Geldpolitik

Die SNB darf nicht nur auf die EZB schielen

Es verfestigt sich der Eindruck, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) bei ihrer Geldpolitik als Erstes auf diejenige der Europäischen Zentralbank (EZB) schaut und erst dann auf die wirtschaftliche Lage in der Schweiz.

Die SNB darf nicht nur auf die EZB schielen

Nichts ist so beständig wie die Beteuerungen der Schweizer Nationalbank, dass ihr Franken hoch bewertet sei. Eine Einschätzung, die gelegentliche Besucher der Schweiz meist ohne langes Zögern bestätigen. Das hat den Franken aber nicht davon abgehalten, bis Ende Januar im Vorjahresvergleich um 3,8% gegenüber dem Euro aufzuwerten oder um insgesamt 9,7% und 15,8% in den vergangenen drei bzw. zehn Jahren. Mit der jüngsten EZB-Pressekonferenz scheint sich das Blatt zu wenden, da eine Zinswende der EZB in diesem Jahr nun wahrscheinlicher geworden ist. Die Euro-Bullen fassten Mut, sodass der Franken sich innerhalb kurzer Zeit um knapp 2% abgeschwächt hat. Ist die Trendwende damit geschafft?

Schweiz steht recht gut da

Wir glauben nicht. Dass sich die Führung der Schweizer Notenbank mit Reden und Interviews nicht so häufig zu Wort meldet wie ihre Kolleginnen und Kollegen der EZB, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Datenlage in der Schweiz für eine schnellere geldpolitische Straffung spricht. Ihr Inflationsziel liegt mit 0 bis 2% auch rund ein Prozentpunkt unter dem der EZB. Dennoch scheint der Eindruck sehr gefestigt zu sein, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) bei ihrer Geldpolitik als Erstes auf diejenige der Europäischen Zentralbank (EZB) schaut und erst dann auf die wirtschaftliche Lage in der Schweiz. Schließlich haben die sich abzeichnenden Anleihekäufe der EZB Anfang 2015 zu einer Aufgabe des Mindestkurses für den Franken und zu einer Leitzinssenkung um 0,5 Prozentpunkte auf das gegenwärtige Niveau von −0,75% geführt. Klar ist auch, dass höhere Zinsen in der Schweiz Anlagen in Franken attraktiver machen und den Aufwertungsdruck erhöhen. Ein starker Franken führt wiederum zu günstigeren Importpreisen. Diese hatten in den vergangenen Jahren zwei un­er­wünschte Konsequenzen: Zum einen haben sie die Inflationsrate gefährlich nahe an den Deflationsbereich geführt und zum anderen die Exportwirtschaft belastet. Gewöhnlich ist es daher für die SNB einfacher, wenn ein höheres Zinsniveau in der Währungsunion den Aufwärtsdruck auf den Franken begrenzt.

Allerdings betrachtet die SNB nicht nur den Euro-Kurs, sondern die gesamte Währungssituation. Sie könnte beruhigt feststellen, dass der handelsgewichtete und um Inflationsdifferenzen bereinigte Wechselkurs im Januar rund 1% günstiger war als vor Jahresfrist. Von einer zu starken Belastung der Exportwirtschaft kann also aktuell nicht gesprochen werden. Zudem verfolgt die SNB aus gutem Grund kein Wechselkursziel, sondern betrachtet die Lage der Gesamtwirtschaft. Und diese sieht außerordentlich gut aus. Während es in der Währungsunion bis Ende 2021 gedauert hat, das Niveau des Bruttoinlandsprodukts vor der Pandemie wieder zu erreichen, konnte die Schweiz dies bereits im 3. Quartal des vergangenen Jahres um 1,5% übertreffen. Die Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor liegen klar über ihren Pendants in der Währungsunion und bestätigen eine anhaltend hohe Wirtschaftsdynamik, die ohne die Belastungen der Omikron-Variante aktuell noch stärker wäre. Entsprechend ist die Arbeitslosenquote auf 2,3% – dem langjährigen Tiefstand vor der Pandemie – gefallen. Die Kapazitätsauslastung des verarbeitenden Gewerbes ist überdurchschnittlich. Die Anzahl der offenen Stellen befindet sich auf einem Allzeithoch und die Unternehmen berichten über zunehmende Schwierigkeiten, diese zu besetzen. Entsprechend sind die Einschätzung der Lage am Arbeitsmarkt sowie die Arbeitsmarkterwartungen des KOF so gut wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Dies ist kein Umfeld, in dem negative Leitzinsen notwendig sind.

Vorteil starker Wechselkurs

Sicherlich, ein zunehmender Lohndruck ist bislang nicht zu beobachten. Aber je länger die Krise in der Ukraine und die hohen Energiepreise anhalten, je länger die Null-Covid-Strategie in China und die Ausbreitung der Omikron-Variante zu Lieferengpässen führen, desto stärker verfestigen sich auch in der Schweiz höhere Inflationsraten. Die SNB wird auf ihrer nächsten geldpolitischen Lagebeurteilung daher kaum darumkommen, ihre Inflationsprognose für die kurze wie auch mittlere Frist anzuheben. Es gibt gute Gründe, weshalb auch die EZB ihre Geldpolitik bald straffen sollte. Immerhin liegt die Inflationsrate im Euroraum rund 3,5 Prozentpunkte über derjenigen in der Schweiz. Die EZB hat immerhin angekündigt, ihre Anleihekäufe deutlich zu reduzieren, die 2015 ja Auslöser der Zinssenkung der SNB waren. Aber für die SNB ist es nun an der Zeit, unabhängig davon zu agieren, welche Vogelart im EZB-Turm das geldpolitische Gezwitscher vorgibt. Wir erwarten entsprechend die erste Zinserhöhung der SNB im September und damit vor der EZB im Dezember. Wird das den Franken weiter stärken? Sicherlich. Ende 2023 dürfte er unserer Prognose nach die Parität zum Euro erreichen. Wäre das ein Nachteil? Nein. In Zeiten einer voll ausgelasteten Wirtschaft und steigenden Importpreisen dürfte ein starker Wechselkurs sogar eher von Vorteil sein.

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