, indem man unterstellt, dass die bestehenden Leitungen nicht mehr voll befüllt werden, wenn Nordstream 2 in Betrieb geht“, erwartet der Energierechtsexperte Wiegand Laubenstein, Rechtsanwalt bei Rosin Büdenbender in Essen. „Grundlage ist §4(b) Energiewirtschaftsgesetz. Hier geht es um die Zertifizierung von Transportleitungen in Bezug auf Drittstaaten.“

Berlin gewinnt Zeit

Damit gewinnt die Bundesregierung Zeit. Die Neubewertung kann und soll recht lange dauern: „Das wird sich sicher hinziehen, wenn ich das mal vorhersagen darf“, erklärte Kanzler Scholz in Berlin.

Damit steht eines der wichtigsten Energieprojekte dauerhaft in Frage. Die 10 Mrd. Euro teure Nord-Stream-2-Pipeline, die dem russischen Staatskonzern Gazprom gehört und seit September 2021 fertig gebaut sowie seit Dezember befüllt ist, verdoppelt die Transportkapazität durch die Ostsee unter Umgehung der Ukraine auf 110 Mrd. Kubikmeter jährlich. Der Anteil des aus Russland importierten Gases am deutschen Verbrauch würde durch die Inbetriebnahme von 40 auf 50% ansteigen. An der Pipeline sind als Finanziers der Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG mit Sitz in Zug in der Schweiz die westlichen Konzerne Uniper, Wintershall Dea, Engie, Shell und OMV mit jeweils 1 Mrd. Euro beteiligt.

Laut Angelina Valavina, Senior Director, Head of Natural Resources & Commodities bei Fitch Ratings, spielt Russland „eine entscheidende Rolle auf den globalen Rohstoffmärkten – es ist für etwa 10% des globalen Ölmarktes, ein Drittel der Gaslieferungen nach Europa, 35% des globalen Palladiummarktes und 6% des globalen Aluminiummarktes verantwortlich“.

Entsprechend reagieren die Märkte. Die Androhung weiterer Sanktionen und Lieferunterbrechungen sorgte am Dienstag für einen Anstieg der Energiepreise auf breiter Front, wobei Rohöl der Sorte West Texas Intermediate nahe der Marke von 94 Dollar pro Barrel gehandelt wurde. Der Stopp für Nord Stream 2 ließ die europäischen Erdgasfutures um zeitweise 11% ansteigen.

Während aus der Politik Zustimmung für den Nord-Stream-2-Stopp kam, bedauerte die Gasbranche die Entscheidung. „Die Pipeline leistet einen Beitrag zur Schließung der wachsenden Importlücke in Europa“, sagte Timm Kehler, Geschäftsführer des Verbandes „Zukunft Gas“, der Nachrichtenagentur Reuters. Diese Lücke könne auch mit neuen LNG-Flüssiggasterminals nur zum Teil und zu höheren Kosten gefüllt werden. „Von Seiten unserer Mitglieder hören wir aktuell keine Meldungen, dass Russland seine Verpflichtungen gegenüber den Vertragspartnern nicht erfüllt.“ Russland sei in den vergangenen 50 Jahren – auch im Kalten Krieg – stets ein zuverlässiger Energielieferant gewesen.

Putin reagiert gelassen

Die russische Regierung reagierte gelassen auf die Entscheidung der Bundesregierung. Der russische Präsident Wladimir Putin sagte auf einem Forum erdgasexportierender Länder zu, dass Russland seine Lieferverpflichtungen weiter einhalten wolle. Die Regierung habe keine Angst, sagte Vize-Außenminister Andrej Rudenko der Nachrichtenagentur Tass zufolge.

Der Vize-Vorsitzende des russischen Nationalen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, schürte Sorgen vor höheren Gaspreisen. „Willkommen in der schönen neuen Welt, in der die Europäer sehr bald 2000 Euro für 1000 Kubikmeter Erdgas bezahlen werden!“, sagte Medwedew auf seinem Twitter-Account auf Englisch, Deutsch und Russisch. Um 16.17 Uhr in Amsterdam wurde Erdgas in Europa mit 79 Euro pro Megawattstunde gehandelt, was einem Anstieg von 8,9% seit dem letzten Handelsschluss entspricht. Das entspricht nach Berechnungen von Bloomberg etwa 830 Euro pro 1000 Kubikmeter.