Verfahren gegen Deutschland

EU-Kommission deeskaliert Streit über EZB-Urteil

Im Juni hatte Brüssel wegen des spektakulären EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichts ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Das ist nun vom Tisch – weil Berlin reagiert hat.

EU-Kommission deeskaliert Streit über EZB-Urteil

rec Frankfurt

Der politische Streit über das aufsehenerregende EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 ist ausgestanden. Wie die EU-Kommission am Donnerstag mitteilte, hat sie das vor einem halben Jahr eröffnete Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingestellt. Damit sind auch mögliche Strafzahlungen Deutschlands vom Tisch.

Zur Begründung hieß es, die Bundesregierung habe förmlich erklärt, den Vorrang und die Autonomie des Unionsrechts anzuerkennen. Dies gelte insbesondere auch für den Bereich der Rechtsstaatlichkeit. Zudem habe Deutschland zugesagt, die Autorität des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) anzuerkennen, dessen Urteile endgültig und verbindlich seien, schrieb die EU-Kommission. Auch habe sich die deutsche Regierung verpflichtet, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um weitere sogenannte „Ultra-vires“-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu vermeiden. Im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle kann Karlsruhe prüfen, ob EU-Maßnahmen mit den Kompetenzen vereinbar sind, die Deutschland an die Europäische Union übertragen hat.

Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Staatsanleihenkaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank (EZB). In dem Urteil hatten sich die Karlsruher Richter vor 19 Monaten erstmals überhaupt offen gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gestellt, indem sie das Public Sector Purchase Programme (PSPP) der EZB als zum Teil nicht grundgesetzkonform be­zeichneten. Seit 2015 hat die EZB im Rahmen des PSPP Staatsanleihen von Euro-Ländern im Umfang von mehr als 2 Bill. Euro erworben.

Das Urteil hatte kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Nicht wenige Beobachter sahen darin einen Affront der Karlsruher Richter gegen den EuGH. Die EU-Kommission, die als Hüterin der Europäischen Verträge gilt, befürchtete einen „schwerwiegenden Präzedenzfall“, weshalb sie im Juni 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitete. Ihre damalige Sorge: Das Urteil könnte andere EU-Mitglieder wie Polen und Ungarn ermutigen, ebenfalls bestimmte Entscheidungen des EuGH nicht mehr anzuerkennen. Tatsächlich ist dies – in gänzlich anderen Fällen – inzwischen eingetreten, was die Beziehungen Brüssels insbesondere zur Regierung in Warschau auf eine harte Probe stellt.

Auch sonstige unmittelbare Nachwirkungen des Urteils sind ausgestanden, seit das Bundesverfassungsgericht im Mai Vollstreckungsanträge abgeschmettert hat. Andernfalls hätte die Bundesbank nicht länger an den PSPP-Käufen teilnehmen dürfen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.